Daniela Gschweng für die Onlinezeitung Infosperber
Foodwatch ruft Detailhändler mit einer Petition dazu auf, ab 2025 nur noch pestizidfreie Getreideprodukte zu verkaufen.
Laut einer aktuellen Analyse der Konsumentenorganisation Foodwatch enthält mehr als ein Drittel aller Getreideprodukte in der EU Rückstände mindestens eines Pestizids. Von 2234 Proben aus dem Jahr 2021 wiesen 837 Pestizide auf. Das zeigen Daten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). In den belasteten Proben fanden sich 1200 Rückstände von 65 verschiedenen Pestiziden. Am meisten belastet sind Endprodukte wie Haferflocken, Brötchen und Brot.
Nur in 14 Proben wurden die zulässigen Höchstmengen überschritten. Dennoch, betont Foodwatch, sei dies immer noch zu viel. Schon die Anzahl der gefundenen Pestizide berge durch den Cocktail-Effekt ein Risiko für Konsument:innen .
Foodwatch fordert pestizidfreies Getreide ab 2025
Ab 2025 sollen Supermärkte nur noch pestizidfreie Getreideprodukte verkaufen, fordert Foodwatch in einer internationalen Petition. Der Pestizidverbrauch Deutschlands und Frankreichs würde sich dadurch etwa halbieren. Wenn alle Detailhändler mitziehen würden, auch der Verbrauch der Spritzmittel in der gesamten EU. Rund die Hälfte der Agrarflächen der EU sind für Getreide vorgesehen – und mehr als die Hälfte der Pestizide. Im Vergleich der EU-Länder liegt Deutschlands Pestizidverbrauch beim Anbau von Weizen an dritter Stelle. Führend ist Irland.
Für Konsumentinnen und Konsumenten würden Lebensmittel dabei höchstens um wenige Cent teurer, rechnet Foodwatch vor. Die Organisation fordert die Supermärkte auf, jährlich Daten darüber zu veröffentlichen, welche Produkte unter Pestizideinsatz hergestellt werden und welche ohne auskommen.
Handelsketten sollen endlich in grossem Stil Pestizide sparen
Die Forderung richtet sich vor allem an grosse Einzelhandelsketten wie Aldi, Edeka, Albert Heijn und Carrefour. Foodwatch kritisiert, dass diese zwar gerne Umweltschutz und Biodiversität propagieren. An Pestiziden gespart werde dann aber nur bei Obst und Gemüse.
Dass bei der Herstellung von Brot, Haferflocken und anderen Getreideprodukten oftmals gefährliche Pestizide zum Einsatz kommen, verschwiegen die Händler den Konsumentinnen und Konsumenten. Mit «gravierenden Folgen für Umwelt, Klima und Artenvielfalt», so Annemarie Botzki von Foodwatch. Kein einziges Handelsunternehmen habe eine Biodiversitätsstrategie, die die Getreideproduktion einschliesse.
Nur Migros auf dem Weg zum pestizidfreien Brot
Ausnahmen gibt es. Foodwatch lobt die Bäckerei Maurer im Rems-Murr-Kreis, die Vermarktungsgemeinschaft Kraichgau Korn in der Nähe von Mannheim – und die Schweizer Migros, die sich seit Jahren für eine pestizidfreie Getreideproduktion einsetze.
Migros und IP Suisse kündigen seit mehreren Jahren an, nur noch pestizidfreies Getreide anbauen und verarbeiten zu wollen. Landwirte werden für den zusätzlichen Arbeitsaufwand beim Jäten entschädigt. «Den meisten Fungiziden, Insektiziden und Halmverkürzern» habe man schon abgeschworen, legt der Detailhändler auf seiner Website dar.
Bis 2023 wollte die Migros pestizidfrei sein, kündigte sie im vergangenen Jahr an. Das hat IP Suisse noch nicht ganz geschafft. Bisher gibt es sowohl pestizidreduziertes wie pestizidfreies Getreide, das in der hauseigenen Bäckerei verarbeitet wird. Dazu kommen Richtlinien für pestizidfreie Getreideklassen ab Aussaat 2022. Deren Saatgut wird beispielsweise nicht mehr chemisch behandelt, was bei konventionellen Sorten üblich ist.
Agrarwirtschaft und Chemiekonzerne: «Panikmache und Fake News»
Die Reaktion auf den Foodwatch-Report liess nicht lange auf sich warten. Martin Courbier, der Geschäftsführer des Verbands «Der Agrarhandel» bezeichnete ihn als «unsachlich» und warf Foodwatch vor, «falsche Fakten» zu verbreiten und «Ängste zu schüren». Mit halb so vielen Pestiziden gebe es um etwa 30 Prozent weniger Getreide, das sei durch Studien belegt, warnte er.
Alexander Henning, Mediensprecher des Bayer-Konzerns, verweist auf ein aktuelles Interview mit Andreas Hensel, dem Leiter des Bundesamts für Risikobewertung, und bezeichnet den Foodwatch-Bericht als «PR-Stunt». Hensel ist überzeugt, dass die derzeitigen Grenzwerte sicher sind. Er ist auch ein Befürworter der Glyphosat-Wiederzulassung in der EU.
Bei der Artenvielfalt gehen den Gegnern die Argumente aus
Warnungen vor Lebensmittelknappheit seien ein wiederkehrender Trick der Lobbys, verteidigt sich Foodwatch. Europäer hätten besorgniserregende Mengen Umweltchemikalien im Körper, darunter eben auch Pestizide.
Konsument:innen in der EU müssen keine akute Pestizidvergiftung durch Lebensmittel fürchten, das ist richtig. In Bezug auf den Cocktail-Effekt gibt es aber noch grossen Forschungsbedarf. Die Diskussion konzentriert sich dabei hauptsächlich auf die Gefahren für Menschen, die Getreideprodukte konsumieren. Sie vernachlässigt die Auswirkungen von Pestiziden auf Umwelt, Wasser und Biodiversität. Ein Hauptgrund, weniger Pestizide zu verwenden, ist die in alarmierendem Tempo schwindende Artenvielfalt.