Am 7. Oktober überfielen Kämpfer der Hamas nach einem massiven Raketenangriff israelisches Territorium, wo sie Soldaten und Zivilisten töteten und Geiseln nahmen. Unter den Hunderten von Opfern waren auch junge Leute, die in der Nähe des Kibbuz Reim und wenige Kilometer von der Grenze zu Gaza entfernt an einem Musikfestival teilnahmen. Der Angriff zwang zahlreiche Siedler zur Flucht und alarmierte die Bevölkerung in ganz Israel.
Als Vergeltungsmaßnahme ordnete die rechtsextreme Regierung unter Benjamin Netanjahu die Bombardierung des Gazastreifens an, was hunderte weitere Todesopfer forderte, unter ihnen Kinder sowie die Zerstörung etlicher Wohngebäude verursachte. Netanjahu erklärte außerdem den Krieg und versprach, Gaza bis auf die Grundmauern zu zerstören. Die (Mitte Oktober, a.d.Ü.) andauernde Blockade verhinderte außerdem die Lieferung von Medizin zur Behandlung der Verletzten sowie die Versorgung mit Strom, was die Katastrophe noch verschlimmerte.
Die Welt reagierte – die Rechten und ihre Medien, indem sie die Grausamkeit der islamistischen Attacke verurteilten und eine gewaltsame Reaktion legitimierten; die Linken, indem sie diese abscheulichen Taten als Aktionen des Widerstands gegen die andauernde Verletzung der Menschenrechte des palästinensischen Volkes rechtfertigten.
Die politischen Stimmen, die sich am mitfühlendsten und zugleich klarsten äußerten, betonten, dass Gewalt niemals eine Lösung ist und dass es notwendig sei Wege zu finden, die zu Frieden und Selbstbestimmung für beide Völker führen.
Gelobtes oder missbrauchtes Land?
Eretz Israel (Land Israel auf Hebräisch) ist ein zärtlich gehüteter Traum zahlreicher Juden zu Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im zaristischen Russland und in Osteuropa (Moldawien, Polen, Ukraine, Rumänien, etc.) diskriminiert und verfolgt, mussten zahlreiche jüdische Bewohner fliehen. Viele von ihnen fanden Asyl in Südamerika und den Vereinigten Staaten, andere kamen auf Schiffen in Palästina an, das damals zum Osmanischen Reich gehörte.
Auf diesen Schiffen reiste auch der Traum vieler junger Männer und Frauen mit, die von der sozialistischen Ideologie beeinflusst waren – die Chaluzim, die sich daran machten, in unwirtlichen Gegenden zahlreiche kollektive Farmen, die legendären Kibbuzim zu begründen. Diese waren für lange Zeit die Nahrungs- und wirtschaftliche Grundlage des im Entstehen begriffenen Staates Israel.
Auf diesem kleinen Gebiet von 20.000 bis 22.000 qm (je nach verwendeter Karte), in der Größe vergleichbar mit Salvador, Djibouti oder Belize, kamen nach und nach immer mehr Geflüchtete aus Europa an – Menschen, die wegen des systematischen Völkermords der Nazis vertrieben und mit der Vernichtung bedroht waren.
Begründet und genährt durch den biblischen Mythos des „Gelobten Lands“ und mitgerissen von der Welle der weltweiten Dekolonialisierung, gründeten diese Geflüchteten 1948 den Staat Israel.
Doch dieser abweisende Flecken Erde war nicht das Land, in dem „Milch und Honig fließen“ und er war vor allem bereits bewohnt.
Palästina
Um das Ausmaß der demographischen und sozialen Transformation Palästinas ermessen zu können, sei daran erinnert, dass 1880 dort etwa 550.000 Menschen lebten, 95% unter ihnen Araber. 1947, am Vorabend der Gründung des Staates Israel war trotz der noch immer mehrheitlich arabischen Bevölkerung bereits jeder Dritte Einwohner ein jüdischer Immigrant. Nach Gründung des Staates Israel vergrößerte sich die jüdische Bevölkerung im Land um mehr als das Achtfache.
