Peter Grohmanns Ansprache Eröffnung der Plakat-Ausstellung „75 Jahre Menschenrechte – Mein Name ist Mensch“ in Bad Urach.
Schlimme Zeiten für die Menschenrechte
Es sind schlimme Zeiten für die Menschenrechte, da sind wir uns einig, noch bevor Sie auch nur ein Plakat der Ausstellung „Mein Name ist Mensch“ gesehen, ein Wort gehört haben. Plakate und die AkteurInnen, die sie erdacht, getextet, gestaltet und idealerweise an Hauswände statt in die Galerien gehängt haben, machen sich öffentlich in einer Weise, wie sie Hannah Arendt in anderen Kontexten beschreibt:
„Gewonnen wird die Humanität nie in der Einsamkeit und nie dadurch, daß einer sein Werk der Öffentlichkeit übergibt. Nur wer sein Leben und seine Person mit in das Wagnis der Öffentlichkeit nimmt, kann sie erreichen …
… Man exponiert sich im Lichte der Öffentlichkeit, und zwar als Person. Ich weiss, daß in jedem Handeln die Person in einer Weise zum Ausdruck kommt wie in keiner anderen Tätigkeit. Wobei das Sprechen auch eine Form des Handelns ist…
…Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie. Das ist ein Wagnis. Dieses Wagnis ist nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen Vertrauen auf das Menschliche.“
Auszugsweise aus Hannah Arendt 1964 in einem Gespräch mit Günter Gaus.
Beleidigte aller Länder, vereinigt euch
Die Debatten der letzten Zeit werden schwieriger, da ist viel verloren gegangen vom Zuhören-Können, vom Widersprechen, vom Aushalten anderer Meinungen.
Beleidigte aller Länder, vereinigt euch. Bei allem Widerspruch, bei allen Differenzen aber geht unsere Arbeit von der festen Überzeugung aus, dass unser kleinster gemeinsamer Nenner die Menschenrechte sein müssen. Darunter geht gar nichts, darunter stirbt alles ab. Unter dieser Prämisse arbeiten die AnStifter, ein zivilgesellschaftliches, weitgehend ehrenamtlich arbeitendes Projekt gegen Gewalt und Vergessen, das hinter dieser Ausstellung, der Kampagne für Menschenrechte steht – mit Jochen und Martin Stankowski, mit Gerhart Baum, Frank Richter, mit vielen Institutionen, Einrichtungen, Bildungsträgern…
Vertrauen verspielt oder nur verloren?
Wenn wir diesen gemeinsamen Nenner – die Erklärung Menschenrechte – als Kompass verlieren, verlieren wir das Vertrauen in Staat und Institutionen, in die Demokratie, die Republik – wobei dieses Vertrauen selbstverständlich unsere Kritikfähigkeit und Widerspenstigkeit voraussetzt. Und vorausgesetzt ist auch, dass die 30 Artikel ein Wegweiser sein können, dass aber der Weg zur Realisierung der Menschenrechte noch weit und anstrengend sein wird. Nein, nicht ‚auswärts“, auch bei uns. Momentan nähern wir uns einem Vertrauensverlust in beängstigender Weise. Die Ratlosigkeit, wie man dagegen halten könnte, ist groß. Denn all unsere Arbeit aus Jahrzehnten, all Ihre Aufklärungsarbeit, all unsere Kritik, all die Vorträge und Debatten, Filme, Bücher, Medien konnten offensichtlich nicht verhindern, dass der Populismus gewalttätig an Boden gewinnt, dass Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt zunehmen wie selten zuvor. Ich möchte nicht behaupten, dass ‚geistige‘ Verfassung, Medienkompetenz, Wissen, Bildung etc. pp. von Millionen Menschen nichts mit unserer Arbeit zu tun haben. Pisa lässt grüßen. Aber ich fürchte noch etwas ganz anderes: Die Abwiegler, die vielen, die verwundert den Kopf schütteln über solche Befürchtungen und deren Vertrauen fast grenzenlos ist.
Zukunft Demokratie
Vielleicht braucht es, was die politische (und allgemeine) Bildung angeht, ein neues, ein Anders-Denken, ein enges Zusammenrücken von zivilgesellschaftlichen AkteurInnen, von staatlichen, kommunalen und freien Trägern, von Eltern-verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, sozialen Einrichtungen, von Sponsoren, von Kinos, Theatern, Clubs, Bühnen, Prominenten, von Kultur- und Medienschaffenden, von Schulen und Universitäten, von und BürgerInnen wir du und ich. Bei aller Kritik und Unterschiedlichkeit: Von Demokratie-Rettern. Ein Bündnis für das Grundgesetz, für die Menschenrechte, für die Republik. Die ‚Vorlage‘ für das Grundgesetz, das im Mai 2024 ebenfalls 75 Jahre alt wird, war die Erklärung der Menschenrechte. Zukunft Demokratie, das ist gemeinsam zu bereden!
Ja, da müssen wir unsere Grenzen sprengen, die vielen Scheuklappen beim Hindernisrennen für die Republik abnehmen, mehr Mut zu neuem Wegen haben. Dazu wollen wir Sie anstiften. Und ich wiederhole Hannah Arendt:
Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie. Das ist ein Wagnis. Dieses Wagnis ist nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen Vertrauen auf das Menschliche.“
Peter Grohmann
Autor und Kabarettist, Gründer der AnStifter, www.die-anstifter.de
Plakat-Ausstellung in Bad Urach, Landeszentrale für politische Bildung, Haus auf der Alb, am 5.12.2023