Ich werde durch das Heulen einer Sirene geweckt, gefolgt von einigen Explosionen, von denen ich später erfahre, dass es sich um Abfangraketen handelt, die auf die von der palästinensische Gruppe Hamas abgefeuerten Raketen zielen.
Später erscheint mein Gastgeber in Tel Aviv und sagt, dass wir uns im Krieg befinden. Er ist sehr bestürzt und besteht darauf, dass es sich um eine Wiederholung dessen handelt, was 1973 vor genau 50 Jahren geschah, und zwar wegen des Überraschungsangriffs, der jetzt aus der Luft (Raketen und Gleitschirme) und zu Lande (sie durchbrachen den Grenzzaun zwischen Gaza und Israel) erfolgte. Es wurde ein israelischer Panzer angegriffen und mehrere Hamas-Gruppen sind in südliche israelische Städte vorgedrungen. Mindestens zwei Kibbuzim und zwei Städte (Sderot und Aschkelon) sind angegriffen worden, Geiseln wurden genommen, auf Menschen geschossen haben und sich im Gefängnis von Aschkelon und in den Häusern der Menschen haben sich Hamas-Kämpfer verschanzt…
Offenbar gab es auch Raketeneinschläge in Tel Aviv und Jerusalem, was die Fernsehkommentatoren schockiert hat. In der Stadt herrscht absolute Stille, kaum jemand ist auf der Straße, und alle kommunizieren per Telefon miteinander (wie bei einem Erdbeben…).
Ich schaue mir die Nachrichten auf CNN und Al Jazeera an, denn die israelischen Nachrichtensender scheinen sehr vorsichtig zu sein mit dem, was sie zeigen, und sagen, dass mehr als 5.000 Raketen abgefeuert wurden, was auf eine lange und sorgfältige Planung hindeutet.
In Israel hat man das Gefühl, dass die Armee wieder einmal überrumpelt wurde, es herrscht Wut und Trauer über die mehr als 800 Verwundeten, mehr als 50 Geiselnahmen und niemand weiß, wie viele Tote es möglicherweise gibt (das Fernsehen spricht von mehr als 100 getöteten israelischen Zivilisten). Und der Angriff ist immer noch nicht unter Kontrolle, es wird immer noch geschossen, und es gibt dramatische Anrufe bei der Presse von Kindern, die allein in Unterkünften eingeschlossen sind und denen gesagt wurde, sie dürften NICHT hinausgehen, weil in dem Gebiet, in dem sie sich aufhalten, Palästinenser seien.
Palästinensische Analysten sprechen in Al Jazeera von der tiefen Wut der Palästinenser über die andauernden Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten und die Provokationen jüdischer religiöser Gruppen und davon, dass es an der Zeit sei, „genug“ zu sagen angesichts so vieler Übergriffe durch israelische Behörden, religiöser Gruppen und die Polizei.
Die israelische Regierung warnte sofort vor einem Krieg und drohte der Bevölkerung von Gaza mit sehr ernsten Konsequenzen.
Die israelische Armee hat jedoch bereits mit der Bombardierung des Gazastreifens begonnen und versucht, die Anführer des Gazastreifens festzunehmen oder ihre Stützpunkte zu zerstören. Um 17.00 Uhr werden bereits mehr als 1.600 tote Palästinenser in Gaza gemeldet.
Ich für meinen Teil habe alle heutigen Aktivitäten ausgesetzt, einschließlich des für heute Abend geplanten Protests gegen die Politik von Bibi Netanjahu, dem Präsidenten Israels, obwohl dies meiner Meinung nach ein guter Zeitpunkt ist, um Bibi für den völligen Mangel an Vorbereitung und Prävention verantwortlich zu machen. In der Tat bin ich überrascht, dass der Präsident viele Stunden nach Beginn des palästinensischen Hamas-Angriffs nicht im Fernsehen erscheint, um wenigstens die Bevölkerung zu beruhigen. …..
Zur Erläuterung muss ich klarstellen, dass die Situation in Israel sehr komplex ist: Das Land ist in seiner inneren Dynamik tief gespalten, wobei mehr als 50 % der Bevölkerung eine sehr nationalistische Regierung unterstützen, die dank der Unterstützung jüdischer ultrareligiöser Gruppen an der Regierung ist (die 15 % der Bevölkerung ausmachen, aber durch ihre Beteiligung es der Regierungskoalition ermöglichen an der Macht zu bleiben), von denen nicht alle aber die meisten sehr extremistisch und sehr nationalistisch sind.
