Von Johannes Kaiser für die Onlinezeitung InfoSperber
Hemmungslos rülpst und pupst das Vieh den ganzen Tag. Aber das liegt nun mal in seiner Natur. Bei der Futterverdauung stossen Kühe und Rinder Methan aus. Das ist als Treibhausgas in der Atmosphäre 25mal so wirksam wie Kohlendioxid. Eine Kuh, so das Nachrichtenportal swissinfo.ch, produziert pro Jahr in der Schweiz zwischen 70 und 120 Kilogramm Methan. Der Schweizer Landwirtschaftssektor ist laut dem nationalen Treibhausgasinventar für 83 Prozent der Methanemissionen verantwortlich.
Fragt sich allerdings, welches Rind. Diese und andere Zahlen sind einseitig, denn Rindvieh ist nicht gleich Rindvieh. So viel es auch an Methan ausstösst, es kann auch eine Menge CO₂ binden. Sein Grasfressen sorgt für einen fröhlichen Ausgleich. Man muss also gar nicht unbedingt Vegetarier werden, um die Welt zu retten.
Das allerdings hat auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen noch nicht begriffen. Sie vermeldet, dass die Rinder, die zur Fleisch- und Milchproduktion gehalten werden, zusammen mit anderen Nutztieren das Äquivalent von 3,1 Milliarden Tonnen CO₂ ausstossen. «Bildeten diese Nutztiere ein einziges Land», so swiss-info, «so wären sie nach China und den USA der grösste Produzent von Treibhausgasen.».
Selbst Greenpeace ist auf diesem Auge ziemlich blind und der Viehzucht gar nicht grün, sieht in ihr vielmehr die Hauptschuldige für alle Methanemissionen, die auch noch an anderen Stellen wie z.B. bei der Erdgasförderung entstehen. Die sanfte Kuh gilt Greenpeace als übler Klimakiller. Und ihre Hinterlassenschaften stinken nicht nur gen Himmel, dem Stallmist und den Kuhfladen entweicht zusätzlich Lachgas, ein hochpotentes Treibhausgas, dreihundertmal so stark wie CO₂. Das deutsche Umweltbundesamt konstatiert denn auch: «Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch verursacht zwischen 7 und 28 Kilo Treibhausgasemissionen – Obst oder Gemüse dagegen liegen bei weniger als einem Kilo.»
Die Zahlen sind korrekt, beängstigend und die Schlussfolgerungen immer dieselben. So fordert der Naturschutzbund Deutschland, der NABU, eine Reduktion der Tierzahlen, insbesondere in der Intensivhaltung, um die Hälfte. «Gleichzeitig muss der Konsum von tierischen Produkten im gleichen Masse reduziert werden, um zu verhindern, dass die Probleme in andere Regionen der Welt verlagert werden.» Damit wird auf die Futterproduktion insbesondere in den Südstaaten wie Brasilien angespielt, denn in Deutschland selbst kann gar nicht so viel Futter angebaut werden, wie die intensive Viehhaltung verlangt. Das Ergebnis, das Überangebot an billigem Fleisch und dessen übermässiger Genuss, hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) dazu veranlasst, den Bundesbürgern und -bürgerinnen zu empfehlen, ihren Fleisch- und Milchkonsum um 25 Prozent zu senken. Ihrer Rechnung nach könnten so ungefähr 7,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente eingespart werden.
Soweit alles nachweisbar und die Wissenschaft scheint diese halbblinde Sichtweise auch noch zu bestätigen, indem sie ganz nüchtern konstatiert: Zu viel Fleisch ist ungesund und erst noch schlecht fürs Klima und die Umwelt. Greenpeace setzt noch einen drauf. «Wenn wir weiter am aktuellen Lebensmittelmix festhalten, werden wir es nicht schaffen, unseren Kindern und Enkelkindern eine Erde zu hinterlassen, die die wachsende Weltbevölkerung gesund ernähren kann. 50 Prozent weniger Fleisch, aber auch Milchprodukte müssen es bis zum Jahr 2050 global sein. Nur dann können Bauern Lebensmittel so produzieren, dass unsere natürlichen Ressourcen geschützt werden.»
Das klingt echt bedrohlich: Das arme Rindvieh ist ein schlimmer Klimasünder. Sein Fleisch macht laut Greenpeace sogar krank. Der Genuss von zu viel Milch ebenfalls. Sein Futterbedarf frisst weltweit wertvolle Graslandflächen, zerstört Urwälder, forciert das Artensterben.
