Kanzler Scholz dringt in Nigeria auf die Belieferung Deutschlands mit Flüssiggas und die beschleunigte Rücknahme von Flüchtlingen. Austeritätsmaßnahmen drohen Nigeria schwer in Armut zu stürzen.
Bundeskanzler Olaf Scholz wünscht von Nigeria eine stärkere Belieferung Deutschlands mit Flüssiggas und verlangt die umstandslose Rücknahme nigerianischer Flüchtlinge. Scholz, der am Sonntag und am Montag erst in der Hauptstadt Abuja, dann in der Wirtschaftsmetropole Lagos Gespräche führte, setzt damit seine Versuche fort, die Erdgasimporte aus afrikanischen Ländern zwecks Ersetzung russischen Gases zu erhöhen – ein Schritt, der bereits im vergangenen Jahr einiges Kopfschütteln ausgelöst hat: Zuvor hatte die Bundesregierung afrikanische Länder immer wieder zum Ausstieg aus der Förderung fossiler Energieträger aufgefordert. Parallel zur verstärkten Abschiebung von Nigerianern will Berlin laut Scholz „Talente“ aus dem Land zur Erwerbsarbeit bei deutschen Unternehmen gewinnen – ein Beitrag zum brain drain, der Entwicklungsländern dringend benötigte und teuer ausgebildete Fachkräfte nimmt. Scholz führte in Nigeria außerdem Gespräche über die Entwicklung in Niger; dort wollte die EU im Sommer mit nigerianischer Hilfe eine Militärregierung stürzen, die zuvor einen prowestlichen Präsidenten entmachtet hatte und das Land zu echter Unabhängigkeit von den Ex-Kolonialmächten führen will.
Scholz in Afrika
Die aktuelle Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz ist seine dritte Afrikareise im Amt und seine zweite nach Westafrika. Im Mai 2022 war Scholz zunächst nach Senegal geflogen, um von dort weiter nach Niger zu reisen; dort hatte er zunächst die in dem Land stationierten deutschen Truppen besucht und sich anschließend mit dem prowestlichen Präsidenten Mohamed Bazoum getroffen. Bazoum ist inzwischen von Putschisten gestürzt worden, die sich auf eine in der Bevölkerung weit verbreitete Ablehnung der französischen Dominanz in Westafrika stützen können.[1] Diese Ablehnung wächst unter anderem auch in Senegal.[2] Die beiden Länder, die Scholz dieses Mal besucht – Nigeria und Ghana –, gehören zwar wie Senegal und Niger zur westafrikanischen Regionalorganisation ECOWAS, sind aber keine ehemaligen französischen Kolonien; ihre Außenbeziehungen werden deshalb weniger durch die derzeitige antikoloniale Welle in der westafrikanischen Frankophonie getroffen. Beide Länder sind darüber hinaus bereits seit langer Zeit Kooperationspartner der Bundesrepublik, wenngleich auf relativ niedrigem Niveau: Das bilaterale Handelsvolumen mit Nigeria, der nach Volumen stärksten Wirtschaftsmacht Afrikas, beläuft sich auf gerade einmal drei Milliarden Euro, dasjenige mit Ghana auf magere 700 Millionen.
Öl und Gas
Bei Scholz‘ Aufenthalt in Nigeria ging es am Sonntag und am gestrigen Montag denn auch nicht zuletzt um den Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Im Mittelpunkt standen Energierohstoffe. Aktuell machen die deutschen Ölimporte aus Nigeria rund die Hälfte des gesamten Handelsvolumens aus. Nun will die Bundesregierung auch noch Gas aus dem Land importieren – ganz ähnlich wie aus Senegal, wo Kanzler Scholz im Mai 2022 ebenfalls über Gaslieferungen verhandelt hatte.[3] Der Schritt hatte damals einiges Kopfschütteln ausgelöst: Berlin hatte sich auf dem afrikanischen Kontinent lange Zeit mit der Forderung hervorgetan, aus der Nutzung fossiler Rohstoffe auszusteigen, bevor es nach der Entscheidung, auf Öl und Gas aus Russland zu verzichten, auf die Erschließung neuer Vorkommen in Afrika, etwa in Senegal, zu dringen begann und sich jetzt aus den neuen Quellen beliefern lassen will. Nigeria fördert längst Gas und liefert es bereits in Form von Flüssiggas nach Europa; im Jahr 2021 war es – mit 14 Prozent der EU-Importe – deren viertgrößter Lieferant nach den USA, Qatar und Russland, wobei der Großteil davon an Spanien sowie Portugal verkauft wurde.[4] Schon kurz vor seiner Reise hatte Scholz im Gespräch mit der nigerianischen Zeitung Punch erklärt, auch deutsche Konzerne seien an Flüssiggaslieferungen aus Nigeria interessiert.[5]
„Nur Talente“
Scholz‘ zweites großes Anliegen bei seinem Besuch in Nigeria war es, die Abschiebung von Nigerianern aus der Bundesrepublik zu beschleunigen. Nigerianer bekommen in Deutschland nur selten Asyl; von den 1.850 Personen, die zwischen Januar und September dieses Jahres in der Bundesrepublik Schutz beantragten, erhielten nur 118 ein verlässliches Bleiberecht.[6] Allerdings ist es für Berlin zur Zeit nicht einfach, Nigerianer, deren Asylanträge abgelehnt wurden, abzuschieben: Die nigerianischen Behörden lassen nur Personen ins Land einreisen, die gültige Originalpapiere haben. Ersatzdokumente, die die deutschen Behörden Nigerianern ausstellen, die ihre Reisepässe verloren haben, werden von Abuja nicht anerkannt. Das hat zur Folge, dass zwar 14.000 Nigerianer, die in Deutschland leben, prinzipiell ausreisepflichtig sind, aber in diesem Jahr bislang nur 262 abgeschoben werden konnten. Scholz drang nun darauf, Abuja müsse die Rücknahme von Personen erleichtern. Lediglich „Talente aus Nigeria“, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt benötigt würden, sollten kommen dürfen, sagte der Kanzler.[7] Damit bekennt sich Berlin zur Abwerbung gut und kostspielig ausgebildeten Personals, dem sogenannten brain drain, der Entwicklungsländern schwer schadet und regelmäßig von Experten kritisiert wird.
Interventionspläne
Scholz nutzte seinen Aufenthalt in Nigeria nicht zuletzt, um Gespräche über die Lage in Nigerias nördlichem Nachbarland Niger zu führen. Nach dem dortigen Putsch hatte Nigeria zu den Ländern gehört, die besonders lautstark eine Militärintervention in Niger mit dem Ziel gefordert hatten, den gestürzten Präsidenten Bazoum wieder in sein Amt einzusetzen. Dazu wollten mehrere ECOWAS-Staaten – neben Nigeria etwa auch Senegal und Côte d’Ivoire –die nötigen Truppen bereitstellen. Außerdem stand militärische Unterstützung durch die französischen Streitkräfte in Aussicht (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Letztlich scheiterte der Plan – nicht zuletzt an heftigen Widerständen aus dem Norden Nigerias, der im Falle eines Krieges mit dem Nachbarland dramatische Schäden zu erwarten gehabt hätte. Die französischen Truppen haben mittlerweile ihren Abzug aus Niger eingeleitet. Das Scheitern der Interventionsdrohung, die von Paris und der EU unterstützt wurde, hat die ECOWAS Glaubwürdigkeit gekostet und ihre Position in Westafrika, wo sie ohnehin bereits weithin als Handlanger Frankreichs bzw. des Westens galt, geschwächt. Scholz traf in Abuja mit dem ECOWAS-Kommissionspräsidenten Omar Touray zusammen, tauschte sich mit ihm über die Lage in Niger aus und lobte die ECOWAS – in recht eigentümlicher Wortwahl – als „eine schlagkräftige und auch funktionierende [!] Organisation“.[9]
„Wichtige Reformen“
Der Versuch, die Zusammenarbeit mit Nigeria unter Präsident Bola Tinubu auszubauen, ist nicht frei von Risiken. Tinubu ist Ende Mai ins Amt gelangt – nach einer heftig umstrittenen Wahl, die er mit rund 37 Prozent vor zwei starken Gegenkandidaten (Atiku Abubakar mit 29 Prozent, Peter Obi mit 25 Prozent) gewann. Beide Gegenkandidaten hatten schwere Wahl-Unregelmäßigkeiten moniert, scheiterten mit Einsprüchen vor Gericht aber vor wenigen Tagen letztinstanzlich.[10] Damit ist Tinubu allerdings noch längst nicht über den Berg. Er hat gleich zu Beginn harte Austeritätsmaßnahmen eingeleitet und etwa die Subventionen für Benzin gestrichen, was zur Folge hatte, dass sich zahlreiche einfache Bürger Autofahrten nicht mehr leisten können und die Lebenshaltungskosten dramatisch in die Höhe geschnellt sind. Während Tinubu im Westen, auch in Deutschland, für die Kürzungen gelobt wird – bei der bundeseigenen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (GTAI) ist von „wichtige[n] Reformen“ die Rede [11] –, ist der Unmut im eigenen Land groß. Die Zahl der Nigerianer, die von weniger als einem US-Dollar am Tag leben müssen, könnte von zuletzt rund 83 Millionen auf 120, im Extremfall sogar 140 bis 150 Millionen steigen – bei rund 220 Millionen Einwohnern insgesamt –, urteilen Experten.[12] Bereits jetzt wird zuweilen vor möglichen Unruhen gewarnt. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Obi, der sich um einen Wahlerfolg betrogen sieht, hat seine Anhänger vor allem unter jungen, protestbereiten Nigerianern.
[1] S. dazu „Ein verlässlicher Partner“ und Nach uns der Flächenbrand.
[2] Heiner Hoffmann, Carmen Abd Ali: „Wir müssen uns vom Würgegriff Frankreichs lösen“. spiegel.de 27.08.2023.
[3] S. dazu Das Reisemandat der Afrikanischen Union.
[4] Francesco Sassi: Nigeria’s Gas Ambitions in the European Energy Crisis: High Goals and Practical Realities. ispionline.it 28.10.2022.
[5] Germany reviewing procedures to speed up visa process – Chancellor Scholz. punchng.com 29.10.2023.
[6], [7] Helene Bubrowski, Jochen Buchsteiner: Die zarten Pflänzchen der Migrationspolitik. Frankfurter Allgemeine Zeitung 31.10.2023.
[8] S. dazu Nach uns der Flächenbrand (II) und Gewalt und Sanktionen.
[9] Pressestatement im Rahmen der Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Präsidenten der Kommission der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, Touray, am 29. Oktober 2023 in Abuja.
[10] Chris Ewokor, Wedaeli Chibelushi: Nigeria Supreme Court dismisses election challenges by Atiku Abubakar and Peter Obi. bbc.co.uk 26.10.2023.
[11] Corinna Päffgen: Neuer Präsident treibt Wirtschaftsreformen voran. gtai.de 08.08.2023.
[12] Nathaniel Bivan, Hauwa Saleh Abubakar: Now Many Nigerians Will Be In Poverty Because Of Cost Of Living Crisis? humanglemedia.com 13.09.2023.