Pascal Derungs für die Online-Zeitung INFOsperber
Die meisten Länder Afrikas sind von einer massiven Schuldenkrise betroffen. In der «New York Times» dokumentierte Francis Kokoroko, Journalist und Fotograf, am 18. September 2023 die Misere am Beispiel Ghanas, das kürzlich noch als wirtschaftliches Vorzeigeland gehandelt wurde, mittlerweile aber als bankrott gilt. Die Regierung hat sich an den Internationalen Währungsfonds gewandt und um finanzielle Rettung gebeten, zum 17. Mal seit 1957.
Ghana ist erneut in die Zahlungsunfähigkeit gerutscht
Kokoroko skizziert die ghanaische Schuldenkrise anhand von diversen Daten und Beispielen:
- 2022 machten die Schuldzinszahlungen mehr als 70 Prozent der Staatseinnahmen Ghanas aus,
- Ende 2022 schuldete die Regierung ausländischen Gläubigern und einheimischen Kreditgebern (darunter Bauunternehmen und Stromerzeuger) 63,3 Milliarden US-Dollar,
- Lehramtsstudierende haben seit Juli keine Lohnzahlungen erhalten,
- die Inflation hat sowohl die Kaufkraft als auch den Wert der Ersparnisse halbiert,
- die Bank of Ghana hat den Referenzzinssatz auf 30 Prozent erhöht,
- die Kredit-Ausfallrate im Sektor der KMUs ist von 30 auf 70 Prozent gestiegen.
Diese Liste lasse sich fast endlos erweitern, die Regierung von Präsident Nana Akufo-Addo sei im Grunde bankrott, bilanziert der Journalist. Sie habe keine andere Wahl gehabt, als einem Darlehen des Internationalen Währungsfonds IWF in Höhe von 3 Milliarden Dollar zuzustimmen.
Immer wieder kurzsichtige Rettungspläne
Im NYT-Artikel wird Tsidi M. Tsikata zitiert, der drei Jahrzehnte lang Abteilungsleiter des IWF-Fonds war. Er sagt, dass der aktuelle Rettungsplan für Ghana zwar die wichtigsten Probleme angehe. Das hätten aber auch die vorherigen Kreditprogramme getan, und trotzdem habe es immer wieder neue Krisen gegeben. Das letzte Mal habe sich Ghana 2015 an den Fonds gewandt. Innerhalb von drei Jahren sei das Land auf dem Weg gewesen, den Kredit zurückzuzahlen. Es habe zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt gehört, sei Vorbild gewesen für den Rest Afrikas. Die landwirtschaftliche Produktion und die wichtigsten Exporte – Kakao, Öl und Gold – seien gestiegen. Das Land habe in Infrastruktur und Bildung investieren können.
Doch heute sei Accra erneut verzweifelt in Not. Der aktuelle IWF-Darlehensvertrag und die Lieferung einer ersten Rate von 600 Millionen US-Dollar im Mai hätten kurzfristig dazu beigetragen, die Wirtschaft zu stabilisieren, wilde Schwankungen des Währungsniveaus auszugleichen und ein Mindestmass an Vertrauen wiederherzustellen, sagt Tsikata. Die Inflation habe von ihrem Höchststand von 54 Prozent im Januar auf gut 40 Prozent heruntergedrückt werden können. Doch warum, fragt der Analyst rhetorisch, sollte die Rettungsaktion dieses Mal besser funktionieren. Tsidi M. Tsikata macht sich keine Illusionen. Die Chance, dass Ghana in ein paar Jahren nicht wieder in einer ähnlichen Notlage sein werde, beruhe «auf einem Flügel und einem Gebet».
Die Finanzierungslücken erreichen neue Dimensionen
Die Auswirkungen des verheerenden Klimawandels verschärfen das Schuldenproblem für die Entwicklungsländer zusätzlich. Innerhalb des nächsten Jahrzehnts, so schätzt eine Analyse der Vereinten Nationen, werden Billionen von Dollar an neuen Finanzmitteln benötigt, um die Auswirkungen abzumildern. Kokoroko schreibt, es gebe Tausende von privaten, halbstaatlichen und staatlichen Kreditgebern, einschliesslich China, die jeweils unterschiedliche Ziele, Konditionen und Kontrollen hätten. Diese «schwindelerregende Vermehrung von Kreditgebern» verkompliziere die Lage zusätzlich. «Man hat nicht sechs Leute in einem Raum», kommentierte Joseph E. Stiglitz, Nobelpreisträger und ehemaliger Chefökonom der Weltbank, «man hat jetzt tausend Leute in einem Raum».