Stimmt und stimmt nicht
Ja, alles stimmt, ist hinreichend in den Medien wiedergekäut und stimmt doch nicht. Fast alle vergessen zu erwähnen, dass die ganze Aufrechnerei mit der Haltungsform steht und fällt. Vieh ist eben nicht gleich Vieh. Die arme Kuh, die angebunden und eng gedrängt zu hunderten in riesigen Ställen steht, wird tatsächlich zum üblen Klimasünder. Dabei sehen wir jetzt einmal ganz davon ab, dass diese Art der Massentierhaltung ausgesprochen tierfeindlich ist, denn die Kühe dürfen nie mehr ans Tageslicht und auf die Wiese. Eine auf extreme Milchproduktion (bis zu 9000 Liter pro Jahr) hochgezüchtete Milchkuh wird normalerweise nach gut 5 Jahren geschlachtet und verbringt ihr kurzes Leben wie im Gefängnis ohne Freigang. Ihre Kälber werden ihnen nach der Geburt gleich weggenommen und in Extraboxen, in Kälberiglus die ersten Wochen mit Extramilch aufgezogen. Mutterliebe? Fehlanzeige. Sobald sie den Boxen entwachsen sind, dürfen sie sich bisweilen noch so lange auf der Wiese tummeln, bis sie genug Fleisch angesetzt haben, um als Kalbsbraten in der Fleischtheke des Supermarktes zu landen. Ein ziemlich kurzes Leben. Kein Wunder also, dass Klima- und Tierschützer die Massentierhaltung heftig attackieren. Tierwohl sieht anders aus.
Allerdings gilt die Rechnung vom Rindvieh als Klimasünder eben nur für solche quasi industrielle Tierzucht. Die biologische Landwirtschaft schneidet erheblich besser ab. Sie trägt sogar zum Klimaschutz bei. Das klingt absurd und ist doch wahr.
Verteidigung der Kuh
Schon 2011 hat die Tierärztin und Agrarwissenschaftlerin Anita Idel in ihrem Buch «Die Kuh ist kein Klimakiller» [1] detailliert nachgewiesen, wie Kühe dem Klima und damit zugleich dem Artenschutz dienen. Sie knabbern das Gras kurz über dem Boden ab. Die Gräser reagieren mit verstärktem Wurzelwachstum, bilden neue Wurzelmasse, während alte Wurzeln absterben. Wurzeln aber binden sehr viel Kohlenstoff, den sie der Luft entziehen. Die in gesunden, d.h. nicht gespritzten und nicht kunstgedüngten Wiesenböden lebenden Tierwelt – vom Regenwurm und Assel bis zu Maulwurf und Hamster – sorgt durch ihr ständiges Wühlen dafür, dass das abgestorbene Material immer tiefer in die Erde transportiert wird. So entstehen stetig neue Kohlenstoffsenken. Gleichzeitig gelangen beim Umgraben Mineralien an die Oberfläche und stehen damit den Wiesenpflanzen zur Ernährung zur Verfügung. Sie wachsen, werden gefressen und ein neuer Kreislauf entsteht, der wieder CO₂ aus der Luft zieht und versenkt.
Nun könnte die konventionelle Landwirtschaft einwenden, dass eine Wiese durch das mehrfache Mähen im Jahr, um Silage für das Viehfutter zu machen, ebenfalls mehr Graswurzelwuchs hervorruft. Im Prinzip ist das richtig. Nur vergisst diese Argumentation, dass dabei die Vielfalt stirbt.
Die meisten Blumen und Gräser werden dabei gekappt, bevor sie ihre Blütenstände voll entwickelt haben. Nicht nur ihr Nektar fehlt dann vielen auf sie angewiesenen Insekten und Schmetterlingen, sondern auch ihre Blätter und Stängel, in denen sie oftmals ihre Eier ablegen und von denen ihre Larven sich ernähren. Die wiederum locken selten gewordene Vögel an.
