Heute geht ein Traum in Erfüllung. Mein Freund Islam Alijaj wird in Bern als Nationalrat vereidigt – als erster Mensch mit Cerebralparese. Bei seiner Geburt hat er zu wenig Sauerstoff erhalten. Deshalb sitzt er im Rollstuhl und hat eine Sprechbehinderung.
Islam im Bundeshaus? Ich kann es immer noch kaum glauben. Dabei ist das alles kein Zufall. Dahinter steckt ein verrückter Plan, von dem ich
erzählen möchte.
Ich bin Islam Alijaj zum ersten Mal an einem Abstimmungssonntag begegnet. Ein Tag, den ich eigentlich so schnell wie möglich vergessen wollte. Es war eine bittere Niederlage: Das Gesetz zur Überwachung der Versicherten, das wir mit dem Referendum bekämpft hatten, wurde im November 2018 deutlich angenommen.
Die Stimmung war gedrückt. Nur Islam war voller Tatendrang und sagte, dies sei ein wichtiger Moment für die «Behindertenrevolution». Die Abstimmungskampagne habe viele Menschen zusammengebracht, die sich gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Bald sei die Zeit reif für den nächsten Schritt: eine Volksinitiative!
Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis sich Islam wieder meldete. Jetzt sei er bereit, eine Initiative zu starten. Und was ist mit euch, der Stiftung für direkte Demokratie und WeCollect? Ich fragte zurück: Wer ist noch dabei? Niemand, ihr seid die ersten, die ich frage.
Ein paar Monate später standen wir vor dem Bundeshaus. Es war der 15. September 2021, der Tag der Demokratie. Wir waren vielleicht 25 Menschen, die Hälfte im Rollstuhl. Es war ein nasskalter Herbsttag. Aber Islam strahlte unter seiner Regenpelerine. Er hielt eine beherzte Rede und kündigte die Lancierung der Inklusions-Initiative an.
Was Islam damals nicht laut sagte, vielleicht weil es ihm kaum jemand geglaubt hätte: «Ich verspreche euch, wenn die Initiative eingereicht wird, stehen wir nicht mehr als Bittsteller:innen vor der Tür. Dann sitzen wir selber im Bundeshaus und sorgen dafür, dass die Forderungen der Initiative umgesetzt werden!».
Ich blieb skeptisch. Am 22. Oktober dieses Jahres, dem Wahltag, fuhr ich nach Zürich. Islam kandidierte auf einem hinteren Listenplatz für den Nationalrat. Ich wollte als Freund dabei sein, wenn Islam eine Niederlage erleidet. So dachte ich zumindest. «Geschichte schreiben» war sein Wahlslogan. Die ersten Resultate trafen ein, und mit jeder ausgezählten Gemeinde wurde klarer: Jetzt passiert es!
Und dabei ist die Unterschriftensammlung der Inklusions-Initiative gar noch nicht abgeschlossen. Es fehlen noch rund 40’000 Unterschriften. Haben Sie bereits unterschrieben? Islam würde sagen: Heute ist ein perfekter Tag dafür!
Fast so perfekt wie seine eigene Geschichte. «Das war doch klar, dass Islam es schafft», haben manche nach der überraschenden Wahl hinter vorgehaltener Hand gesagt. Aber so war es nicht!
Islam, so erzählt er selbt in seinem Buch, ist auf seinem langen Weg immer wieder «auf die Schnauze gefallen», hat sich wieder aufgerappelt und weitergemacht. Nicht als Einzelkämpfer, sondern unterstützt von vielen, die mit ihm davon träumen, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.
Die Zukunft selbst gestalten, das klingt gut. Aber ich muss zugeben: Manchmal zweifle ich, oft fehlt mir der Mut und manche Niederlage ist einfach schwer zu verkraften. Gerade deshalb bin ich Islam so dankbar. Er hat gezeigt, wie wichtig grosse, vielleicht manchmal verrückte Pläne sind. Nur so können wir die Gesellschaft wirklich verändern.
Mit besten Grüssen, Daniel Graf
WeCollect, Stiftung für direkte Demokratie
PS: Für grosse Pläne wie die Inklusions-Initiative haben wir den Demokratiefonds eingerichtet. Er wird durch Spenden finanziert. Herzlichen Dank!