Die andere Hälfte der Bevölkerung ist sehr offen und liberal, sie definieren sich selbst als fortschrittlich, und sie überwiegen in Tel Aviv, Haifa und an der Küste. Seit 10 Monaten protestieren sie jeden Samstagabend in allen Städten gegen die Politik der Regierung und sie tun es komplett auf gewaltfreie Art und Weise, indem sie die Straßen ohne ein einziges Papier, ohne Steine und mit viel Sorgfalt verlassen. Das ist sehr bemerkenswert.
Damit ist die israelische Gesellschaft einerseits die offenste, freieste und fortschrittlichste in ganz Asien, mit der grössten Offenheit gegenüber Fragen des Geschlechts, der Rasse, der Religion oder Nicht-Religion und allem, was man sich vorstellen kann. Sie leben mit einer überraschend großen Freiheit, während es andererseits diese sehr nationalistischen Gruppen mit völlig biblischen Konzepten gibt, die jeden Versuch des sozialen, kulturellen und anderen Fortschritts blockieren und aufhalten. Diese religiösen Juden haben es geschafft, die israelische Regierung dazu zu bringen, ihnen zu erlauben, NICHT in der Armee zu dienen und keine Steuern zu zahlen, was den Rest des Volkes verärgert, der sein Leben riskiert und seine Steuern zahlt, um religiöse Gruppen zu unterhalten und zu versorgen, die darauf bestehen, dass ihre Art, den Staat zu schützen und zu versorgen, darin besteht, zu Gott zu beten!
In dieser Situation des internen Konflikts und der ständigen Angriffe ultrareligiöser Siedler auf palästinensische Dörfer in der von Israel besetzten Zone, bei denen ihnen Eigentum und Häuser weggenommen werden, die von einer Polizei bewacht werden, die der Regierung dienen muss, obwohl solche Demonstrationen gesetzlich verboten sind, haben die paramilitärischen Hamas-Gruppen von Gaza diese blutige Offensive auf die Zivilbevölkerung in Kibbuzim und Städten im Süden Israels begonnen.
Ich bin gerade in den nahen gelegenen Straßen spazieren gegangen, Tel Aviv ist leer, alle haben sich in ihren Häusern eingeschlossen und warten ab, wie sich dieses Drama weiterentwickelt. Die Angst vor einem möglichen Eingreifen der Hisbollah an der Nordgrenze zum Libanon ist groß. Und die größte Angst geht immer von der stark wahrgenommenen iranischen Bedrohung aus.
Ich erwähne, dass der gleiche Schmerz, den meine Freundin Poly gegenüber den von diesem Anschlag betroffenen Israelis empfindet, auch gegenüber den Palästinensern empfunden werden könnte, die seit so vielen Jahren unterdrückt werden, gegenüber den palästinensischen Müttern, die um ihre Kinder und/oder um die fehlende Zukunft weinen, gegenüber den Jugendlichen, die unter der ausländischen Besatzung und unter Armut und schlechter Bildung aufwachsen. Und ich bin mir bewusst, dass ich, wenn ich jetzt darüber spreche oder sogar wenn dieser Kommentar geschrieben oder veröffentlicht wird, jemandem „auf die Füße trete“ und ich Befindlichkeiten verletze. Das sind Themen, die in einem „liberalen“ Raum und in Zeiten des Friedens diskutiert werden könnten, die aber jetzt sensible Themen sind und bei denen sich jeder Israeli persönlich angegriffen fühlt, weil es nicht die Zeit ist, über die Schmerzen anderer, Ungerechtigkeiten und falsche Annahmen des „Progressivismus“ nachzudenken, die sich nicht in Fakten und konkrete Aktionen in Zeiten eines größeren Friedens umsetzen lassen, wo so viel getan werden könnte…
Natürlich bin ich nur ein weiterer Theoretiker, der denkt und schreibt, aber sehr wenig Konkretes tut. Aber ich versuche heute zu „denken und zu schreiben“ und träume vielleicht davon, dass dies eines Tages für jemand anderen nützlich sein könnte…
Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde von Reto Thumiger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!