Ukraine treibt Ausbau ihrer Rüstungsindustrie mit westlicher Hilfe voran und will „führende Nation“ in der Branche werden. Rheinmetall hat bereits Joint Venture zur Panzerherstellung geschlossen.
Die Ukraine treibt den Ausbau ihrer Rüstungsindustrie voran und wirbt nach Abschluss eines Kooperationsdeals mit der deutschen Waffenschmiede Rheinmetall um US-Konzerne. Wie Ende vergangener Woche bekannt wurde, wird Kiew in gut zwei Wochen auf einer Konferenz in Washington auf die Ansiedlung von US-Rüstungsfabriken in der Ukraine dringen. Rheinmetall ist dort bereits präsent, steigt nun mit der Instandsetzung an der russisch-ukrainischen Front beschädigter Panzer ein und will langfristig bis zu 400 Kampfpanzer vom Typ Panther in der Ukraine fertigen – auch für den Export, da die Löhne in der Ukraine extrem niedrig sind. Die ukrainische Regierung bemüht sich um Joint Ventures westlicher Rüstungskonzerne mit der einheimischen Industrie, um einerseits künftig wegfallende Waffenlieferungen aus dem Westen ersetzen zu können, andererseits die Ukraine als zentrale Rüstungsdrehscheibe zu positionieren. Die Herstellung von Kriegsgerät soll künftig zu einer Hauptbranche der ukrainischen Wirtschaft werden; Regierungsmitglieder sehen ihr Land auf dem Weg, bis zum Jahr 2040 „die führende Nation in der Rüstungsindustrie“ zu werden.
„Führungsnation in der Rüstungsindustrie“
Kiew hat die verschiedenen Bestrebungen, den schnellen Ausbau der Rüstungsproduktion in der Ukraine voranzutreiben, bereits am 29. September mit seinem „Ersten internationalen Forum der Verteidigungsindustrie“ zu bündeln versucht. Hintergrund ist zum einen die absehbar schwindende Bereitschaft im Westen, die ukrainischen Streitkräfte auf Dauer bevorzugt mit gewaltigen Mengen an Waffen und Munition zu beliefern. Dem will Kiew mit dem Ausbau seiner eigenen Fertigung Rechnung tragen. Zum anderen gilt der Aufbau einer starken Rüstungsindustrie als ein wichtiges Element der Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die mit Blick auf mögliche Verhandlungen mit Russland über eine Beendigung der Kämpfe immer wieder gefordert werden; eine solche Industrie würde die Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte im großen Stil aus eigener Kraft erlauben. Kiew schreibt der Branche bereits eine tragende Funktion beim Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft zu; die Ukraine solle zu einem „großen militärischen Knotenpunkt“ werden, äußerte Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Abschluss des „Forums der Verteidigungsindustrie“.[1] Der Minister für strategische Industrie der Ukraine, Oleksandr Kamyschin, bekräftigte kürzlich: „Wir wollen bis 2040 die führende Nation in der Rüstungsindustrie sein.“[2]
Vergünstigungen für Waffenschmieden
Um ihre marode Rüstungsindustrie auszubauen und vor allem zu modernisieren, ist die Ukraine auf Unterstützung westlicher Rüstungskonzerne angewiesen. An dem Forum vom 29. September nahmen laut Angaben der ukrainischen Regierung 252 Unternehmen aus mehr als 30 Ländern teil. Kiew umwarb sie mit der Ankündigung, für die Rüstungsbranche finanzielle Vergünstigungen einzuführen; konkrete Angaben dazu wurden für Ende des Jahres in Aussicht gestellt.[3] Die Entwicklung neuer Waffentechnologien soll unter anderem aus einem neuen Verteidigungsfonds gefördert werden, dessen Mittel die ukrainische Regierung nicht zuletzt aus dem Verkauf russischen Staatseigentums gewinnen will. Details dazu sind allerdings ebenfalls noch unklar. Laut Angaben der ukrainischen Regierung konnten während des Forums 20 Vereinbarungen mit ausländischen Unternehmen unterzeichnet werden, die sich beispielsweise auf den Bau von Drohnen und die Reparatur von Waffen bezogen. Zudem wurde ein „Bündnis der Verteidigungsindustrie („Defense Industries Alliance“) gegründet, dem bis Ende September 38 Unternehmen aus 19 Ländern beigetreten waren. Mit einer Rede meldete sich auf dem Forum auch Ex-Google-Chef Eric Schmidt zu Wort. Schmidt gilt zur Zeit als einer der Hauptprotagonisten beim US-Bestreben, Künstliche Intelligenz (KI) militärisch nutzbar zu machen.[4]
400 Kampfpanzer pro Jahr
Zu den Unternehmen, die bereits früh Interesse an einer Waffenproduktion in der Ukraine angemeldet haben, gehört der deutsche Rheinmetall-Konzern. Rheinmetall kooperiert dabei mit dem ukrainischen Konglomerat Ukroboronprom, das mittlerweile in Ukrainian Defense Industry (UDI) umbenannt worden ist. Die Gründung eines Joint Ventures der beiden Konzerne wurde am 24. Oktober offiziell in Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz vollzogen. Die Mehrheit an dem Gemeinschaftsunternehmen hält mit 51 Prozent Rheinmetall; UDI muss sich mit 49 Prozent begnügen. Seinen Sitz hat das binationale Joint Venture in Kiew.[5] Die ersten Aktivitäten bestehen in der Instandsetzung von Fahrzeugen, die an der ukrainisch-russischen Front beschädigt wurden. Darauf aufbauend sollen im nächsten Schritt aus Teilen, die aus Deutschland geliefert werden, Panzer montiert werden. Die Rede ist vorläufig von Schützenpanzern des Modells Lynx und von Kampfpanzern vom Typ Panther.[6] Dafür könnten die in der Ukraine schon vorhandenen Panzerwerke genutzt werden, heißt es. Langfristig will Rheinmetall in einer neu zu bauenden ukrainischen Panzerfabrik bis zu 400 Kampfpanzer Panther jährlich produzieren. Einen Teil davon werde man auch exportieren. Die Fertigung in der Ukraine gilt aufgrund der überaus niedrigen Löhne im Land als vorteilhaft.
