Frauenrechtsaktivistinnen schaffen es selten in Schlagzeilen. Darum Beispiele von Frauen, die im Bosnienkrieg vergewaltigt wurden.
Barbara Marti für die Onlinezeitung Infosperber
«Mein Vater ist ein Kriegsvergewaltiger»
Ajna Jusić ist das Kind einer Vergewaltigung im Bosnienkrieg. Als Teenagerin hat sie dies erfahren. Mit Anfang 20 brach sie das Schweigen. Sie wurde Mitgründerin des Vereins «Vergessene Kinder des Krieges», der sich für die Rechte von Kindern vergewaltigter Mütter und gegen deren Stigmatisierung einsetzt. Bisher grösster Erfolg war letztes Jahr die Anerkennung in Bosnien der «Kinder des Krieges» als zivile Kriegsopfer. Das sei weltweit einzigartig, sagte die 30-Jährige im Interview mit der deutschen Frauenrechts- und Hilfsorganisation «Medica Mondiale».
Mit der rechtlichen Anerkennung seien die «unsichtbaren Kinder» sichtbar geworden. In diesem Herbst hat das «Internationale katalanische Institut für Frieden (ICIP)» dem Verein «Vergessene Kinder des Krieges» einen Friedenspreis verliehen. Anlässlich der Entgegennahme kritisierte Jusić, dass die internationale Gemeinschaft Überlebende sexualisierter Kriegsgewalt und deren Kinder nach wie vor zu wenig unterstützt und damit zu wenig für den Frieden tut.
Ihre Mutter und ihr Stiefvater hätten sie beim Gang an die Öffentlichkeit unterstützt, sagt Jusić. «Als ich das erste Mal öffentlich über meine Geschichte sprach, war meine Mutter dann aber doch ängstlich. Sie wollte nicht, dass die Gesellschaft oder Behörden mich verurteilen. Sie hat sich auch Sorgen gemacht, weil die Täter immer noch frei sind. Ich kenne ihre Gesichter nicht – sie aber schon. Mittlerweile hat sie mein Engagement akzeptiert. Sie balanciert zwischen Akzeptanz und Angst.»
Der Austausch mit anderen Betroffenen, die aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen kommen, sei für sie sehr wichtig, sagt Jusić. Sie seien Freundinnen und Freunde geworden, wie eine Familie. «Durch uns treffen sich auch unsere Eltern, Onkel, Tanten – das ist auch für den Friedensprozess in Bosnien und Herzegowina wichtig.» Es gehe um innergesellschaftliche Aussöhnung. «Als Gruppe haben wir die Stärke gefunden, der Gesellschaft von unseren Müttern zu berichten – wir verändern dieses Land in eine gute Richtung. Davon bin ich überzeugt.»
«Eine furchtlose Frau»
In Afghanistan ist Anfang dieses Jahres Mursal Nabisada erschossen worden. Die Frauenrechtsaktivistin war bis zur Machtübernahme der Taliban Abgeordnete im afghanischen Parlament. Die 32-Jährige wollte eigentlich das Land verlassen, wie ihre frühere Parlamentskollegin Shinkai Karokhail der «New York Times» sagte. Doch Nabisada blieb, weil sie ihre Familie hätte zurücklassen müssen. Sie war eine der wenigen Politikerinnen, die das Land nach der Machtübernahme der Taliban nicht verliessen. Einige Monate vor ihrer Ermordung hatte Nabisada im Interview mit dem lokalen TV-Sender «Arezo» die Entrechtung der Frauen durch die herrschenden Taliban kritisiert. Sie sagte, dass Frauen zu Hause «eingesperrt» und «lebendig begraben» seien. Zum Interview erschien sie verhüllt und mit schwarzer Gesichtsmaske, die nur ihre Augen frei liess. Als ein Kellner ihr Kuchen und Tee brachte, fragte sie belustigt, wie sie so Kuchen essen und Tee trinken soll. Der Interviewer lachte und sagte ihr, die Maske sei eine Vorschrift des Ministeriums für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern.
Die ehemalige Abgeordnete Mariam Solaimankhil bezeichnete Nabisada auf X als «eine echte Pionierin – eine starke, furchtlose Frau, die für das eintrat, woran sie glaubte, selbst im Angesicht der Gefahr».
Frauenrechts-Aktivistinnen sind seit Jahren Zielscheibe der Taliban. In diesem Sommer wurde die YouTuberin Hora Sadat ermordet, berichtete «KabulNow». Eine Gruppe mutiger Aktivistinnen warf darauf den Taliban öffentlich vor, in den letzten zwei Jahren mindestens 18 Frauenrechtsaktivistinnen ermordet zu haben. «KabulNow» ist eine englischsprachige Online-Zeitung der investigativen afghanischen Tageszeitung «Etilaatroz». Diese musste nach der Machtübernahme der Taliban ihre Büros nach Washington verlegen.
«Beide Frauen haben nicht geschwiegen»
Im Iran führte letztes Jahr der Tod der jungen Jina Masha Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei landesweit zu Protesten für Freiheit und Frauenrechte. Zwei Journalistinnen, die darüber berichteten, verurteilte das Revolutionsgericht kürzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu langjährigen Haftstrafen. Nilufar Hamedi von der Zeitung Shargh muss für sieben Jahre und Elaheh Mohammadi von der Zeitung Ham-Mihan für sechs Jahre ins Gefängnis, berichtete die reformorientierte iranische Zeitung «Etemad». Gegen die Urteile ist noch Berufung möglich.
Hamedi hatte als allererste den Tod von Masha Amini öffentlich gemacht. Sie wurde kurz darauf festgenommen und in Einzelhaft gesteckt. Elaheh Mohammadi berichtete über die Beerdigung von Amini und wurde danach ebenfalls verhaftet. Das Gericht warf beiden vor, «ausländische Agentinnen» zu sein und mit ihrer Berichterstattung die Proteste ausgelöst zu haben. Beide Journalistinnen und ihre Arbeitgeber bestreiten die Vorwürfe.
Im vergangenen Frühjahr erhielten die beiden in Abwesenheit den Pressefreiheitspreis der Uno-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco). Zainab Salbi, Vorsitzende der Jury, sagte damals: «Wir wollen die mutige Arbeit iranischer Journalistinnen würdigen, deren Berichterstattung zu einer historischen, von Frauen geführten Revolution geführt hat. Sie haben einen hohen Preis dafür bezahlt, die Wahrheit zu berichten.» Im Juni ehrte das deutsche «Netzwerk Recherche» die beiden Journalistinnen für ihre mutige Berichterstattung über den Tod von Jina Mahsa Amini mit dem «Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen». Der iranische Journalist Omid Rezaee, der seit einigen Jahren in Deutschland lebt, hielt eine berührende Laudatio. Beide Journalistinnen seien sich der Gefahr ihrer mutigen Berichterstattung bewusst gewesen. Und beide hätten trotzdem nicht geschwiegen.
Im Iran ist kürzlich wieder eine junge Frau nach tagelangem Koma gestorben. Armita Garawand war laut Menschenrechtsorganisationen von Sittenwächterinnen angegriffen worden, weil sie kein Kopftuch trug. Irans Behörden wiesen wie im Fall von Jina Masha Amini jede Mitschuld an ihrem Tod von sich.