Die Heuchelei griff bei der COP28 um sich, noch ehe sich die Tore für die 70.000 Delegierten am 30. November öffneten. Die UN-Klimakonferenz findet 2023 in der Expo City in Dubai statt. Sie ist die große jährliche Zusammenkunft der WissenschaftlerInnen, bei der über den weiteren Verlauf des anthropogenen Klimawandels entschieden wird, sofern das überhaupt möglich ist.
Präsident des diesjährigen Klimagipfels ist Sultan Ahmed Al-Jaber, CEO der National Oil Company Abu Dhabi („ADNOC“) in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Geleakte Dokumente belegen, dass offizielle Vertreter der Emirate ihre Position beim Klimagipfel nutzen, um „Lobbyarbeit für Öl- und Gasdeals auf der ganzen Welt“ zu machen. Das ist widerlich und ein internationaler Skandal höchster Kategorie. Laut Bloomberg News wies jedoch Ahmed Al-Jaber am 29. November die Vorwürfe vehement zurück.
Dem steht ein Bericht des Centre for Climate Reporting vom 27. November gegenüber, nach dem der Präsident der COP28 insgeheim seine Stellung bei der Klimakonferenz dazu benutzt, den Handel mit Öl mit ausländischen Regierungsvertretern voranzutreiben: „Geleakte Dokumente belegen, dass Sultan Al-Jaber, Präsident der COP28 und Chef der nationalen Ölgesellschaft der VAE plant, das Geschäft mit fossilen Brennstoffen in bilateralen Gesprächen während des Klimagipfels voranzutreiben.“
Ein Bericht der BBC vom 28. November legt außerdem nah, dass „Al Jaber in den letzten Monaten -zig Gespräche mit führenden Regierungsvertretern, Royals und Geschäftsführern aus der ganzen Welt geführt hat. Das COP28 Team hat still und heimlich geplant, diese Plattform als eine Gelegenheit zu nutzen, die Öl- und Gasexporte der ADNOC zu erhöhen.“
Geleakte Briefings zeigen, dass Al-Jaber geplant hat, seine neu geschaffene internationale Führungsrolle als Präsident der COP28 zu nutzen, um kommerzielle Interessen in fast 30 Ländern zu verfolgen. Ein Whistleblower bestätigte unter dem Schutz der Anonymität weiterführende Gespräche mit mindestens einem Geschäftspartner.
Professor Michael Jacobs von der Sheffield University kommentierte dazu bei BBC: „Ein Präsident der COP sollte keinerlei nationale oder kommerzielle Interessen vertreten, sein Job ist es, die Welt anzuführen… Die VAE sind aktuell der Verwalter der Bemühungen der Vereinten Nationen zur Reduzierung der globalen Emissionen. Und dennoch versuchen sie in den gleichen Gesprächen, die scheinbar mit diesem Ziel in Einklang stehen, Nebenabsprachen zu treffen, die die globalen Emissionen erhöhen werden.“
Interne Emails und Gesprächsprotokolle, die dem Centre for Climate Reporting vorliegen, stellen die Unabhängigkeit des Führungsteams der COP28 vom nationalen Ölunternehmen ADNOC ernsthaft in Frage. Mehr noch, Whistleblowers geben an, dass das COP28 Team in regelmäßigem Kontakt mit dem nationalen Ölunternehmen ADNOC steht, um sich über Gesprächsthemen im Sinne spezifischer Ölgeschäfte des Landes abzustimmen.
Am 28. November schrieb die New York Times zum Benutzen von Klimagesprächen für den Verkauf fossiler Brennstoffe: Die offiziellen Vertreter der VAE haben ihre einflussreiche Stellung bei der Klimakonferenz hinter den Kulissen benutzt, um den brasilianischen Umweltminister dahingehend zu beeinflussen, sie bei einem Öldeal der ADNOC zu unterstützen. Außerdem benutzten Vertreter der Emirate ihre Stellung beim COP28 und nahmen Einfluss auf ihre chinesischen Partner, um einen gemeinsamen internationalen LNG-Deal auf den Weg zu bringen. Im Artikel heißt es weiter, dass Diplomaten und Klimaexperten aus der ganzen Welt schockiert auf die geleakten Dokumente reagiert haben.
Die frühere UN-Diplomatin Christiana Figueres sagte: „Die Vereinigten Emirate sind in flagranti ertappt worden.“ Frühe Unterstützer von Al-Jaber als Präsident der COP28 behaupten, er sei damit in der richtigen Position, um die Ölproduzenten der Welt zu überzeugen, den Klimawandel anzugehen. Laut Internationaler Energieagentur IEA macht der Anteil der Öl- und Gasindustrie der Welt lediglich ein Prozent aller globaler Investitionen in saubere Energie aus. Die Befürworter Al-Jabers behaupteten, dass dieser diesen Anteil erheblich vergrößern würde.
Doch die COP28 ist schon jetzt, ehe sie überhaupt begonnen hat, eine riesige Enttäuschung, die die Hoffnung auf gegenseitiges Vertrauen unter den Mitgliedsländern untergräbt und Hoffnungen auf einen signifikanten Fortschritt zerschlägt. Dies schreit regelrecht nach der provokanten Frage, wie um alles in der Welt es dazu kommen konnte, dass die VAE Gastgeber einer Klimakonferenz werden. Und noch unverständlicher – wie konnte Al-Jaber Präsident der COP28 werden? Ist die Klimakonferenz eine Intrige unter Unternehmern oder eine Vertragsstaatenkonferenz mit dem Ziel, den Klimawandel aufzuhalten?
