Demokratie ist zum Reizwort geworden. In meiner Umgebung – sagt das etwas über mich aus? Einiges vermutlich! – bekunden die meisten meiner Bekannten, heimlich noch, starke Zweifel, dass die Demokratie ein krisentaugliches Gesellschaftssystem darstellt. Interessanterweise halten viele, auch notorisch akademische Menschen, Demokratie für etwas Neues und Modernes. Allenfalls die alten Griechen hätten, mit vielen Einschränkungen, etwas Demokratisches hervorgebracht.
Von Bobby Langer
Da haben wir sie wieder mit voller Breitseite: die westlich zivilisatorische Hybris. Nein, Demokratie ist eben nichts Neues. In vielen indigenen Kulturen, wenn nicht sogar in den meisten, waren demokratische Strukturen so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Apropos „atmen“: Bei den First Nations in den USA und Kanada waren die demokratischen Strukturen ein wesentlicher Grund dafür, dass sie den totalitär dressierten Weißen weichen mussten – und Millionen Indigene ihr Leben verloren. Während in deren Lagern tagelang der Talking Stick von Redner zu Redner wanderte, um über Krieg und Frieden zu beraten, und die Einwände der Frauen gehört wurden, kam die Kavallerie und ritt, säbelte und schoss „die Primitiven“ über den Haufen. So war das damals mit der Demokratie.
Be prepared
Nun könnte es neuerdings leicht sein, dass uns die Kavallerie des zornigen Planeten über den Haufen reitet mit Sturm, Wellen- und Hagelschlag. Das befürchten, wie oben erwähnt, schon viele. Denn längst scharren die Rosse des Planeten unüberhörbar mit den Hufen. Und so mancher lagert im Keller Dauerkonserven ein – man weiß ja nie. Für Menschen, die ans nahe Ende glauben – was ich übrigens nicht tue – und deshalb ins Überlebenscamp fahren statt nach Mallorca, wurde sogar ein eigener Begriff geprägt: Prepper (vom alten Pfadfindergruß „be prepared“, seid vorbereitet). Google bringt es bei dem Begriff auf immerhin 12 Millionen Ergebnisse, Demokratie auf – noch – 82 Millionen.
Das Problem mit dem Ganghebel
Preppen mag zwar ein Sicherheitsgefühl verleihen, doch am Problem ändert es rein gar nichts. Und es berücksichtigt einen Teilaspekt des Problems nicht, der möglicherweise viel schlimmer ist als eine eventuelle Brennstoff- und Nahrungsmittelknappheit: das falsche Denken. Ich will mal am Beispiel Autofahren die Größe des Problems erläutern, mit dem wir zu kämpfen haben. Ich bin ca. 50 Jahre lang mit Gangschaltungs-Autos gefahren. Das hat bewirkt, dass ich tendenziell eher mit der linken Hand das Steuerrad halte, um die rechte jederzeit für den Ganghebel frei zu haben – eingeübt über ein paar Hunderttausend Kilometer. Bin ich auf der Autobahn unterwegs, wo ich sehr selten schalten muss, nehme ich mir ab und zu vor, schwerpunktmäßig mit der rechten Hand das Lenkrad zu halten. Zehn Minuten später halte ich es doch wieder mit Links. Schon einfache, jahrelang eingeübte Gewohnheiten zu ändern, ist enorm schwer, ja beinahe unmöglich.
Bis zum letzten Blutstropfen
Wie dann erst, wenn es sich um jahrtausendelang eingeübte Denkgewohnheiten handelt: dass wir als Herren der Welt der Natur überlegen sind; dass wir es besser können als sie; dass wir wertvoller sind als Tiere und noch viel wertvoller als die Kleinen, Stechenden oder sich Ringelnden; dass wir selbst einfach die Größten sind; dass andere als wir deshalb zwangsläufig nur Recht haben können, wenn sie unserer Meinung sind. Und so weiter. Es sind Denkmuster, die uns in Fleisch und Blut übergegangen sind und die wir, wenn wir sie uns nicht bewusst machen, verteidigen bis zum letzten Blutstropfen.
Die kreischende Säge
Da genügt es nicht, sich „anders denken“ vorzunehmen. Das wäre, kaum ausgedacht, zum Scheitern verurteilt. Nein, wir müssen unsere komplette Weltanschauung ändern, sonst wird das nichts – und wenn es uns den existenziellen Boden unter den Füßen wegzieht. Da hilft nur ein ontologisches Preppen. Vielleicht unterstützt dabei die Einsicht, dass es uns unendlich (!) erleichtern würde, wenn wir es denn schafften. Wieso erleichtern? Nun, unser ständiges, vollautomatisiertes Vergleichen und Bewerten erzeugt auch einen vollautomatisierten Dauerstress in uns, ein unangenehmes, seelisches Hintergrundgeräusch, so als würde in der Ferne eine Säge kreischen. Sie tut das nur leise – anders könnten wir es gar nicht aushalten –, sodass wir sie leicht vergessen, aber sie ist nun einmal da. Und wenn wir begriffen haben, dass diese Hybris falsch ist, so kreischt die Säge mit wachsendem Bewusstsein nur umso lauter.
Eine neue Familie, eine neue Schule
Es nützt wenig, gegen das uns seit Geburt anerzogene Überlegenheitsgefühl anzukämpfen. Wir müssen das Falsche radikal und ersatzlos streichen, so wie wir einst unseren Glauben, die Erde sei die Mitte des Universums, gestrichen haben. Ach, wie gut uns dieser ontologische Wechsel tun wird! Wir sind dann nicht mehr einsam unter kalten Sternen, sondern umgeben von Myriaden tierischer und pflanzlicher Geschwister. Wir müssen dann nicht mehr kämpfen von Tag zu Tag. Denn unsere Familie wird reich geworden sein, unendlich bunt, vielfältig und interessant, spannend und lehrreich. Was für Aussichten, und was für eine neue Schule!