Simone Hirth hat sich einen sensationellen Plot ausgedacht, der seinesgleichen sucht und erzählt Evas Geschichte aus feministischer Sicht. Die erste Szene spielt im Paradies und beschreibt den Sündenfall. Eva lebt mit dem schleimigen Adam ohne Rückgrat zusammen im Garten Eden, der sie ohne jegliche Empathie zur Triebabwehr benutzt, es kommt anschließend sogar raus, dass er sie roh vergewaltigt hat. Zudem ist sie mit einem rachsüchtigen, patriarchalischen Gott, konfrontiert, der absolute Unterwerfung unter seine eigenen Vorstellungen und unter Adams Wünsche verlangt, eine ganz ungute Kombination. Dafür ist Eva von allen irdischen Sorgen befreit, gut versorgt, lebt in einem goldenen Käfig und hat absolut keine Selbstbestimmung. Sie will aus dieser Situation nur noch ausbrechen und isst den Apfel. Adam gibt Eva die Schuld. Nun nach der Vertreibung aus diesem furchtbaren „Paradies“ muss Eva dort leben, wo Gott sie hinwirft. In dieser Fiktion pflanzt sie Gott in das Jahr 2023 in Wien Meidling ein – das ist herrlich.
Nur weil Eva einer uralten Legende entsprungen ist, heißt das nicht, dass sie im Jetzt und Hier verloren wäre. Eva ist zwar aus der Rippe von Adam gemacht worden, aber Gott war doch so unvorsichtig, ihr ein eigenes Hirn einzusetzen. Und dieses Hirn hat Eva an den scheinbar endlosen, eintönigen, immer gleichen Tagen im Paradies bestens zu benutzen gelernt.
Stopp! Ich war nicht unvorsichtig, als ich Eva ein Hirn gab, sagt Gott. Ich war großzügig. Und nun wird meine Großzügigkeit schamlos ausgenutzt. Dieses Weibsbild tanzt Adam und mir auf der Nase herum und verwirft mit einem Mausklick alles, woran wir glaubten und was wir zu Evas Bestem wollten.
Am ersten Tag im Jahr 2023 trifft Eva zufällig die Mitstreiterin Maria Magdalena, der das Christentum auch ebenso übel mitgespielt hat, weil sie selbstbestimmt leben wollte und etwas mit Gottes Sohn hatte. Die Frau, die von der ganzen Christenheit als Prostituierte diffamiert wurde, arbeitet eigentlich als Bibliothekarin, in der Bibliothek Meidling am Bahnhof. Sie bietet Eva Unterschlupf in ihrer Wohnung, Freundschaft und feministische Unterstützung, hilft ihr auch bei Behördengängen und Arbeitsplatzbeschaffung und unterstützt die verzweifelte Frau auf dem Weg in ihre eigene Emanzipation.
Als Adam mit der Unterstützung des patriarchalen Gottes, der alles sieht, herausfindet, dass bei den ganzen Vergewaltigungen im Paradies eine Schwangerschaft herausgekommen ist, mutiert er mit Gottes Hilfe zum Stalker und übt zusammen mit Gott psychische Gewalt auf Eva aus. Gott schickt auch sehr oft wie ein verachtender, missbrauchender, patriarchaler Vater böse, abwertende SMS an Eva. Adam will das Kind, mit dem Eva schwanger ist und die Scheidung, dafür muss er sie natürlich diffamieren, körperlich angreifen und stalken. Er nützt als Väterrechtler das österreichische Rechtssystem und die Behörden, wie die Polizei aus, um seine Frau als hysterische, irrationale, psychisch instabile Person darzustellen, die nicht fähig ist, ein Kind aufzuziehen. Eva kämpft den Kampf von allen getrennten Frauen, die prekär lebend, an unzähligen Fronten angegriffen werden, von Männern bewertet, nicht ernstgenommen, benachteiligt und von ein paar Frauen wie Anwältinnen unterstützt.
Besonders gefallen hat mir der Umstand, welche Bücher erwähnt werden, die die erstmals ihren Verstand gebrauchende Eva sich da nach und nach an ihrem und Maria Magdalenas Arbeitsplatz in der Bibliothek ausborgt. Das sind einerseits sehr viele Bücher und andererseits wirklich das Who is Who der feministischen Literatur. Von Margaret Atwood, Ilse Aichinger, Jane Austen, bis Christa Wolf und Virginia Woolf. Die vollständige Liste wird im Anhang nochmals abgedruckt. Vielen Dank dafür, Simone Hirth. Diese Liste ist es wert, sie irgendwann einmal ganz abzuarbeiten, die meisten Bücher habe ich ohnehin schon gelesen.
Der Kampf am Familiengericht endet bedauerlicherweise im Sinne Adams, unterstützt von einem männlichen Richter und zudem in einer absoluten Katastrophe für Eva.
Simone Hirth schreibt im Nachwort, dass sie das großartige Buch von Yvonne Widler: Heimat bist Du toter Töchter zu diesem Roman inspiriert hat. Was mir auch noch sehr gefallen hat, ist der Umstand, dass hier in einem fiktionalen Buch im Nachwort noch sachdienliche Hinweise und helfende Behörden in Österreich im Falle von Gewalt an Frauen angeführt sind.
Fazit: Absolutes Lesehighlight, an dem Roman gibt es gar nix zu kritisieren. Relevant, feministisch, grausam realistisch, einerseits topaktuell und andererseits historisch hergeleitet, sehr zynisch, sprachlich sehr gelungen. SEN-SA-TIO-NELL in seiner Fiktion, mit einer Leichtigkeit in einer einzigen konsistenten Geschichte den Bogen über Jahrtausende Kampf der Frauen um Selbstbestimmung zu spannen.
Malus von Simone Hirth ist bei Kremayr und Scheriau als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.
Rezension von awogfli