„Sie sind zu weit damit gegangen, den CEO einer der größten – und mit Abstand einer der schmutzigsten – Ölunternehmen des Planeten zum Präsidenten der diesjährigen UN-Klimakonferenz zu machen“, so der frühere US-Vizepräsident Al Gore. (Quelle: Fossil Fuels and Frustration at COP28 (Fossile Brennstoffe und Frustration auf der COP28), The New York Times, 30. November 2023)
Und die Scheinheiligkeit geht sogar noch über Al-Jaber und die Emirate hinaus. Dabei ist es doch nahezu unmöglich, die Doppelzüngigkeit und Trickserei von Al-Jaber und der VAE noch zu übertreffen, die die UN-Klimakonferenz als leicht manipulierbares Vehikel für ihre eigenen Öl- und Gasdeals benutzen.
In Zusammenarbeit mit akademischen Einrichtungen untersuchte kürzlich ein UN-Umweltprogramm die Vorhaben der 20 größten Erzeugerländer fossiler Brennstoffe, die 84% der globalen CO2 Emission ausmachen: „Die Ergebnisse zeichnen ein düsteres Bild. Die Pläne der Regierungen verdeutlichen deren Absicht, 2030 insgesamt 110% mehr fossile Brennstoffe zu produzieren, als mit dem durch das Pariser Klimaabkommen vereinbarten 1,5-Grad Ziel vereinbar wäre. Und 69% mehr, als mit einer Erwärmung um 2 Grad machbar wäre.“ (Quelle: The Production Gap)
Erwartete Verpflichtungen zu Öl und Gas auf der COP28
Laut World Resources Institute ist es „essenziell, dass diese UN-Klimakonferenz keine Plattform für Versprechen der Öl- und Gasindustrie wird und somit das drängende Kernthema beiseite schiebt. Es wird erwartet, dass die VAE während der Konferenz eine Verpflichtung von mindestens 20 großen Öl- und Gasunternehmen ankündigt, den Ausstoß von Methan zu reduzieren und bis 2050 Netto-Null Emissionen zu erreichen – dies jedoch lediglich für ihren eigenen Betrieb und nicht für den Brennstoff, den sie verkaufen.
Indem man die sogenannten „Scope 3“ Emissionen der Brennstoffe außer acht lässt, die aus ihrer Öl- und Gasproduktion gewonnen und dann verkauft werden, umgeht die Öl- und Gasindustrie die Emissionen, die bis zu 95% ihres Anteils an der Klimakrise ausmachen.“
In der Zwischenzeit übertreffen alarmierende Daten über die fortschreitende globale Erwärmung und die weitere Zerstörung von Ökosystemen auf der ganzen Welt bei weitem das Denken und das Verständnis des Gastgeberlandes im Hinblick auf die Ausrichtung einer bedeutenden UN-Klimakonferenz. Es passt einfach nicht. Es ist frustrierend! Der Fokus der COP28 sollte auf der maßgeblichen Wissenschaft liegen: Das Ungleichgewicht der Erdenergie bzw. „Sonnenlicht rein“ gegenüber „Sonnenlicht raus“ bewegt sich gerade mit einer erschreckenden Rate von 1,36 W/m2 bezogen auf das aktuelle Jahrzehnt. Das ist mehr als beängstigend. Es ist doppelt so viel wie in den Jahren zwischen 2005 und 2015, als die Rate bei 0,71 W/m2 lag (Quelle: James Hansen, Global Warming is Accelerating. Why? Will We Fly Blind? (Die Erderwärmung beschleunigt sich. Warum? Befinden wir uns im Blindflug?) 14. September, 2023). W/m2 bedeutet Watt/m2. Das bedeutet, dass mehr Energie (in Form von absorbiertem Sonnenlicht) auf die Erde trifft, als dass Energie abgegeben wird (durch Abgabe von Wärme in die Atmosphäre) und dass sich diese Rate innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelt hat, was unvorstellbar ist und in der Folge mit Sicherheit schlechte Nachrichten mit sich bringen wird. Denn es handelt sich dabei um ein extrem gefährliches Klimaereignis, das bereits mit potentiell verheerenden Folgen im Gange ist.
Es überrascht nicht, dass Dr. James Hansen vom Earth Institute an der Columbia Universität das frühzeitige Erreichen des gefürchteten Temperaturanstiegs um 2 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter bereits Ende der 2030er Jahre erwartet – weit vor den Annahmen des IPCC, wodurch viele lebensnotwendigen Ökosysteme zerstört werden, während laut International Energy Agency (IEA) die Produzenten fossiler Energien planen, ihre Produktion auf Rekordniveau zu heben. Und so können die globale Erwärmung und die Ölproduktion Hand in Hand gehen und neue Rekorde aufstellen.
All das summiert sich zu einem verstörenden Ausmaß unbeschreiblichen Wahnsinns. Und dieser Wahnsinn steigert sich noch, da Klimaanalysten eine Lawine von Greenwashing auf der COP28 erwarten, wie sie bereits vom World Resources Institute im vorhergegangenen vierten Abschnitt beschrieben wurde.
Weil gerade davon die Rede ist – Al-Jaber sagte Bloomberg News am 29. November, dass „all seine Gespräche darauf fokussiert waren und sind, wie die Weltgemeinschaft den globalen Temperaturanstieg unter 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter halten kann“. Al-Jaber sagte vorher auch, dass die Emissionen bis 2030 um 43% gesenkt werden müssen, denn was die Wissenschaft sagt, muss befolgt werden. Und trotzdem plant sein Ölunternehmen ADNOC, die Ölproduktion bis 2030 um 600000 Barrel pro Tag zu steigern und 150 Mrd. Dollar mehr für die Ölproduktion zu investieren.
Stellt Euch das vor!
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!