Sara Hebe, geboren 1983 in Argentinien, Selbstbezeichnung: Punkschlampe, macht Hip-Hop, aber auch Cumbia und Reggaeton und neuerdings auch Trap. Die argentinische Sängerin, die als erster weiblicher Rapper das Stadion Arena de la Plata füllte, ist derzeit mit ihrer neuen EP Beivip in Spanien auf Tournee. Schon ihr letztes Album, Sucia Estrella, hat gezeigt, dass sie es perfekt beherrscht, ihren Stil chamäleonartig zu erweitern und neue Trends einzuarbeiten. Was sich nicht geändert hat, sind ihr Hang zur Provokation, zur Respektlosigkeit und ihre eindeutigen politischen Statements, und sie weiß sehr genau, wo Kritik am meisten weh tut. Hebe definiert sich selbst als Feministin und freut sich, wenn sie mitbekommt, dass Transparente und Slogans von ihren Texte inspiriert sind. El Saltosprach mit ihr per Zoom kurz vor ihrer Spanien-Tournee, nur wenige Stunden vor ihrem Aufbruch nach Europa. Die ausverkauften Konzerte in Barcelona, Valencia, Madrid und Teneriffa standen noch bevor. Müde ist sie jetzt schon, denn Unabhängigkeit hat ihren Preis. Es sei schon auch anstrengend, ohne Plattenfirma und Management unterwegs zu sein, gesteht sie. „Aber Interviews gebe ich trotzdem gerne; ich mag es, gefragt zu werden, ich empfinde das als Privileg, und es gibt einem die Möglichkeit, nachzudenken“, erklärt sie am Ende des 40-minütigen Videocalls, das sich trotz der räumlichen Entfernung zu einem recht nahen Gespräch entwickelt hat, soweit die Technik das eben zulässt.
Ok, Sara, die erste Frage ist unvermeidlich. Wie bewertest du angesichts der aktuellen politischen Situation in Argentinien den Erfolg des rechtsextremen Kandidaten Milei bei den Vorwahlen? Steht dahinter die Politikmüdigkeit der jüngeren Wähler*innen?
Ja, ich denke schon. Politikmüdigkeit bei jungen Menschen und in der Gesellschaft insgesamt ist Ausdruck einer tiefen globalen Krise. Guck, was in Spanien passiert ist, um ein Haar wäre die extreme Rechte an die Regierung gekommen. Und was in Argentinien geschieht, überrascht mich überhaupt nicht. Ich bin keine Politikwissenschaftlerin, aber ich werde immer wieder auf politische Themen angesprochen. Meine Texte handeln von Dingen, die mich bewegen, von der sozialen Krise, von Ungerechtigkeiten, deshalb verstehe natürlich, warum du mich das fragst, aber ich möchte mich hier jetzt nicht als Expertin ausgeben, denn das bin ich nicht. Trotzdem: Die gesunkene Wahlbeteiligung ist offensichtlich, und bestimmt geht es da um Politikmüdigkeit, um mangelndes Interesse. Ich denke, die gesamte Frage, in wieweit Menschen sich von politischen Parteien vertreten fühlen, ist in eine tiefe Krise geraten, und zwar auf globaler Ebene. Und ich glaube, diese Müdigkeit spüren wir auch. Die Ultrarechte ist aktuell auf dem Vormarsch. Wir haben so viele Jahre gekämpft, und nun müssen wir mitansehen, wie die Rechten damit drohen, unsere Errungenschaften wieder rückgängig zu machen, zum Beispiel das Abtreibungsrecht, für das so viele Frauen so hart gekämpft haben. Wir haben so viel dafür getan, um die patriarchale Gesellschaft zu überwinden, und jetzt stehen wir kurz davor, alles wieder zu verlieren. Aber ich habe keine Angst. Ich glaube einfach nicht, dass ihnen das gelingen wird. Diese ultrarechte Partei hat einfach keine Ahnung. Es ist schon echt traurig, ihnen zuzuhören. Sie stellen alles in Frage, was mit den Menschenrechten oder der letzten Militärdiktatur in Argentinien zu tun hat, und stellen sich obendrein noch hinter die größten Unterdrücker der Welt, die nicht nur Argentinien das Leben schwermachen. Aber ich habe Vertrauen in die Menschheit, die Kinder und die jungen Leute. Mein fünfjähriger Neffe hat sich zum Beispiel eine Geschichte ausgedacht, meine Schwester hat sie aufgenommen, und ich habe daraus ein Stück gemacht, es ist das letzte Stück auf meiner neuesten EP. Es heißt Ladrones en mi cabeza („Diebe in meinem Kopf“), und es lohnt, sich das anzuhören.
