Am 17. Dezember wird der neue chilenische Verfassungsentwurf, der in den letzten Monaten von einem von der extremen Rechten dominierten Verfassungsrat ausgearbeitet wurde und der bei den Wahlen zum Verfassungsrat am 7. Mai [2023] einen überwältigenden Sieg errungen hat, einem Referendum unterzogen.

Der vorherige Verfassungsentwurf, der in vielen Aspekten sehr fortschrittlich war, wurde beim Referendum im September 2022 abgelehnt.

Wir sprachen mit Tomás Hirsch, Mitglied der chilenischen Abgeordnetenkammer und Präsident von Acción Humanista, über die politische und soziale Lage und die Perspektiven der progressiven Kräfte.

Was geschah nach der Wahl im Mai? Gab es trotz der Niederlage Fortschritte bei der Umsetzung des Transformationsprogramms, das Gabriel Boric an die Regierung gebracht hat?

Bei der Abstimmung im Mai, als die Mitglieder des Verfassungsrates gewählt wurden, gab es einen enormen Sieg für die extreme Rechte und eine Niederlage für die fortschrittlichen Kräfte, und deshalb waren diejenigen, die bei der Ausarbeitung des Verfassungsvorschlags federführend waren, genau die Vertreter:innen dieser extremen Rechten. Deshalb stellt der Vorschlag, über den wir heute abstimmen müssen, nur die Meinung dieses Sektors dar, der mit seiner überwältigenden Mehrheit im Verfassungsrat keine Kompromisse einging, keine Vereinbarungen suchte und keinen Konsens mit den übrigen politischen Kräften herstellte, sondern einfach seine Mehrheit nutzte, um seine Formulierung der Artikel und Kapitel des Verfassungsvorschlags durchzusetzen.

Auch nach dem Ergebnis der Mai-Abstimmung hat die Regierung ihre Arbeit und die Umsetzung ihres Programms fortgesetzt, trotz aller Schwierigkeiten, die eine Minderheit im Kongress, sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat, mit sich bringt. Die Regierung hat jedoch ihre Prioritäten beibehalten, um auf die Forderungen und Bedürfnisse der Bürger:innen einzugehen.

Gleichzeitig wurde die Regierung vom verfassungsmäßigen Prozess abgekoppelt, wie es das Gesetz vorsieht. Die Rechten haben immer wieder versucht, das Plebiszit am 17. Dezember in eine Abstimmung für oder gegen die Regierung zu verwandeln, was eine Art Plebiszit über die Regierung darstellt. Die Regierung ist jedoch nicht in diese Falle getappt und hat sich völlig aus dem Verfassungsprozess herausgehalten. Es sind die politischen Parteien, die sozialen Organisationen, die Frauen-, Jugend-, Arbeiter- und Indigenen-Organisationen, die sich aktiv an dieser grundlegenden Bürger:innenkampagne beteiligen, während die Regierung mit ihrer Aufgabe fortfährt.

Acción Humanista beteiligt sich an der Kampagne, um gegen den neuen Verfassungsentwurf zu stimmen. Was sind deiner Meinung nach die gefährlichsten Aspekte des Entwurfs, über den die Chilenen am 17. Dezember [2023] abstimmen müssen?

Acción Humanista beteiligt sich sehr aktiv an der Kampagne EN CONTRA (Dagegen), d.h. wir setzen uns für die Verbreitung dessen ein, was dieser Verfassungsentwurf bedeutet, wenn er zur chilenischen Verfassung wird. Es handelt sich um einen äußerst regressiven Vorschlag, der einen echten zivilisatorischen Rückschritt bedeutet und den Fortschritt bei den Anforderungen, Bedürfnissen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verhindert.

