Cornelia Stolze für die Online-Zeitung INFOsperber
Neun solcher Zentren, die in einem globalen Netzwerk zusammengeschlossen sind, gibt es inzwischen weltweit – in Deutschland, Grossbritannien, in den USA, in Neuseeland, Australien und Kanada sowie in Afrika, Spanien und Taiwan.
Die SMC liefern Journalisten rasch «Statements von kundigen Fachleuten», «Einordnungen von unabhängigen Forschenden» und «verlässliche Argumente von reputierten Stimmen aus der Wissenschaft», so der Selbstbeschrieb des deutschen SMC. Gerade in Zeiten von Fake-News und Lügenpresse, so das SMC, biete man damit ein «Gegengewicht».
Im Fall der gehypten «Abnehmspritze» Wegovy etwa veröffentlichte das britische SMC fünf Stellungnahmen von Wissenschaftlern. Sie kritisierten mehrheitlich, dass der Wirkstoff nur zwei Jahre verschrieben werden dürfe. Einer der Zitierten war bis Juli 2022 Chefwissenschaftler bei Novo Nordisk, dem Hersteller von Wegovy. Er besass auch Aktien dieser Firma.
Das kam jedoch erst heraus, als kritische Journalisten nachfragten. Da hatte die Tagespresse die vom SMC eingeholten Zitate des früheren Chefwissenschaftlers, dass Wegovy ein «Game Changer» sei, bereits gedruckt, kritisierte der «Pharma-Brief» (Infosperber berichtete).
NZZ, Tamedia und Süddeutsche Zeitung zitieren fleissig aus den SMC-Aussendungen
Die Redaktionen der NZZ, der Tamedia-Zeitungen und der Süddeutschen Zeitung machen von den SMC reichlich Gebrauch: Rund 100-mal erfuhren die Leserinnen und Leser dieser Verlagshäuser allein in den letzten zwölf Monaten, dass ihnen Informationen serviert wurden, die ein SMC geliefert hatte. Dies wurde im Artikel offengelegt. Dazu kommen Artikel, bei denen es nicht deklariert wird. Vor allem die Wissenschaftsredaktionen greifen gern auf die SMC zurück. Auch Infosperber hat schon von «Science Media Centre» befragte Personen zitiert.
Das deutsche SMC, eine 2015 gegründete gemeinnützige GmbH mit Sitz in Heidelberg und Köln, beschreibt sich als «journalistisch arbeitende, unabhängige und gemeinwohlorientierte Institution» und wirbt mit geballter Kompetenz. «Mit einem ständig wachsenden Netzwerk von derzeit mehr als 1000 mitwirkenden Forschenden unterstützen wir aktuell über 1600 akkreditierte Medienschaffende bei ihrer Berichterstattung», heisst es auf der Website.
Die Redaktion besteht aus zehn Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten sowie zwölf weiteren Mitarbeitenden, die im sogenannten SMC Lab Werkzeuge für den Datenjournalismus der Zukunft entwickeln und die Redaktion unterstützen, Themen datengetrieben zu vertiefen.
«Täglich wird der Druck auf Journalistinnen und Journalisten stärker.»
Science Media Centre Germany
Derlei externe Hilfe für Zeitungen, Online-Nachrichtenportale, Radiosender und TV-Stationen ist nach Darstellung des SMC dringend nötig. Denn: «Täglich wird der Druck auf Journalistinnen und Journalisten wie Sie stärker. (…) Alle zehn Sekunden flattert eine neue wissenschaftliche Publikation herein. Die alle müssten gelesen und bewertet, Wichtiges von Unwichtigem getrennt werden.»
Als Lösung bietet das SMC Hilfe und Service an. Wenn ‚Breaking News‘ aus der Wissenschaft öffentlichen Wirbel versprechen, versorgt das Zentrum Medienvertreter mit Statements und Einschätzungen von Fachleuten. Zudem hilft das SMC Redaktoren, «wenn Sie unsicher sind, ob ein Thema aus der Wissenschaft auf die Titelseite oder in den Papierkorb gehört».
Die Zeit, der Spiegel, die Tagesschau, das Heute-Journal – alle verbreiten die Zitate
Laut SMC nehmen grosse und namhafte Redaktionen regelmässig diese Dienste in Anspruch. «Unsere Experten-Statements werden von den Wissenschaftsredaktionen etwa der Süddeutschen Zeitung, der «Zeit», des «Spiegels» und anderen stetig und steigend genutzt», verkündet es auf seiner Website. Insgesamt seien bis Ende 2021 bereits mehr als 19‘000 Beiträge mit Expertenzitaten erschienen, die das SMC eingeholt hatte. Anstelle einer Vielfalt von Stimmen aus der Forschung werden so in vielen Medien die immer gleichen Zitate einiger weniger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbreitet.