Du bezeichnest dich selbst als Feministin. Der Aufschwung der extremen Rechten könnte einen ziemlichen Backlash bedeuten. Und doch sagst du, dass du keine Angst hast. Wie passt das zusammen?
Naja, ich bin in einer privilegierten Situation. Was bedeutet der drohende Rechtsverlust für Menschen, die auf der Straße arbeiten? Für Trasvestis, Trans-Personen und Non-Binäre? Für LGTBIQ+s? Es sind wieder einmal sie, die um ihre Rechte fürchten müssen. Als Cis-Frau muss ich mir nicht direkt Sorgen machen. Außerdem: Wir sind ziemlich stark, und ich denke, dass wir gewinnen werden. In Spanien war das doch auch so, oder? Da hat die Rechte auch nicht gewonnen.
Nein, es sieht so aus, als hätten wir es fürs Erste geschafft.
Ich fand es interessant, die Reaktion der jüngeren Trap-Künstler*innen auf den Vormarsch der Rechten zu beobachten. Und ich fand es toll zu sehen, wie Leute, die sich in ihren Texten gar nicht so ausdrücklich positionieren, ganz klar Stellung bezogen haben.
Also, als ich die Ergebnisse der Wahlprognosen mitbekommen habe, musste ich an dein Stück “Tuve que quemar” denken, wo du davon sprichst, dass man alles anzünden müsste, auch den Nationalkongress. Ehrlich gesagt denke ich öfter daran, auch im Zusammenhang mit Politiker*innen. Trotzdem ist es aber eigentlich ein Liebeslied, oder?
Ja, es handelt von Liebe, vom Verlust von Liebe, von Begeisterung, von Streit und Wut. Von Gefühlen, die ich genauso kenne wie jeder andere Mensch. Das war eins meiner ersten Stücke, und es ist immer noch super aktuell, weil es um die klassischen Themen geht. Die Wut ist ja immer da.
Lass uns über deine neue Platte reden. Man könnte sie als eine Metamorphose des Hip-Hop bezeichnen, denn du spielst da auch mit anderen Genres wie Reggaeton oder Trap. Wie schaffst du es, die kritischen Inhalte beizubehalten?
Na ja, es sind Sachen, die mich wirklich bewegen. Ich thematisiere, was in meiner Bubble, in meinem Leben, in meinem Inneren passiert. Ich rede über meine Zweifel, über das, was ich erlebe an den Orten, wo ich mich bewege, und ich werde nie aufhören, die Geschichten zu erzählen, die mir nahe gehen. Wenn ich hier vor die Tür gehe und sehe, dass immer mehr Menschen auf der Straße landen… Ich will über diese Dinge sprechen, über menschliches Elend, über die Gesellschaft, über Traurigkeit und Tod. Was den Sound angeht, ist Beivip auf jeden Fall eine Metamorphose. Das gilt auch für das vorherige Album, Sucia estrella, das wir letztes Jahr in Spanien vorgestellt haben. Ich habe noch nie mit einer Plattenfirma zusammengearbeitet und berate mich mit niemandem. Ich mache, was ich will, und ich bin sehr aufgeschlossen gegenüber neuen Dingen, die ich höre und mag. Ich mag neue Klänge und beschäftige mich mit dem, was die jungen Leute machen, gucke, was sie für Ideen haben. In letzter Zeit orientieren sich bei mir Sound und Visuals an einer neuen Ästhetik. Ich experimentiere gerne, verkleide mich, mache Videos, probiere Stimmen und neue Effekte aus, neue Produzent*innen. Nur meine Ethik, meine Überzeugungen, die bleiben gleich. Ich werde auch in Zukunft thematisieren, was da draußen vor sich geht, und das ist keine Entscheidung, die sich an Verkaufszahlen orientiert. Im Gegenteil, damit begibst du dich freiwillig an den Rand des Mainstream und des kommerziellen Erfolgs.
Wir kommen ja beide aus einer Zeit, in der es nicht üblich war, Genres zu vermischen. Früher hast du Punk gehört und jetzt machst du Reggaeton. Wie kommt das?
Das stimmt, zu unserer Zeit, war es nicht üblich, Genres zu mischen, trotzdem wurde aber genau zu jener Zeit damit begonnen. Wir haben alles Mögliche gehört, dann entstanden plötzlich die verschiedensten Mischungen, und wir waren begeistert. Die Kumbia Queers haben damals damit angefangen, sie haben Cumbia mit Punk und später mit Reggaeton vermischt. Früher gab es bestimmte Vorurteile, die inzwischen überwunden sind, besonders in der Musik. Ich würde sagen, musikalisch und künstlerisch erleben wir gerade eine ziemlich gute Phase. Obwohl alles kommerzialisiert wird und alles irgendwie nach Massenprodukt aussieht: Ich finde es super, dass es diese Fusionen gibt und dass ein Dialog zwischen den Bands stattfindet. Vor allem die ganzen Punk- und Rockbands von früher, die jetzt im Dialog mit den neuen Genres sind. Hier versuchen wir alle, gemeinsam in dieser Welt zu leben.
Bist du noch die Sara Hebe, die Polizeigewalt denunziert wie in dem Song „A.C.A.B.“, wo du ganz klar sagst, dass „niemand auf einer Polizeiwache Selbstmord begeht“?
Ja, ja, natürlich.
Und die Hypersexualisierung von Frauenkörpern in den neuen urbanen Genres wie Trap stören dich nicht?
Ehrlich gesagt finde ich das nicht besonders besorgniserregend. Frauen können es sich inzwischen leisten, sich hypersexualisieren zu lassen, wenn sie es wollen, und wenn nicht, dann nicht. Nach jahrhundertelangen Kämpfen etlicher Generationen und der Frauen von heute ist unsere Position inzwischen stark genug dafür. Was mich allerdings beunruhigt, ist diese verwaschene Positionierung gegenüber der Polizei. Auf der Straße finden immer noch die gleichen Kämpfe statt, das ist zumindest mein Eindruck, aber heute wird sich dazu viel schwammiger geäußert, weil es sich besser verkauft, und das finde ich falsch. Wir müssen die Wut gegen den Machtmissbrauch am Leben halten.
Im Video zum Track „Cream Hot“ von deiner neuen EP bist du mit einer Kette an den Haaren aufgehängt. Was bedeutet die Kette?
Das Video und der Text von „Crime Hot“ handeln von einer ziemlich toxischen Abhängigkeitsbeziehung, von der Nacht, vom Drogenkonsum, der uns am Ende kaputtmacht, von Netzwerken, Bildschirmen, … von Konsumformen, die problematisch werden können. Vielleicht symbolisiert die Kette diese Versklavung, und ich will mich mit einem Schrei davon befreien. Aber da bin ich eben immer noch ein bisschen angekettet, und im nächsten Video befreie ich mich von allen meinen Ketten.
Ist das jetzt so eine Art Preview (wir lachen)?
Ja.
Du wolltest mit diesem Video deutlich machen, dass die Nacht ein Monster sein kann, aber sie kann dir auch deine Macht zurückgeben. Wie kann die Nacht dich ermächtigen?
Im Zusammenhang mit der Nacht bedeutet Ermächtigung, dass die Nacht auf deiner Seite ist. Dass du überall tanzen, überall ruhig herumzulaufen kannst. Wir sind auf dem Weg, unsere Angst loszuwerden, dank der großen Mobilisierungen der letzten Jahre. Die Marea Violeta und die Marea Verde haben vieles erreicht. Weniger Angst zu haben bedeutet, Gesetze und öffentliche Maßnahmen gegen die Belästigung auf der Straße durchzufechten, von den kleinsten bis zu den größten. Und es heißt, die Nacht auf unserer Seite zu haben. Die Nacht unserer Selbstermächtigung ist die, in der wir uns mit Lust und ohne Angst bewegen.
In deinem Song „Bots“ heißt es: „Meine Selbstliebe setzt die Grenze.“ Ist es anstrengend, immer wieder Grenzen setzen zu müssen?
Oh ja, und wie. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, mag ich diesen Satz nicht besonders, ich spreche nicht gerne über Selbstliebe, ich finde das sehr individualistisch, aber es kam mir so in den Kopf, und ich habe es gelassen. Aber ich komme vom Thema ab, sorry (lacht).
In Spanien wird derzeit das Einverständnis in Beziehungen ziemlich breit diskutiert. Bist du in Argentinien auch mit dieser Debatte in Berührung gekommen?
Meinst du den erzwungenen Kuss der Fußballerin Jenni Hermoso? Wäre das hier passiert, hätte man dem Typ den Schädel eingeschlagen. Aber damit will ich nicht sagen, dass die Spielerin nicht das Richtige getan hat. Ich hätte mich wahrscheinlich ähnlich verhalten wie sie, bei körperlichen Übergriffen bist du oft einfach paralysiert und kannst nicht reagieren. Hier in Argentinien ist die Ablehnung gegenüber Missbrauch und Belästigung sehr klar und eindeutig. Das verdanken wir den jahrelangen Protesten und Kämpfen von Frauen.
Zurück zu dir und deiner künstlerischen Entwicklung. Du wurdest wie Mercedes Sosa am 9. Juli geboren, am Jahrestag der Unabhängigkeit Argentiniens. In wieweit beeinflusst das deine künstlerische Arbeit?