Der von der Rechten entwickelte Vorschlag hat viele gefährliche, negative und regressive Aspekte. Erstens bedeutet er einen gigantischen Rückschlag für die Rechte der Frauen, und das Gesetz, das heute die Abtreibung aus drei Gründen erlaubt, könnte annulliert werden. Es gibt Rückschläge im Bereich der Gesundheit, da das in Chile bestehende private Gesundheitssystem auf Verfassungsebene verankert ist. Ein enormer Rückschlag für Arbeitnehmer:innen und Rentner:innen, da das Streikrecht eingeschränkt wird und andererseits das private Rentensystem verfassungsrechtlich verankert wird, was künftige Fortschritte in Richtung eines solidarischeren und gerechteren Systems mit besseren Renten verhindert.

Der Vorschlag enthält einen Artikel, der die Freilassung von Völkermord-Gefangenen erlaubt, also von Menschenrechtsverletzern der Diktatur, die nach sehr langen Prozessen zu Haftstrafen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden, die während der Jahre der zivil-militärischen Diktatur begangen wurden.

Der Vorschlag schadet allen ärmsten Gemeinden des Landes, da er es den reichsten Sektoren Chiles ermöglicht, von der Beitragssteuer befreit zu werden, d.h. von der Steuer, die man für die Immobilien, die man besitzt, zahlt. Diejenigen, die diese Steuern zahlen, sind natürlich die Reichsten, etwa 22 % der Familien. 78 % sind von dieser Steuer befreit. Sie schlagen vor, diese Steuer abzuschaffen, von der gerade die 200 ärmsten Gemeinden des Landes profitieren. Das bedeutet einen enormen Rückschlag und lässt die ärmsten Sektoren des Landes ohne die notwendigen Mittel für die enormen Bedürfnisse, die sie auf kommunaler Ebene haben.

Der Vorschlag ignoriert die Dringlichkeit des Klimawandels, der globalen Erwärmung und des ernsten Problems, das Chile in Gegenwart und Zukunft im Umweltbereich betrifft.

Der Vorschlag gesteht den indigenen Völkern, insbesondere den Mapuche, nicht die Rechte zu, für die sie seit Jahrzehnten kämpfen. Heute erkennt eine große Mehrheit des Landes an, dass es notwendig ist, den indigenen Völkern eine verfassungsmäßige Anerkennung zu gewähren.

Kurz gesagt, die Liste der Rechtsverluste und Rückschläge ist sehr lang und ist der Grund dafür, dass heute eine Mehrheit der Chilen:innen, laut den letzten Umfragen, bei der Volksabstimmung am 17. Dezember dagegen stimmen wird.

Welche Szenarien eröffnen sich in Abhängigkeit vom Ausgang des Referendums?

Wenn die En Contra (Gegenseite) gewinnt, wie wir alle hoffen, haben wir sehr deutlich gesagt, dass dieser Prozess hier endet. Die Bedingungen sind nicht gegeben, um einen dritten Prozess zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs zu beginnen. Wir werden auf einen anderen Zeitpunkt in der Zukunft warten müssen, wenn es wieder möglich sein wird, einen alternativen Vorschlag zur aktuellen Verfassung zu machen, aber das wird später sein.

Wir Humanisten haben 40 Jahre lang dafür gekämpft, eine neue und gute Verfassung zu bekommen, um mit Pinochets Verfassung Schluss zu machen. Aber wir sind nicht bereit, diese schlechte Verfassung durch etwas Schlechteres zu ersetzen, durch einen Vorschlag, der einen großen Rückschlag bedeuten würde. Der Vorschlag, den wir am 17. Dezember zur Volksabstimmung stellen müssen, ist sehr schlecht, und wenn er angenommen wird, würde er ein Modell konsolidieren, das für das Land katastrophal war, aber jetzt in der Demokratie „bestätigt“ und in seinem wirtschaftlichen und werteorientierten Fundamentalismus vertieft wurde. Das heißt, mit erheblichen Rückschlägen bei den wenigen Rechten, die in den letzten Jahrzehnten erreicht wurden.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!