Auch Vertreter des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks stützen sich auf das, was das SMC ihnen als Stimmen aus der Wissenschaft präsentiert. Laut SMC werden dessen virtuelle Presse-Briefings im Schnitt von über 55 Medienschaffenden genutzt für ihre Print-Berichte in den Leitmedien, aber auch Video-Ausschnitte von Statements für ihre aktuellen Fernseh-Beiträge in ARD und ZDF, in Tagesschau, Tagesthemen oder im Heute-Journal.
Zu den Sponsoren des SMC zählen auch Pharmafirmen
Doch ganz so unabhängig, wie das SMC sich gibt, ist es nicht. Sein Budget und seine Zukunft hängen massgeblich von wenigen, einflussreichen Gönnern ab. Einige davon stammen aus der IT-Branche, andere aus dem Pharmabereich, wieder andere aus dem Medienbereich.
Gründungsgesellschafter und Hauptgeldgeber des SMC Germany ist mit 1,5 Millionen Euro pro Jahr die Stiftung von Klaus Tschira, der einer der Gründer des Software-Giganten SAP ist. Zweitgrösster Financier mit einem Betrag zwischen 50‘000 und 500‘000 Euro ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung und damit die deutsche Bundesregierung. Auch Google, die Bertelsmann-Stiftung und die Hertie-Stiftung haben das SMC schon mit 20‘000 bis 50‘000 Euro unterstützt. Zu den grösseren Spendern gehören bis heute zudem die Firmen BASF und Bayer (über eine Stiftung) sowie der Arzneimittelhersteller Janssen-Cilag. Mit kleineren Beträgen sind auch Verlage wie die Süddeutsche Zeitung, die Deutsche Presse-Agentur dpa, mehrere Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Max-Planck-Gesellschaft und das Berliner Max-Delbrück-Centrum dabei.
Mit der regierungs- und industrienahen Konstruktion steht das SMC Germany nicht allein.
Das Ziel: Dem öffentlichen Widerstand gegen Klonen und Gentechnik entgegentreten
Das erste SMC wurde 2002 in England gegründet. Anlass dafür war der Bericht einer Kommission des britischen Oberhauses über eine «Vertrauenskrise der Gesellschaft» gegenüber der Wissenschaft. Diese war zu dem Schluss gekommen, dass «der begründete oder unbegründete Widerstand der Öffentlichkeit», sei es als Bürger oder als Verbraucher, den technischen Fortschritt behindern könne.
Dies wiederum könne dazu führen, dass industrielle Investitionen in Produktion oder Forschung ins Ausland verlagert würden. Aktuelle Beispiele dafür, schrieben die Autoren des Berichts damals, seien «gentechnisch veränderte Lebensmittel, die nach dem Aufschrei über nicht entmischten Soja und Mais von Verbrauchern und Einzelhändlern im Vereinigten Königreich weitgehend boykottiert werden, das ‚therapeutische Klonen‘, für das derzeit ein Moratorium gilt, bis der Regierung ein Bericht einer Beratergruppe vorgelegt wird, die Bestrahlung von Lebensmitteln und die Tiefseeentsorgung von Offshore-Anlagen in den Gewässern um Europa».
Interessant am britischen Science Media Centre ist auch: Es ist in den Räumen des Wellcome Trust in London untergebracht. Dieser ist auch ein massgeblicher Financier des britischen SMC. Er trägt mehr als fünf Prozent des Jahresbudgets bei, zuletzt waren das knapp 800‘000 Euro. Der Wellcome Trust erscheint auf den ersten Blick wie eine gemeinnützige, politisch und finanziell unabhängige Stiftung.
Zu den grössten Sponsoren zählen Pharmafirmen
Doch das beträchtliche Vermögen von rund 45 Milliarden Euro steckt zu einem Grossteil in Unternehmen, die unter anderem Covid-19-Impfstoffe, -Medikamente und Diagnostika herstellen. Darunter Roche, Novartis, Abbott und Johnson & Johnson. Über Beteiligungen an der Investment-Firma Berkshire Hathaway ist der Wellcome Trust nach Informationen der Fachzeitschrift British Medical Journal zudem an den Erfolgen der Pharma- und Biotech- Unternehmen Merck, AbbVie, Biogen und Teva beteiligt.
Grösste Sponsoren des britischen SMC waren im Budgetjahr 2021/22 neben dem Wellcome Trust unter anderem AstraZeneca, GlaxoSmithKline, DeepMind Technologies, Diageo, Roche, Sanofi Aventis, Merck Sharp & Dohme, (MSD), Food Standards Agency, das Imperial College London, die Financial Times und die grossen Wissenschaftsverlage Elsevier sowie Springer Nature.
«Wenn man direkt und indirekt von Regierungsgeldern abhängig ist, ist das nicht gerade ein Garant für Unabhängigkeit bei umstrittenen Wissenschaftsthemen, bei denen die Regierung ja gern auf einer Seite steht.»
Norbert Häring, Wirtschaftsjournalist
Beim australischen SMC zählen die Regierung, Medienhäuser und Universitäten und ein Biotechnologieunternehmen (CSL) zu den grössten Förderern des dortigen SMC. Auch beim neuseeländischen Zentrum kam das Gründungsgeld von der Regierung. Beim spanischen SMC war es eine regierungsnahe Stiftung.
«Wenn man direkt und indirekt von Regierungsgeldern abhängig ist, ist das nicht gerade ein Garant für Unabhängigkeit bei umstrittenen Wissenschaftsthemen, bei denen die Regierung ja gern auf einer Seite steht», urteilt der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring, der kürzlich auch über die Verflechtungen der Science Media Center mit Regierungen und Konzernen berichtet hat.
Eingeladen waren nur Befürworter der Regierungspolitik – fachkundige Kritiker fehlten
Wie sich das konkret auswirken kann, beschreibt Häring am Fall Neuseeland. «Das mit Regierungsgeld gegründete neuseeländische Science Media Center war und ist sehr umtriebig dabei, die selbst im Vergleich mit dem wenig zimperlichen internationalen Standard besonders rabiaten Corona- Massnahmen der neuseeländischen Regierung mit stützenden Zitaten von ausgewählten Wissenschaftlern gegen Kritik zu verteidigen. Als die Regierung im April 2023 (!) beschloss, eine 7-Tages-Quarantänepflicht für Positivgetestete beizubehalten, begleitete das dortige SMC die Meldung mit vier Expertenstimmen von Wissenschaftlern, die sagten, dass diese Massnahme dringend nötig sei, zu einem Zeitpunkt als international Covid fast kein Thema mehr war.»
Ähnliche Tendenzen finden sich auch beim deutschen Science Media Center. Anfang September veranstaltete es ein virtuelles Presse Briefing zum Thema «Was erwartet uns im Corona-Herbst 2023?». Wer sich darin Vielfalt von Ansichten und unterschiedliche Sichtweisen erhoffte, wurde enttäuscht.
Alle drei geladenen Experten – darunter Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt, Leif Erik Sander vom Berliner Universitätsklinikum Charité und Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf – waren notorische Befürworter und Unterstützer der Massnahmen der deutschen Bundesregierung und von deren Impf-Kampagne.
Fachkundige Kritiker des deutschen Pandemie-Managements wie etwa Thomas Voshaar, Chefarzt des Lungen- und Thoraxzentrums in Moers, oder der Infektiologe und Experte für Patientensicherheit Matthias Schrappe, sucht man in den Veranstaltungen des SMC vergeblich. Sie kamen dort in den vergangenen dreieinhalb Jahren kein einziges Mal zu Wort.
Zur Not «am Gesetz vorbei»
Dennoch behauptet das SMC von sich selbst: «Wir wollen nicht Agitation betreiben, sondern Konsens ausloten. Wir wollen Argumente von kundigen Forschenden für den öffentlichen Diskurs bereitstellen.» Und: «Wir leben eine Kultur der Offenheit, sind gesprächsbereit und tolerant gegenüber Andersdenkenden.»
Im Zweifelsfall aber weiss man beim SMC, was falsch und was richtig ist. Das gesamte Team arbeite «ausgewogen» auf der Grundlage «gerechtfertigter Überzeugungen». Solche Überzeugungen haben beim SMC nicht nur die Gestaltung der eigenen Arbeit beim Thema Corona bestimmt. Sie schimmern auch beim nächsten heissen Medienthema durch: der Bekämpfung des Klimawandels mit Hilfe von erneuerbaren Energien. Anfang August lud das SMC Medienvertreter beispielsweise zu einem Presse-Briefing mit dem Titel «Wie könnte das kurzfristige Windenergie-Ausbauziel noch erreicht werden?» ein.
Welche Ziele das SMC bei dieser Frage verfolgt, verrät schon der Einladungstext. «Wir haben Forschende gefragt, welche Auswirkungen die langsame Beschleunigung des Windenergieausbaus an Land auf den Kohleausstieg haben könnte, und wie dieser beschleunigt werden kann – zur Not auch am EEG vorbei», heisst es darin. EEG steht für das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es soll dafür sorgen, dass künftig vor allem Strom aus erneuerbaren Quellen ins deutsche Stromnetz eingespeist wird. Seine jüngste Änderung trat im Mai 2023 in Kraft. «Aber noch ist Zeit, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, Wege für alternative, unter Umständen schnellere Finanzierungsverfahren als über das EEG zu öffnen und für mehr Akzeptanz durch Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern zu sorgen.»