“Während der Coronapandemie und des Lockdowns stand das herrschende System den Menschen nicht mehr zur Verfügung. Die Lieferketten waren zusammengebrochen, doch die Gemüsegärten unserer Mitglieder – der Frauen – gediehen überall. Sie gaben den Menschen zu Essen, aber auch Hoffnung…“, so erzählt es Vandana Shiva während dieser Unterhaltung, die am Vorabend des Internationalen Feministischen Treffens (vom 24. bis 26. Februar in Madrid) aufgezeichnet wurde. Nachfolgend die übersetzte Transkription des Videos.
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Herstellung und Montage: Álvaro Orús / Interview: Juana Pérez Montero
Englische Dolmetscherin: M. Angélica Soler / Spanische Dolmetscherin: Glenda de la Fuente
Vandana Shiva, Sie werden am Internationalen Feministischen Treffen teilnehmen, das in einigen Tagen in Madrid stattfinden wird – und zwar an einem Rundtischgespräch mit dem Titel „Klimakrise, Ökofeminismus und Tierwohl“. Was können Sie uns zu Ihrem Beitrag sagen?
Das kapitalistische Patriarchat will uns weismachen, dass wir von der Natur getrennt sind und dass Frauen weniger wert sind als Männer. Und doch sind wir ein Teil der Erde, wir sind alle menschliche Wesen. Und nicht nur Männer und Frauen sind gleich, es besteht auch eine Gleichstellung zwischen allen Spezies in der „Demokratie der Erde“. Und doch vermittelt die gleiche Weltanschauung allen den Eindruck, dass Frauen ein zweites Geschlecht sind, dass sie passiv sind, reine Objekte; und sie stellt die Erde als Nutzobjekt dar, als wäre sie nur ein Werkstoff, den man sich zunutze machen kann.
Die Ausbeutung fossiler Brennstoffe in den vergangenen 200 Jahre und die Gewinnung von Erdöl in den letzten 100 Jahren haben uns in eine Klimakrise geführt und unser Leben und das Erdsystem aus dem Gleichgewicht gebracht. Vier Milliarden Jahre lang hat die Erde das Klima im Griff gehabt. In den 200.000 Jahren menschlicher Existenz haben wir Emissionen verursacht, die während eines Zyklus nicht mehr neutralisiert werden können. Die fossilen Brennstoffe sind die größten Verursacher von Emissionen, die nicht Teil des natürlichen Kreislaufs sind und die sich deshalb in der Atmosphäre sammeln und einen Treibhauseffekt und Treibhausgase verursachen.
Das gleiche System, das den Systemen der Erde Gewalt antut, tut dies auch mit den Rechten der Frauen. Erstens behandelt es die Frauen so, als wären sie passiv, würden nicht arbeiten und als ob ihr Wissen nichts zählen würde. Und dabei wird die Mehrzahl der Tätigkeiten von Frauen ausgeführt und es sind Tätigkeiten, die keine negativen Auswirkungen auf das Klima haben. Zweitens hört diese Wirtschaft, die so gierig nach Ressourcen ist, nicht auf, diese auf der ganzen Welt zu monopolisieren. Das kommt zu der schon in der Vergangenheit ausgeübten Gewalt gegen Frauen und gegen die Natur hinzu. Neue Formen der Gewalt gegen Frauen und die Natur treten auf – wir nennen sie „Ökozide“, wenn wir Gewaltakte gegen die Natur benennen und „Femizide“, wenn Frauen dafür ermordet werden, dass sie ihre Böden, ihre Flüsse, ihre Gewässer verteidigt haben. Es ist deshalb wichtig, auf einer Konferenz zum Feminismus über den Klimawandel zu sprechen und unsere Beziehungen zu den anderen Spezies zu hinterfragen.
Sie machen das Patriarchat verantwortlich für die Katastrophe, die wir gerade erleben. Wie analysieren Sie die aktuelle globale Situation?
Ich klage das kapitalistische Patriarchat an, denn es ist verantwortlich für das Zusammenspiel zwischen der Herrschaft des Geldes und des Kapitals und der Macht der Männer. Früher hat das Patriarchat nicht zu einem Klimawandel geführt. Neben dem Kapitalismus ist es auch der Kolonialismus, der mit dem Patriarchat verbunden ist, der zu dieser Krise geführt hat, die den Planeten bedroht und damit schlussendlich auch unsere Zukunft. Deshalb erheben sich Frauen auf der ganzen Welt, um die Erde zu verteidigen. Und meines Wissens ging es bei allen kürzlich oder früher geführten Kriegen um einen Konflikt im Zusammenhang mit Rohstoffen und darum, sich diese Rohstoffe anzueignen. Heute werden die meisten Kriege wegen Erdöl geführt. Schaut man in den Mittleren Osten, so handelt es sich um einen Krieg um Erdöl. In gewisser Weise geht es auch um eine Aneignung von Ressourcen beim Krieg gegen die Ukraine, in Lateinamerika und in allen anderen Konflikten… Weshalb wurde der Präsident Boliviens durch einen Staatsstreich aus dem Amt gedrängt? Wegen Lithium. Und in Afrika gibt es einmal mehr Staatsstreiche und Morde wegen der Ressourcen, an denen dieser Kontinent so reich ist.