Der Canto Popular steht in direkter Verbindung zu den Menschen, die politisch aktiv sind. Mercedes Sosa war weltweit eine der größten Vertreter*innen dieses Genres. Sie hatte nicht so viele eigene Stücke, aber sie hat großartige Texte von großen Liedermacher*innen wie Violeta Parra interpretiert. Mercedes Sosa hatte eine unglaubliche Stimme. Und ich bin hat eher so die Punkschlampe, besonders gut singen kann ich nicht. Aber meine Texte kommen von den Menschen, und sie richten sich an die Menschen. Vielleicht ist es einfach das, was ich mit Mercedes Sosa gemeinsam habe.
Deine politischen Überzeugungen spiegeln sich nicht allein in deinen Texten, sondern auch in deiner Art zu arbeiten. Du hast kein Management und keine Plattenfirma. Wie schafft man es, so weit zu kommen, über Grenzen hinweg? Da steckt bestimmt eine Menge Arbeit hinter.
Das schaffst du, indem du immer wieder irgendwo auftauchst und spielst, und: ja, es ist viel Arbeit. Deshalb bin ich jetzt auch ein bisschen müde. Ich hätte gerne einen normalen Job mit einem festen Zeitplan. Als Künstlerin hast du klare Privilegien, ich bin durch die ganze Welt gereist, ich muss nicht jeden Tag irgendwo auf der Matte stehen… Aber es gibt auch diese Dinge, die einem viel abverlangen, zum Beispiel musst du ständig etwas Neues erfinden. Heute sind die Musikindustrie und die kapitalistische Verwertung der Kunst so ziemlich auf dem Höhepunkt angekommen, da ist es nicht so einfach, unabhängig zu bleiben. Es geht permanent um Ästhetik, um Produktion, und die ganze Zeit heißt es Machen, Machen, Machen. Wahrscheinlich lege ich nächstes Jahr mal eine Pause ein, aber Stücke zu schreiben ist auch etwas, das ich leidenschaftlich gern tue. Ich bin so weit gekommen, weil ich immer gearbeitet habe. Ich habe mir immer wieder Bands und Künstler*innen angeguckt, die ich bewundere, und versucht, einen halbwegs guten Sound hinzukriegen. Das ist alles viel Arbeit, man muss sehr viel proben, aber ich habe eine auch eine richtig tolle Band, die mich begleitet, das sind großartige Musiker*innen. Abgesehen davon hätte ich auch gar nicht die Möglichkeit gehabt, es anders zu machen, mir hat noch nie eine Plattenfirma ein Angebot gemacht. Logisch, denn was ich zu sagen habe, ist für die Industrie nicht interessant. In meinen Stücken geht es darum, dass Menschen in Polizeigewahrsam von der Polizei getötet werden. Ich spreche von Santiago Maldonado. Ich spreche von den Sexarbeiterinnen. Das sind nicht die Diskurse, die eine Plattenfirma aufgreifen würde, sowas ist für die nicht nützlich, und deshalb interessiert es sie nicht. Ich hätte es gern etwas bequemer, aber mein Leben ist super, und ich habe unglaubliche Orte kennengelernt.
Du hast deine Nische gefunden, und du bist erfolgreich. Du bist von keiner Struktur abhängig und umgehst alle Regeln.
Ja, im Oktober kommt ein neuer Song heraus, den ich richtig gut finde. Er heißt „Hulk“, wie der Superheld, und in diesem Stück sage ich: „Mami, ich bin erfolgreich und trotzdem unabhängig“, das heißt, ohne dem Mainstream zu folgen. Ich würde sagen, ich bin erfolgreich, und das ist auch wichtig für mich. Denn so funktioniert dieses unterdrückerische System nun mal: Wenn du nicht diesen Erfolg hast, der sich in Zahlen nachweisen lässt, dann bist du nichts wert.
Deine Texte wurden im Radio zensiert. Erlebst du immer noch dieses Stigma in deinem Land?
Meine Musik läuft nie im Radio, ich glaube, sie mögen sie einfach nicht. Keine Ahnung, aber vielleicht sind meine Texte nicht radiotauglich. Meine Musik ist halt einfach nicht nett oder lustig oder lieblich, es ist keine Unterhaltungsmusik. Einige Stücke vielleicht schon, aber andere handeln davon, dass ich aggressiv bin, dass ich zwei Hunde haben will, die dich angreifen sollen …., nee nee, ein Mädchen, das solche Dinge sagt, kommt besser nicht ins Radio.
Nochmal zurück zum Anfang: Falls die Rechtsextremen die Wahl gewinnen, meinst du, das würde deine Arbeit schwieriger machen?
Auf jeden Fall, es wird die gesamte künstlerische Arbeit schwieriger machen. Und auch das Leben anderer Menschen, zum Beispiel das von Migrant*innen. Das müssen wir verhindern. Wir müssen weiter dafür kämpfen, dass die Rechten nicht noch mehr Raum bekommen.
Übersetzung: Lui Lüdicke