Mittlerweile in aller Munde: Die »irreguläre« oder »illegale Migration«. Einer der neuen Lieblingsbegriffe deutscher Politiker*innen, wenn es darum geht, Geflüchtete zu diskreditieren und Abschottungsphantasien durchzusetzen. Wir erklären, warum die Verwendung nicht nur bedenklich, sondern auch falsch ist.
Schon 2017 schrieb die AfD in ihrem Papier zur Flüchtlingspolitik davon, »irreguläre Migration über das Mittelmeer« stoppen zu wollen. Seither hat der Begriff seinen Weg in die vermeintliche Mitte der Bundespolitik gefunden. Jens Spahn und Friedrich Merz verwenden ihn zum Beispiel nur allzu gern, schließlich fand er sogar seine Aufnahme in den Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Und spätestens seit die Debatte rund um Flucht und Migration Mitte 2023 Fahrt aufgenommen hat, dient er längst nicht nur FDP, sondern auch SPD und Grünen als Anker, um immer neue Verschärfungen des Asylrechts und Aufrüstungen der Grenzen zu rechtfertigen.
»illegal« = gefährlich!?
Denn »irregulär« oder gar »illegal« – das klingt natürlich gefährlich. Viel angsteinflößender als »Flucht«. Jemand, der schon »illegal« kommt – so wollen es die Politiker*innen suggerieren – der hat doch sowieso Dreck am Stecken, und solche Leute kann ja wirklich kein anständiger Bürger wollen. Und das Kalkül geht auf: Mittlerweile bekommt auch noch der absurdeste und menschenrechtswidrigste Vorschlag Applaus, wenn er sich nur gegen »illegale Migranten« richtet.
Legale Wege? Fehlanzeige!
Bloß: Das Ganze ist ein Trugbild. Es wird damit vorgegaukelt, dass Flüchtlinge auf legalem Wege hierher kommen könnten und die »illegalen« Wege nur nutzen würden, weil sie ohnehin keinen Schutzanspruch hätten. Aber aktuell werden über 70 Prozent der inhaltlich bewerteten Asylanträge positiv entschieden – und die überwiegende Mehrheit aller Antragsteller*innen musste auf diese Weise einreisen. Denn die »legalen Wege« existieren de facto nicht.
Über das UN-Resettlement-Programm hat Deutschland für 2022 lediglich 6.000 Plätze bereitgestellt (ob diese überhaupt vollständig genutzt werden konnten, ist zudem unklar), das vor einem Jahr groß angekündigte Bundesaufnahmeprogramm für Afghan*innen hat bislang karge 14 Einreisen zu verzeichnen, andere Aufnahmeprogramme auch der Bundesländer werden teilweise vom Bund abgelehnt oder haben verschwindend geringe Kontingente. Und selbst der Familiennachzug, über den Schutzsuchende legal zu ihren Familien nach Deutschland gelangen könnten, wird – anders als im Koalitionsvertrag versprochen – weiterhin restriktiv praktiziert und die Bearbeitung der Anträge nimmt zum Teil mehrere Jahre in Anspruch.
Niemand würde sich in einem wackligen Schlauchboot in Lebensgefahr begeben, sich von brutalen Grenzschützern verprügeln lassen, in überfüllten Lastwagen durch Europa fahren und für all das auch noch tausende an Euros bezahlen, wenn er oder sie sicher mit dem Flugzeug einreisen könnte.
Dabei liegt eigentlich auf der Hand: Niemand würde sich in einem wackligen Schlauchboot in Lebensgefahr begeben, sich von brutalen Grenzschützern verprügeln lassen, in überfüllten Lastwagen durch Europa fahren und für all das auch noch tausende an Euros bezahlen, wenn er oder sie sicher mit dem Flugzeug einreisen könnte.
»Ich war gezwungen, den falschen Weg zu nehmen«
Dr. Mazen Dahhan, der 2013 aus Syrien fliehen musste und bei einem Unglück vor Lampedusa seine komplette Familie verlor, beschreibt das im Interview mit uns eindrücklich: »Ich bin Neurochirurg und habe versucht, eine Arbeitserlaubnis für Dubai zu bekommen. Ich habe dort sogar eine passende Stelle für mich gefunden, aber weil ich aus Syrien bin, wurde mir das Visum verweigert. Ich wusste, dass wir in Europa Asyl bekommen könnten. [Aber es gibt] keine Möglichkeit einer legalen Einreise durch ein Visum […] Dadurch war ich gezwungen, den falschen Weg zu nehmen – den Seeweg.«
Die garantiert straffreie Einreise für fliehende Menschen
Dazu kommt: Wenn von einer »illegalen« Einreise gesprochen wird, schwingt mit, dass die Menschen dabei eine Straftat begehen würden und am besten sofort wieder abgeschoben gehören. Dabei ist zum Beispiel in Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), die Deutschland und 148 weitere Staaten unterzeichnet haben, geregelt, dass fliehende Menschen nicht wegen einer unerlaubten Einreise bestraft werden dürfen. Damit ist eine Einreise, die nicht bestraft wird, auch keine Straftat. Trotzdem werden genau diese Menschen mittlerweile nicht nur von Rechtsextremen, sondern auch von der Bundesregierung als »irreguläre Migranten« gebrandmarkt.
Rechtes Framing mit Folgen
Dieses gefährliche Framing führt nicht nur zu mehr Angst und Ablehnung von Schutzsuchenden, sondern auch insgesamt zu einer Entmenschlichung. Mit »Geflüchteten« fühlen viele Menschen mit. Nennt man sie hingegen »irreguläre Migranten«, zielt das darauf ab, dass die Bevölkerung vermeintliche Straftäter*innen anstatt fliehender Menschen vor dem geistigen Auge hat. Sympathien schwinden, die Akzeptanz für weitere Verschärfungen im Asylrecht steigt.
Zu beobachten ist diese Entwicklung beispielsweise auch in den Berichten zu einem tragischen Unfall an der bayerischen Grenze, bei dem im Oktober mehrere Geflüchtete ums Leben kamen. Danach schrieben die Medien landauf-landab vor allem von einem »Schleuserfahrzeug«, das verunglückt sei. Als hätten in diesem Fahrzeug nicht auch Menschen (darunter sogar Kinder) gesessen, die auf der Suche nach Schutz und Sicherheit bei einer Grenzkontrolle ihr Leben verloren haben. Auch weil es eben keine legalen Fluchtwege für sie gibt.
Sowohl die Geschichte als auch die aktuelle Entwicklung zeigen: Rechte Parteien schwächt man nicht durch die Übernahme ihrer Narrative. Ganz im Gegenteil.
Wer Geflüchtete also damit in ein schlechtes Licht rücken möchte, indem so getan wird, als ob die Menschen absichtlich »illegale« anstelle legaler Wege nutzen würden, betreibt das Geschäft der rechten Hetzer. Und sowohl die Geschichte als auch die aktuelle Entwicklung zeigen: Rechte Parteien schwächt man nicht durch die Übernahme ihrer Narrative. Ganz im Gegenteil.
(mk)