Jenseits dessen, was man als ein forciertes ethnisches Eindringen erachten kann, denn die Mehrheit der neu Angekommenen gehörte der zentraleuropäischen oder slawischen Kultur an, die sich wesentlich von der der einheimischen Bevölkerung unterschied, veränderte sich auch der Grundbesitz. Zwischen 1882 und 1948 wurden 315 ländliche jüdische Siedlungen in Palästina gegründet, deren Landerwerb von ein paar Hunderttausend auf zwei Millionen Dunam, also etwa 200.000 Hektaren und damit auf 10% der aktuellen Gesamtfläche und gleichzeitig ein großer Teil ihres Ackerlands anwuchs.
Der Großteil dieser Böden gehörte wie fast überall auf der Welt nicht den Kleinbauern, sondern in diesem Fall reichen arabischen Familien, die anderswo, vor allem in Syrien und im Libanon lebten. Und wie fast überall auf der Welt waren diejenigen, die die Flächen bearbeiteten, ihrer bereits durch Abnutzung, Steuern, Verschlechterung der Böden und Klimaprobleme beraubt.
Die zionistische Bewegung und ihre 1901 gegründete zentrale Agentur für den Kauf von Land und Wäldern, der Jüdische Nationalfonds, scheuten ihrerseits keine Mühen beim Erwerb von Land und umgingen die von der britischen Regierung auferlegten Beschränkungen, um wachsende Unruhen zwischen Einheimischen und Einwanderern und den Widerstand islamischer religiöser Autoritäten zu vermeiden, die diejenigen, die ihr Land an Juden verkauften, als Ungläubige bezeichneten.
So lebten oder arbeiteten zu Beginn des Prozesses 85 Prozent der Palästinenser im ländlichen Sektor, was eine massive Entwurzelung und die Vertreibung der palästinensisch-arabischen Bevölkerung in die Städte oder sogar in die Nachbarländer bedeutete. Diese Entwurzelung wurde durch die Vertreibung von mehr als 700.000 Palästinensern während des arabisch-israelischen Krieges von 1948 noch verschärft. Er ist als Nakba („Katastrophe“ auf Arabisch) bekannt.
Die Dinge konnten nicht gut enden und nicht von Dauer sein. Der Konflikt hat sich vervielfacht und sich in aufeinanderfolgende Kriege verwandelt. Oder besser gesagt, in einem permanenten Kriegszustand.
Die äußeren Mächte
Zu keiner Zeit ging es nur um einen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern oder zwischen Juden und Arabern. Die Interessen und die Einflussnahme von außen spielten dabei eine entscheidende Rolle, wie auch im Rest der Welt. Nahezu ständig okkupiert, war dieser winzige Landstrich zwischen Mittelmeer, Rotem Meer und der Arabischen Halbinsel immer wieder die Beute großer Mächte, wie des Alten Ägyptens, Persiens, Alexander des Großen und seiner Nachfolger, des Römischen Reichs, diverser muslimischer Dynastien, der Kreuzfahrer und schließlich des Osmanischen Reichs und der Briten. Und heute hängt Israel, obwohl es formell ein unabhängiger Staat ist, größtenteils von den USA und insbesondere vom starken Einfluss der jüdischen Community auf die amerikanische Außenpolitik ab.
Das palästinensische Volk hingegen war und ist schon immer Zahlungsmittel und Geisel der geopolitischen Ambitionen seiner muslimischen Nachbarn (und vermeintlicher Verbündeter) und wurde sogar in seiner Innenpolitik in zwei große Fraktionen aufgeteilt – die Panarabische Bewegung Al-Fatah als Hauptvertretung der von ihrem legendären Chef Yasser Arafat gegründeten PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) und die Hamas, bewaffnete fundamentalistisch-islamische Bewegung, die drei Jahrzehnte später im Zuge der ersten Intifada auf der Bildfläche erschien und von der theokratischen iranischen Regierung unterstützt wurde.
Al-Fatah regiert die Palästinensische Autonomiebehörde und dominiert das Westjordanland, aber die Hamas kontrolliert den Gazastreifen, ein 41 Kilometer langes und 10 Kilometer breites Ghetto, in dem 2,3 Millionen Menschen unter überfüllten Bedingungen unter einer Land-, See- und Luftblockade leben, die jegliche menschliche Entwicklung verhindert. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben 65 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, und das Welternährungsprogramm gibt an, dass 63 % der Bevölkerung von Gaza von Ernährungsunsicherheit betroffen sind.
Der jüngste Angriff der Hamas gegen israelisches Territorium torpediert die Bemühungen um eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel. Es sind Bemühungen unter Federführung der USA und sie sind zweifellos von dem Gedanken getragen, eine Front gegen die persische Regierung zu bilden und die sunnitischen Saudis erneut mit ihrem schiitischen „Rivalen“ in der islamischen Welt zu konfrontieren – Nationen, denen es dank der Vermittlung von China erst vor kurzem gelungen ist, ihre Spannungen beizulegen.
Diese Bestrebungen zur Überwindung der Rivalität zwischen zwei der wichtigsten Erdölproduzenten wurden durch den Beitritt beider Länder zu den BRICS verstärkt, was sicherlich die geopolitischen Ambitionen des Weißen Hauses gestört hat, das sich um die Multipolarität und den Aufstieg Chinas und dessen Bündnis mit Russland sorgt, das selbst eine entscheidende Militärmacht in Syrien ist.
Abgesehen von den permanenten politischen Intrigen, die diesen Teil des Planeten zersetzen und zwar zweifellos wegen seiner Macht bei der Energieversorgung, deren Kontrolle für das kapitalistische Konsumsystem von unschätzbarem Wert ist, ist das, was ausnahmslos alle seine Regierungen eint, ihre Intoleranz.
Gewalt ist die Mutter aller Niederlagen
Das palästinensische Volk wurde ein Jahrhundert lang erobert, besetzt, verarmt, verfolgt und zerstört. Seitdem haben Gruppierungen, die von permanentem Zorn getrieben sind (bzw. von fremden Interessen benutzt werden, die denen des palästinensischen Volkes fremd sind), auf die Verletzung dieser Rechte mit Gewalt reagiert, indem sie Leben nahmen, die so unschuldig waren wie ihre eigenen, und das Volk Israels in einen Zustand permanenter Angst, Unruhe und Misstrauen versetzten.
Sukzessive Vergeltungsschläge der israelischen Armee haben den Wunsch nach Rache in Palästina nur noch weiter angeheizt. Die Besatzung, die ständige Überwachung und die Verachtung, das Elend und das Eingesperrtsein haben verhindert, dass der Wunsch nach Versöhnung mit dem israelischen Volk in den Herzen der Jüngsten wächst. Wenn auch insgeheim, gibt es doch auf beiden Seiten der unerbittlichen Grenze eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und normalem Leben.
Die Gegenwart befeuert jedoch die Hasstiraden der Anführer beider Seiten. In Israel zieht die religiöse und säkulare extreme Rechte die Fäden der Unterdrückung. In Palästina hallt das fanatische und fiebrige Narrativ in den verwirrten Köpfen der jungen Menschen ohne Zukunft nach.
Die Folgen der Gewalt liegen auf der Hand, ebenso wie die vergebliche Suche nach einem besseren Leben.
Der einzige Ausweg ist der Humanismus und seine Methode, die Gewaltfreiheit.
Palästinenser und Israelis müssen einen Raum für den Dialog finden, die Möglichkeit der Zusammenarbeit trotz der Differenzen in Betracht ziehen und versuchen, den verursachten Schaden allmählich zu reparieren. Sie müssen den Nachteil verstehen, Gefangene der Absichten anderer zu sein und eine produktive Koexistenz auf kleinem Raum beginnen. Darüber hinaus werden sie die Einbindung einer schmerzhaften Erinnerung an Demütigung und Zerstörung in den Kontext einer nicht selbst gewählten Vorgeschichte in Betracht ziehen müssen.
Dies könnte ein mutiger, bedeutender und entscheidender Beitrag der beiden Völker zu diesem Wendepunkt der globalen Geschichte sein. Gemäß der Würde und der Ehre, die die arabischen Völker auszeichnen, als auch des Glanzes des hebräischen Volkes in seinen besten Momenten und seiner besten Vertreter.
So soll es sein.
Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!