Als Alternative regen Sie eine Demokratie der Erde an. Können Sie uns erläutern, was diese beinhaltet?
Die Demokratie der Erde ist die einfache Anerkennung der Tatsache, dass wir Teil des Netzwerks des Lebens sind und dass die anderen Spezies, wie die Bäume, die Mikroben und die Tiere Teil unserer Familie sind. Sie sind mit uns verbunden, sie sind unsere Familie, wie die indigenen Völker Nordamerikas sagen. Und die Demokratie der Erde erkennt die Existenz der Diversität in den Systemen der Erde an. Anders gesagt – trotz der Unterschiede zwischen einer Mikrobe und einem enorm großen Elefanten, haben doch beide gleiche Rechte. Die Demokratie der Gaia diskriminiert nicht wegen Größe, Kraft oder Dominanz. Das bedeutet, dass die Demokratie der Erde eine Demokratie ist, die es jedem Wesen ermöglicht zu leben. Inmitten der Demokratie der Erde haben auch wir einen Platz, denn wir sind eine Spezies, die menschliche Spezies, und es gibt keinen Grund für eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Jede und jeder von uns sind gleich.
Wir müssen uns selbst organisieren, aber in Verbindung mit anderen.
Sie vertreten weltweite Bewegungen, wie den Feminismus im Verbund mit dem Umweltschutz, und Sie entwickeln Anregungen ausgehend von Gewaltfreiheit. Wie ist Ihre Meinung zu bestimmten Bewegungen, die ihre Aktivitäten separat durchführen?
In allen lebendigen Systemen, die über eine bestimmte Struktur verfügen, gibt es auch Symbiosen, Verbindungen und Wechselwirkungen. So wie die Natur divers und in sich verbunden ist, wollen wir als gewaltfreie Bewegungen die Gewalt gegenüber Erde, an den Frauen und gegenüber den kommenden Generationen stoppen. Dafür brauchen wir offenkundig Einigkeit und müssen auf jeden Fall miteinander in Verbindung stehen. Was wir nicht brauchen, ist jemand, der uns von oben herab sagt, was wir zu tun haben. Wir müssen uns selbst organisieren, aber in Verbindung mit anderen.
In diesem Kontext, in dem wir als entbehrlich und unnütz erachtet werden – hätten wir ein universelles Grundeinkommen, das uns lediglich am Leben erhält, wären wir weder völlig frei noch völlig menschlich.
Vandana Shiva, Sie sagen, dass wir die Frauen, die Erde und die Zukunft dekolonialisieren müssen… Was die Zukunft anbelangt, was halten Sie von der Einführung eines allgemeinen und bedingungslosen Grundeinkommens?
Ich bin natürlich auch für die Einkommensgleichheit, doch ich glaube auch an das Grundrecht auf Arbeit, denn die Arbeit stiftet Sinn und ist Teil unserer Identität. Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der niemand Arbeit hätte – so wie Herr Zuckerberg während seines Vortrags in Harvard behauptet hat, dass künftig 99% der Menschen nutzlos seien, da die Künstliche Intelligenz und die Roboter die Arbeit der Menschen übernehmen.
In diesem Kontext, in dem wir als entbehrlich und unnütz erachtet werden – hätten wir ein universelles Grundeinkommen, das uns lediglich am Leben erhält, wären wir weder völlig frei noch völlig menschlich. Ich fände es also sehr gut, wenn es ein allgemeines Grundeinkommen zusammen mit einem allgemeinen Recht auf Arbeit gäbe. Ich akzeptiere jedoch kein universelles Grundeinkommen, in dem alle arbeitslos und im Abseits sind. Ich möchte kein universelles Grundeinkommen für die Tonne, bei dem auch wir uns fühlen, als wären wir auf den Müll geworfen. Deshalb sage ich, dass wir beides haben müssen. Haben wir nur eines davon, bewahren wir eine Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit verursacht und die Menschen ins Abseits stellt. In diesem Fall könnte ein universelles Grundeinkommen schlicht Völkermord sein, denn es würde die Menschen umbringen.
Was würde zunächst „universelle“ überhaupt bedeuten? Ich wäre sehr zufrieden, wenn alle Menschen auf der Welt in Dollar bezahlt werden könnten – wäre also das universelle Grundeinkommen in Dollar oder in Kryptowährung? Wer würde außerdem den Wert jedes Menschen bestimmen? Wieviel sind wir wert? Das Menschenrecht beinhaltet ein Recht auf Entfaltung, auf das Ausleben unserer Entfaltung über die Arbeit. In diesem Sinne müssten wir zweifellos gleiche Einkommen erhalten. Es ist nicht gerecht, dass bestimmte Personen, die in der großen Finanzwelt mit fiktivem Geld jonglieren, eine Million Dollar pro Monat verdienen und dass diejenigen, die unsere Räume reinigen, noch nicht einmal den Minimalbetrag verdienen, um zu Essen und ihre Miete zu bezahlen.
Ein universelles Grundeinkommen würde also am besten in einem Rahmen funktionieren, in dem alle arbeiten und ihren Beruf wählen können: wenn ich Lehrerin werden möchte, muss ich Lehrerin werden können; wenn ich Tischlerin werden möchte, muss ich Tischlerin werden können; wenn ich Landwirtin werden möchte, müsste ich das Recht haben, Landwirtin zu werden. Das bedeutet, dass die Möglichkeiten gleich sein müssten, anstelle der aktuellen Ungleichheit, bei der 1% der Menschen das gesamte Reichtum der Welt kontrollieren und den verbliebenen 99% der Weltbevölkerung die Krümel zuwerfen. Deshalb müsste durch das universelle Grundeinkommen auch das Wohnen zum Allgemeingut werden. Wir müssten in der Lage sein, unseren Wohnraum bezahlen zu können. Schauen Sie, was in Spanien 2008 nach der Finanzkrise passiert ist: Die Menschen haben ihr Zuhause verloren. Was geschieht in den USA? Die Menschen verlieren gerade ihre Wohnungen. Es darf nicht sein, dass wir Obdachlose und gleichzeitig ein universelles Grundeinkommen haben. Zuerst brauchen wir sowohl einen Platz zum Leben, ein Recht auf Nahrung, ein Recht auf Wasser, auf Bildung, als auch auf ein Mindestmaß an Energie. Und damit würde das Einkommen eine Ergänzung sein und nicht der einzige Wert. Geld ist das einzige Kriterium für Wert geworden. Es hat die Natur entwertet und es hat die Arbeit der Frauen entwertet. Wir brauchen eine Diversität an Werten, so zum Beispiel auch den Wert eines heiligen Baumes oder eines heiligen Waldes. Etwas Heiliges ist etwas, das einen Wert besitzt, auch wenn sich dieser nicht in Geld aufrechnen lässt. Das bedeutet, dass man den Wald oder eine heilige Quelle nicht anrühren darf. Es ist also notwendig, dass die Arbeit der Natur Wertschätzung erfährt und dass die Arbeit der Frauen Wertschätzung, Respekt und Anerkennung dafür erfährt, was sie einbringt. Ohne die Arbeit von Frauen würde die Gesellschaft zerfallen; es ist deshalb die wichtigste Arbeit.
Da wir nun in einem Wirtschaftsgefüge leben, das durch den Markt dominiert wird, zählt das Grundeinkommen. Doch die Marktwirtschaft ist nicht überall vorherrschend. In einer indigenen Kultur und einer bäuerlichen Wirtschaft sind das Recht auf Saatgut, das Recht auf den Boden und das Recht auf Nahrung essenziell, um zu leben und Mittel zur Existenzsicherung zu haben.
Wo ich Hoffnung schöpfe? Nun, ich kultiviere die Hoffnung, indem ich ein Samenkorn pflanze. Und dieses Samenkorn gibt mir Hoffnung.
Abschließend und mit Blick auf die Zukunft – wo sehen Sie Hoffnung?
Nehmen wir ein ganz kleines Samenkorn, Senfkörner zum Beispiel, die so klein sind. Oder winzige Hirsesamen – in einigen Wochen beginnen sie zu wachsen und eine Hirsepflanze kann so hoch werden und eine Senfpflanze kann tausend Senfkörner entwickeln. Diese Kraft des Werdens, diese Kraft, die es uns gestattet, mit der Erde etwas zu erschaffen ist es, was mir Hoffnung gibt. Das ist keine Wunschvorstellung sondern eine Realität, eine Praxis und ein Zusammenwirken, bei dem wir mit der Erde arbeiten können, um eine Zukunft zu erschaffen anstatt die Erde zu zerstören und damit unsere Zukunft. Diese Möglichkeit liegt in unseren Händen als menschliche Spezies.
Viele Menschen auf der Welt leben nach Ihren Prinzipien. Wie entwickelt sich Ihre Bewegung?
Das Schöne an gesellschaftlichen Bewegungen ist, dass sie unser Potential erweitern und damit gleichzeitig auch das Potential unserer Zukunft. Sie haben ihre eigenen Tendenzen zum Wachstum, denn alle suchen nach einem Weg, diesen ausweglosen Zerfall zu beenden. Niemand möchte Teil eines sich verdunkelnden, zerfallenden Systems sein. Wenn die Systeme zusammenbrechen, ist es andererseits die Arbeit, die wir verwirklichen, um unsere eigene Nahrung zu kultivieren, um gemeinschaftlichen Wohnraum zu schaffen und eine allgemein verfügbare Gesundheitsfürsorge… All das wird uns helfen, einen Ausweg zu finden. Wir konnten das während er Corona-Pandemie und dem Lockdown sehen: Das herrschende System stand den Menschen nicht mehr zur Verfügung. Die Lieferketten waren zusammengebrochen, doch die Gemüsegärten unserer Mitglieder – der Frauen – gediehen überall. Sie gaben den Menschen zu Essen, aber auch Hoffnung. Fruchtbare Gemüsegärten also in Zeiten des Zusammenbruchs.
Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!