Um eben dieses frühzeitige Mähen zu verhindern, gibt es sogar staatliche Förderung für naturbelassene Naturschutzflächen, die vor Mitte Juni, Anfang Juli nicht gemäht werden dürfen. Was vielen Naturschützern aber nicht bekannt ist: Eine sich selbst überlassene Wiese sieht zwar schön bunt aus, doch auf diesen Flächen setzen sich die kräftigsten und widerstandsfähigsten Pflanzen durch und unterdrücken auf Sonne und Wärme angewiesene kleinere Pflanzen und Insekten.
Wirkliche Artenvielfalt entsteht so nicht. Die braucht zur Beweidung Grossvieh, wie der Naturfilmer Jan Haft in seinem gerade erschienenen Buch «Wildnis» [2] an Beispielen aus der Praxis nachweist. Das Vieh frisst immer nur Teile der Wiese auf, lässt damit vielen Pflanzen und auch Insekten Zeit zur vollständigen Entwicklung. Nach Abgrasen der Lieblingsfresspflanzen wendet sich das Vieh zudem den bitteren, weniger zarten Pflanzen zu und hält sie so in Schach, dass sie die anderen nicht überwuchern können. Das schafft ein Gleichgewicht.
Selbst die Löcher, die die Hufen des Viehs hinterlassen, schaffen Lebensraum für konkurrenzschwache Pflanzen oder bieten Brutstollen für Wildbienen und andere Käferarten.
Und noch einen Vorteil gilt es gegenüber sich selbst überlassenen Flächen zu erwähnen. Wachsen dort die Pflanzen in die Höhe, wird der Boden verschattet und ist kühl. Viele Insekten lieben aber die Wärme des Sonnenlichts. Sie bleiben fern und damit auch ihre Fressfeinde, die Vögel und Fledermäuse.
Der Dung der Kühe düngt zudem nicht nur viele Pflanzen und Pilze, sondern bietet wiederum zahlreichen Insekten und Insektenfressern eine Mahlzeit. Von denen ernähren sich Vögel, Reptilien und Fledermäuse. Auf solchen Wiesen können auch bodenbrütende Vögel wie Lerchen und Rebhühner überleben. Kein Mähbalken macht ihnen den Garaus. Die wenigen Eier, die ein zufälliger Kuhtritt zerstört, sind zu verkraften.
Geniessen Sie Ihr Fleisch, aber…
Autor Jan Haft geht in der Naturgeschichte tausende Jahre zurück, um dieses Zusammenspiel von Artenschutz und Beweidung zu erklären. Wildnis, und das heisst grosse Artenvielfalt, gab es in Europa, wie paläontologische Befunde beweisen, dort, wo grosse Herden von Mammuts, Auerochsen und anderen grossen Huftieren weite Teile der Landschaft offenhielten, indem sie umherzogen und abweideten, was vor ihrer Nase wuchs.
Wildnis, so zeigt der Autor, heisst also keineswegs, geschützte Landschaften sich selbst zu überlassen. Artenvielfalt braucht Weidevieh, egal welcher Rasse. Allerdings muss ihre Anzahl an die Weidefläche angepasst werden, um eine schädliche Überweidung zu vermeiden.
Für uns Verbraucher bedeutet das durchaus ein verringertes und teureres Fleischangebot, denn solche ökologische Weidehaltung kostet Zeit und Geld und bringt kein Massenangebot an Fleisch mit sich. Aber unsere Gesundheit und eben auch der Klimaschutz werden es uns danken. Geniessen Sie das rote Fleisch und die kalziumreiche und damit knochenaufbauende Milch weiterhin, aber bewusst aus Bioviehzucht!
Das sind zumindest für den traditionellen Naturschutz verblüffende Erkenntnisse. Wildnis heute erfordert also bewusst geplante Eingriffe des Menschen, kein sich Überlassen der Natur. Arten- und Klimaschutz ist auf weidendes Grossvieh, und das ist bei uns die Kuh, angewiesen. Dem Rindvieh sei Dank.
[1] Anita Idel: Die Kuh ist kein Klimakiller. Metropolis, Marburg 2022
[2] Jan Haft: Wildnis – Unser Traum von unberührter Natur, Penguin Verlag München 2023.
Johannes Kaiser ist Rundfunkautor und arbeitet u.a. für den SWR und den NDR. Fürs Radio SRF hat er in den Bereichen Kultur und Umwelt gearbeitet, vor allem über Themen zum Natur- und Umweltschutz, erneuerbare Energien und Klimaschutz.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren für die Internetzeitung InfoSperber. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur.