Zurück aus Dubai haben wir Virginia Careri, Aktivistin der NGO Welthungerhilfe, interviewt.

Möchtest du uns etwas über dein Engagement für die Umwelt bei der NGO erzählen, für die du arbeitest?

Ich arbeite für eine deutsche NGO, die Welthungerhilfe, die in mehreren Ländern auf der ganzen Welt tätig ist, darunter auch in Madagaskar, wo ich mich aufhalte. Dort führen wir Projekte in den Bereichen Landwirtschaft, Ernährungssicherheit, Ernährung, Hygiene und ländliche Wirtschaftsentwicklung durch. Die Projekte zielen darauf ab, die Widerstandsfähigkeit der Menschen vor Ort zu stärken, um Naturkatastrophen zu bewältigen und ihre Risiken zu verringern, und zwar durch Antizipation, Frühwarnung und Notfallmaßnahmen. Persönlich begleite ich unter anderem einige Mitglieder der Regierung beim Erstellen des Emissionsbudgets des öffentlichen Abwassersektors, das auch die Einführung von NDCs (Nationally Determined Contributions; national festgelegte Beiträge) und die Umsetzung von Maßnahmen umfasst, die zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens beitragen.

Welche Länder hast du bereist und auf welche Probleme bist du gestoßen und was hast du beobachtet?

Ich habe lange Einsätze in der Demokratischen Republik Kongo, Haiti, Burkina Faso und Madagaskar geleistet und bin für kurze Einsätze in verschiedene andere Länder gereist (Mali, Niger, Palästina, europäische Länder). Es ist äußerst kompliziert, die Vielfalt der Probleme zusammenzufassen, aber im Rahmen des Klimawandels sollte ich auf jeden Fall das schreckliche Erdbeben in Haiti im Jahr 2020 und die extremen Dürrekrisen in der Sahelzone in den Jahren 2012 – 2014 erwähnen, die die so genannte „Periode de Soudure“, also die „Saison ohne Ernte“, enorm verlängert und zu gravierenden Nahrungsmittellücken von bis zu 6 Monaten geführt haben. Im Fall von Madagaskar: Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren, steigende Meerestemperaturen, Rückgang der Artenvielfalt und so weiter.

Gibt es gute Ergebnisse, auf die du stolz bist und die du als Beispiele anführen möchtest?

Sicherlich gibt es viele positive Ergebnisse, aber es ist sehr heikel, ihre langfristige Beständigkeit genau zu beurteilen. Bei Projekten, die auf eine Notsituation reagieren, ist sicher der menschliche Faktor der vorherrschende und nicht unbedingt die Entwicklung lokaler Kapazitäten. Wenn eine Familie von einer Katastrophe betroffen ist, ist das erste Ziel, mit der Verteilung von Grundnahrungsmitteln, Wasser, Hygieneartikeln usw. zu helfen. Es ist immer ein bewegender Moment, einem Menschen im Unglück beistehen zu können. Doch solche Aktionen stoppen eine Blutung, ohne die Krankheit zu heilen. Heute ist im humanitären Sektor viel von einem „Nexus“-Ansatz die Rede, d. h. einem Ansatz, der darauf abzielt, unmittelbar nach der Nothilfe Maßnahmen zu ergreifen, die auf Widerstandsfähigkeit, nachhaltige Entwicklung und den Aufbau lokaler Kapazitäten ausgerichtet sind. Einige der Projekte in diesem Bereich bringen gute Ergebnisse, aber es ist noch ein weiter Weg. Persönlich habe ich die spannendsten Ergebnisse immer bei der Kindererziehung erlebt, einem Bereich, in den ich sehr viel Zeit und Energie investiert habe. Kinder sind die Zukunft, die einzige Hoffnung auf Veränderung und Umkehr der aktuellen Tendenz. Durch die Reinheit ihres Geistes und ihres Denkens sind sie die wichtigsten Botschafter. In den Schulen haben wir erstaunliche Ergebnisse erzielt und deshalb bin ich der Meinung, dass die grössten Investitionen in Bildung und Ausbildung fließen sollten, wobei nicht akademische Formen bevorzugt werden sollten, sondern kreative und zunehmend ganzheitliche Modelle.

Du warst vor kurzem in Dubai, einem weiteren Schauplatz der Heuchelei der Mächtigen (auch der abwesenden…), die den Wirtschaftslobbys zugeneigt sind. Ist das auch deine Meinung?

Als sich der Plan meiner Teilnahme herauskristallisierte, überwog sicherlich nicht die Begeisterung. Ich war nicht glücklich darüber, wegzugehen, noch darüber, mich auf eine solche Mission vorzubereiten. Ich spürte ein starkes Gefühl des Widerspruchs und der fehlenden Integrität in meinem Herzen. Gleichzeitig wurde ich aufgefordert, eine Delegation der Regierung von Madagaskar zu begleiten, die ohne die technische und finanzielle Unterstützung ihrer Partner eine solche Verpflichtung nicht hätte bewältigen können. Ich sagte daher zu, da ich es für wichtig hielt, das Land bei dieser Initiative zu begleiten – auch in Anbetracht der Tatsache, dass Madagaskar zum ersten Mal einen Pavillon auf der COP haben würde. Dadurch wurde der Widerspruch wahrscheinlich noch deutlicher. Länder wie Madagaskar gehören zu den Hauptopfern des Klimawandels und sicher nicht zu den Verursachern. Dies ist die Grundlage für die wichtigsten Ansprüche auf den Zugang zum „Loss and Damage“-Fonds und generell auf alle Finanz- und „grünen“ Fonds.
Alles läuft auf eine armselige finanzielle Frage hinaus, bei der Madagaskar fordert, für die erlittenen Verluste entschädigt zu werden. Werden diese Gelder dazu dienen, der Bevölkerung, die Opfer der Wirbelstürme geworden ist, ihre Würde und ihr Leben zurückzugeben? Werden sie dazu beitragen, die Landwirtschaft wieder zum Blühen zu bringen und in Zeiten der Dürre wieder Wasser fließen zu lassen? Werden sie dazu dienen, den endgültigen Verlust der Artenvielfalt wettzumachen? Natürlich nicht. Aber das macht ja nichts. Heute muss der Verursacher zahlen, und das scheint einer der wichtigsten Punkte zu sein, als ob Geld die unaufhaltsame Verwüstung aufhalten könnte, die uns ereilt. Selbst das Opfer wird zum Profiteur des maroden Systems.
Währenddessen diskutieren 80.000 Menschen darüber, was zu tun ist, um den Klimawandel zu stoppen, und die Antwort ist so einfach, dass man mit viel weniger Aufwand verkünden könnte: „Die Klimakrise ist eine Krise ohne Lösung“. Wir sind zu weit gegangen und die Zahlen sind keineswegs beruhigend. Wir sind nicht im Einklang mit den Zukunftsaussichten, Versprechen werden nicht eingehalten, Entscheidungen werden nicht umgesetzt, Kontrollen werden nicht durchgeführt und so weiter und so fort. Es gibt keine Möglichkeit, das aufzuhalten, was passiert, aber was wir tun müssen, ist verstehen, wie wir mit dem Wandel leben und Anpassungs- und Milderungsmaßnahmen umsetzen können. Nach dieser langen Einleitung kann ich also nur mit „Ja“ antworten: Es handelt sich um einen Schwindel, der die Welt glauben machen will, dass wir nicht tatenlos dasitzen, während der Planet gegen uns rebelliert. Die so genannte „Klimagerechtigkeit“, auf eine rein finanzielle Frage reduziert, ist nichts anderes als eine weitere Demonstration der neoliberalen kapitalistischen Kultur, die uns schon lange beherrscht und die darauf abzielt, uns alle zu Untertanen eines Macht- und Herrschaftssystems zu machen, in dem ganz sicher nicht die Natur gewinnt.

Welche Perspektiven siehst du für die Zukunft und wie schätzt du das Engagement junger Menschen ein?

Degrowth ist ein Weg, den niemand beschreiten will. Das ist klar und deutlich. Und deshalb frage ich mich, wie wir uns vorstellen können, unsere Auswirkungen auf das Klima mit den derzeitigen Lebens-, Produktions- und Konsumzyklen zu reduzieren. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen sind zu kolossal, und der Wandel, der in einigen Sektoren wie der Energiebranche stattfindet, ist nur ein winziger Tropfen auf den heißen Stein. Niemand will Degrowth und so sind die Aussichten recht deprimierend und katastrophal. Ich persönlich bin eine unheilbare Romantikerin und immer voller positiver Zuversicht. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich im Bezug auf die Klimakrise nur harte, sehr harte Zeiten für alle kommenden Generationen vorausssehe, die gezwungen sein werden, sich „anzupassen“ und „Resilienz“ gegenüber der Welt zu entwickeln, die sie geerbt haben. Ich appelliere an die jungen Menschen, Bewusstsein und echte Einsichten zu entwickeln. Ich fordere sie auf, gegen die Robotisierung unserer Gehirne zu kämpfen, durch die das System unser Leben perfekt kontrollieren und unsere Entscheidungen und Handlungen steuern kann. Das ultimative Ziel ist es, dass wir abgelenkt, unkonzentriert, geistesabwesend und unreflektiert sind. Das ist für mich ein viel kritischerer Punkt als der Klimawandel. Diese Art von roboterhafter Intelligenz wird sicherlich nicht in der Lage sein, das System zu bekämpfen. Deshalb möchte ich mit diesem Fazit schließen: Wenn wir nicht in der Lage sind, uns selbst zu retten und gegen die Beherrschung unseres Denkens und die Gefangenschaft unserer Seele durch die heute vorherrschende neoliberale Kultur anzukämpfen, werden wir sicher auch nicht in der Lage sein, den Planeten zu retten. Das ist es, was ich mir von jungen Menschen wünsche: Eine neue Generation, die es versteht, sich von ihren Ketten zu befreien und sich im Denken umzuerziehen, die es versteht, bewusst und aufgewacht zu leben. Wenn wir uns nicht selbst retten und eine gesunde, starke und integre Gemeinschaft aufbauen, dann wird uns bald nicht einmal mehr ein Planet zum Leben nützen.

 

Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!