Haubitzen und Drohnen
Weitere westliche Rüstungskonzerne haben ebenfalls bereits konkrete Produktionsvorhaben in der Ukraine in Arbeit. So will etwa der britische Waffenbauer BAE Systems dort Kanonen herstellen; es handelt sich dabei um die Haubitze des Typs L119 mit einem Kaliber von 105 Millimetern, von denen schon vergangenes Jahr Dutzende an die ukrainischen Streitkräfte geliefert wurden. Die slowakische Rüstungsfirma Konštrukta hat vereinbart, gemeinsam mit ukrainischen Unternehmen eine Haubitze mit einem Kaliber von 155 Millimetern zu entwickeln.[7] Die Vereinigten Staaten kündigen nun für den 6./7. Dezember eine Konferenz in Washington an, auf der die Ukraine die US-Rüstungsindustrie umwerben will. Selenskyj äußert, eine gemeinsame Waffenfertigung werde „zweifellos sowohl Amerikaner als auch Ukrainer“ stärken.[8] Bereits mit dem Bau einer Fabrik begonnen hat die türkische Firma Baykar, die in der Ukraine ihre bekannten Bayraktar TB2-Drohnen bauen will. Geplant seien Investitionen im Wert von 100 Millionen US-Dollar, teilt das Unternehmen mit. Man sei sich sicher, dass das ukrainische Baykar-Werk nicht von russischen Raketen attackiert werde.[9] Bombardiert wurde allerdings im August das ukrainische Unternehmen Motor Sich, das sehr enge Beziehungen in die Türkei unterhält: Es fertigt Motoren für türkische Kampfjets und Drohnen, darunter Baykar-Drohnen.
Waffentests unter Kriegsbedingungen
Westliche Rüstungskonzerne profitieren dabei schon jetzt in erheblichem Maß vom Ukraine-Krieg, und das nicht nur über lukrative Aufträge zur Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte. So werden Waffen dort häufig zum ersten Mal im Kriegsalltag getestet. Britische Hersteller etwa beobachteten genauestens, wie ihre Produkte sich unter Kampfbedingungen bewährten, bestätigte kürzlich der britische Staatsminister für die Streitkräfte, James Heappey: „Man lernt sehr schnell, was funktioniert und was nicht funktioniert.“[10] Zudem erhalte man stets auch Informationen über die Waffen des russischen Gegners. Unternehmen, die bisher in einer Art Fünfjahresperspektive mit den britischen Streitkräften zusammengearbeitet hätten, verbesserten ihr Gerät nach Auswertung seines Einsatzes an der russisch-ukrainischen Front nun „innerhalb von fünf Wochen“. Die Weiterentwicklung der Rüstungsprodukte erfolge in einem Tempo, das man nur „in Kriegszeiten erwarten“ könne. Dazu tragen Berichten zufolge auch ukrainische Militärs bei. Sie fänden immer wieder „mit Improvisation und Kreativität … Verbesserungen“ an eingesetztem Gerät, mit denen es gelinge, „die Lebensdauer der Waffen zu verlängern“, heißt es.[11] Ihre Verbesserungen können auch von den Produzenten im Westen genutzt werden.
[1] Zelensky to foreign companies: Now is the right time to create a military hub in Ukraine. ukrinform.net 30.09.2023.
[2] Georg Ismar, Georg Mascolo: Selbst ist die Ukraine. Süddeutsche Zeitung 25.10.2023.
[3] Arsenal of the Free World: Results of the First International Defense Industries Forum. kmu.gov.ua 30.09.2023.
[4] Will Knight: Eric Schmidt Is Building the Perfect AI War-Fighting Machine. wired.com 13.02.2023.
[5] Georg Ismar, Georg Mascolo: Selbst ist die Ukraine. Süddeutsche Zeitung 25.10.2023.
[6] S. dazu Eine rüstungsindustrielle Basis für die Ukraine.
[7] Georg Ismar, Georg Mascolo: Selbst ist die Ukraine. Süddeutsche Zeitung 25.10.2023.
[8] Conference On Military-Industrial Cooperation Between U.S., Ukraine To Take Place In December. rferl.org 17.11.2023.
[9] Burak Ege Bekdil: Turkey’s Baykar to spend $100 million on Ukraine drone production. C4isrnet.com 10.10.2023.
[10] Sam Skove: UK sees ‘incredible acceleration’ in military capabilities from Ukraine war. defenseone.com 14.11.2023.
[11] Georg Ismar, Georg Mascolo: Selbst ist die Ukraine. Süddeutsche Zeitung 25.10.2023.