Die Inflationsbekämpfung würgt die Wirtschaft ab
Ghana hatte, wie viele Entwicklungsländer, hohe Kredite aufgenommen, ermutigt durch die Jahre niedriger Handelszinsen. Als die US-Notenbank und andere Zentralbanken die Zinssätze anhoben, um die Inflation zu bekämpfen, stiegen die Auslandsschulden der Entwicklungsländer in Dollar und Euro schnell an, während gleichzeitig die Preise für importierte Lebensmittel, Treibstoff und Düngemittel in die Höhe schossen.
Auch wenn die Reihe unglücklicher globaler Ereignisse die Schuldenkrise Ghanas verschärft haben möge, hätten sie diese nicht verursacht, hält Kokoroko fest.
Diese jüngste Krise sei nur zum Teil durch die verheerenden Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie, den Einmarsch Russlands in der Ukraine und höhere Lebensmittel- und Kraftstoffpreise ausgelöst worden. Der Teufelskreis aus Krise und Rettungsaktionen plage Dutzende armer Länder und Länder mit mittlerem Einkommen in Afrika, Lateinamerika und Asien seit Jahrzehnten, analysiert Kokoroko. Die Schuldenlast der Entwicklungsländer – die jetzt auf über 200 Milliarden Dollar geschätzt werde – drohe, die Volkswirtschaften in die Knie zu zwingen. Mühsam erarbeitete Fortschritte in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung und Einkommen würden zunichte gemacht.
Kreditbefeuertes Wachstum produziert Schuldenlawinen
Die jetzige Regierung habe wie ihre Vorgänger viel mehr ausgegeben, als sie eingenommen habe, stellt Kokoroko fest. Um das Defizit auszugleichen, habe die Regierung ausländischen Kreditgebern immer höhere Zinssätze für immer neue Kredite geboten, ein Teufelskreis.
Noch grundlegender sei, dass Ghanas Wirtschaft nicht darauf ausgerichtet sei, die Art von Arbeitsplätzen und Einkommen zu schaffen, die für nachhaltiges Wachstum und eine breite Entwicklung erforderlich wären. Die Wirtschaft hänge in erster Linie von Rohstoff-Exporten wie Kakao, Öl und Gold ab. Das verarbeitende Gewerbe mache nur 10 Prozent der Produktion des Landes aus. Ohne einen florierenden Industriesektor, der für stabile Arbeitsplätze sorgen und exportfähige Güter produzieren könnte, habe Ghana nicht genügend Einnahmequellen, um Wohlstand aufzubauen und die benötigten Importe bezahlen zu können.
Kein Ausweg aus dem Teufelskreis der Kreditwirtschaft
Während das globale Finanzsystem darum kämpfe, bestehende Schulden in Höhe von Hunderten von Milliarden Dollar umzustrukturieren, stelle sich immer drängender die Frage, wie der Mechanismus dieser Schuldenfalle überwunden werden könnte, mahnt Kokoroko. Grosse Geldbeträge würden benötigt, um in dringend benötigte Strassen, Technologie, Schulen, saubere Energie und mehr zu investieren. Aber Dutzenden von afrikanischen Ländern würden inländische Ersparnisse fehlen, um das zu bezahlen. Und kostengünstige Kredite von internationalen Institutionen würden immer knapper.
Finanzkrisen sind das Produkt des globalen Kapitalcasinos
Daher wenden sich die Regierungen den internationalen Kapitalmärkten zu, wo Anleger weltweit nach hohen Renditen suchen. Doch dieser freie Kapitalfluss rund um den Globus habe zu einer wahren Flut von Finanzkrisen geführt. «Ungleichheit ist in der internationalen Finanzarchitektur verankert», so die Schlussfolgerung einer Global Crisis Response Group der Vereinten Nationen in einer Analyse. Selbst lohnende Investitionen – und das seien längst nicht alle – würden nicht immer genug Einnahmen generieren, um die Kredite zurückzuzahlen. Ohne ein Sicherheitspolster, auf das man zurückgreifen könne, werde schon die kleinste Liquiditätskrise der Regierung zur Katastrophe. «Für uns», zitiert Kokoroko den ghanaischen Finanzminister Ken Ofori-Atta, «bedeutet eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit den Shutdown».