Interview: Ein Krankenpfleger erklärt, warum er keine Lust mehr hat

Daniel Steinbauer*, ausgebildeter Krankenpfleger, 33 Jahre, kennt die Pflegesituation in- und auswendig. Er liebt die Arbeit mit Menschen und hilft gerne Menschen in Not. Er hat mit Leidenschaft in Krankenhäusern, im Hospitz, auf der Intensiv und in einer Ayurvedaklinik gearbeitet. Doch obwohl er sich quasi seinen Arbeitgeber aussuchen kann, ist er jetzt ausgestiegen. Warum?

Teil 1 des Interviews

Was ist deiner Meinung nach der Grund, weshalb es ist, wie es ist?

Am ehesten liegt den Assistenzärzten noch am Patienten, sofern es ihnen gelungen ist, die Indoktrination an der Uni zu überstehen. Den meisten wird dort schon das intellektuelle Rückgrat gebrochen; sich selbst Gedanken zu machen, ist nicht erwünscht. Sie lernen dort nicht, was sie im Krankenhaus am Menschen können sollten, sondern werden auf Linie gebracht: Jeder Patient soll gemäß den medizinischen Leitlinien gleich behandelt werden. Bei der Leitlinienerstellung sprechen aber auch Vertreter aus Wirtschaft und Pharmaindustrie ein Wörtchen mit. Man muss sich die Sponsoren der Fachgesellschaften nur ansehen, um zu sehen, was im Spiel ist. Früher war zum Beispiel ein Nüchternblutzucker von 120 normal, heute ist man damit schon Diabetiker. Und noch besser: Inzwischen gibt es schon die sogenannte Prädiabetes, die dann ebenfalls medikamentös behandelt werden soll. Das gleiche Spiel wurde mit Cholesterin gespielt: Dort wurde der Grenzwert für eine behandlungsbedürftige Hypercholesterinämie mehrfach nach unten korrigiert – was jedes Mal Tausende neuer Patienten bedeutet. Die Zeiten, bei denen Ärzte mitsamt Familie auf Kosten von Pharma-Firmen in paradiesischen Umgebungen Urlaub machten, sind zwar schon ein paar Jahre vorbei, doch lange Jahre war es gängige Praxis.

Der Mensch würde mehr gelten, wäre das ganze System anders organisiert.

Nämlich?

Erstens würde kein Politiker es wagen zu verlangen, dass mit der Versorgung von Kranken Gewinn gemacht wird. Die Gewinnabsicht führt dazu, dass Behandlungen durchgeführt werden, nur weil sie Geld bringen. Auch Ärzte kritisieren das. Vorsichtig behandelnde Ärzte werden durch das System bestraft.

Sollten die Fallkostenpauschalen nicht gerade das eingrenzen?

Man muss verstehen, wie das läuft. Nehmen wir theoretisch an, eine Uniklinik behandelt im Jahr 20.000 Blinddarmentzündungen, die jeweils z.B. 10.000 Euro Kosten verursacht haben. Dann belaufen sich die Fallkosten für einen Blinddarm nächstes Jahr auf 10.000 Euro. Wenn du es dann schaffst, den Patienten loszuwerden, ehe die 10.000 Euro verbraucht sind, dann macht das Krankenhaus Gewinn. Umgekehrt veranlasst das System das Krankenhaus, Fälle möglichst kompliziert darzustellen, weil das die Fallpauschale für nächstes Jahr erhöht. Unter dem Strich kostet das die Kassen, und damit uns, jedes Jahr Milliardenbeträge – Geld, das dann natürlich an anderer Stelle fehlt, z.B. am Personal.

Und zweitens?

Zweitens gäbe es ordentliches Essen. Man weiß: Alle sieben Jahre ist jedes Molekül unseres Körpers ausgetauscht, das bedeutet die Qualität der Ernährung hat maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang der Behandlung. Die Essenspläne werden nicht in Auswertung der Patientendaten von einem Ernährungsexperten gemacht, wie man sich das wünschen würde. Auch die Bestellung der Mahlzeiten ist in vielen Kliniken Aufgabe der Pflege – wie so viel anderes. Doch individuelle Vorlieben und Abneigungen können dabei oft wenig berücksichtigt werden, Wunschkost oder spezielle Diäten werden in aller Regel nur bei Anforderung durch den Stationsarzt umgesetzt. Dass es Patienten gibt, die folglich durch Angehörige mit Nahrungsmitteln versorgt werden, ist für mich erschreckend angesichts des relativen Reichtums in unserem Land.

Kann es sein, dass du ein wenig übertreibst?

Natürlich beruhen meine Schilderungen auf meinen Erfahrungen aus meiner Zeit im System „Krankenhaus“, andere Pflegekräfte haben vielleicht auch andere Erfahrungen gemacht. Allerdings habe ich in vielen Gesprächen mit Kollegen festgestellt, meine Erfahrungen keine Einzelfälle darstellen. Und meine Schilderungen hier sind ja letztlich nur die Spitze des Eisberges, nur das, was sich wirklich eingebrannt hat, und nicht das alltägliche Elend, dem die Patienen Tag für Tag ausgesetzt sind.

Jedenfalls werde ich nicht arbeiten, wenn meine Eltern jemals ins Krankenhaus kommen, sondern werden bei ihnen sein. Du weißt nie, wer ins Zimmer kommt und irgendetwas macht. Ein beliebiges Beispiel aus diesem Alltag: Eine Bekannte hatte eine Teilentfernung der Blase. Nach einem Tag kam eine Ärztin herein und hat angeordnet, den Katheter zu ziehen, obwohl der OP-Bericht des Chirurgen verlangte, dass er sieben Tage lang bleiben muss. Obwohl meine Bekannte darauf hingewiesen hat, wurde er trotzdem entfernt, eine sehr schmerzhafte Prozedur so kurz nach einer großen Operation und auch potentiell gefährlich. Drei Stunden später bekam sie einen Neuen – eine erneute, schmerzhafte und gefährlich Prozedur. Dazu keine Entschuldigung oder Ähnliches.

Warum macht eine Ärztin so was?

Ärzte verbringen wenig Zeit am Patientenbett, sie haben keinen Bezug zum Patienten und sehen oft nur die Diagnose. Ziel ist die zügige Abverlegung oder Entlassung des Patienten nach erfolgreicher Behandlung nach Leitlinie. Außerdem haben Ärzte, insbesondere Oberärzte, häufig die Einstellung: Ich lasse mir nichts sagen, nicht von Kollegen und schon gar nicht von Pflegekräften. Ärzte können eigenmächtig Entscheidungen treffen, egal wie sinnvoll das gerade ist. In den seltensten Fällen findet ein ergebnisoffener Dialog zwischen Patienten und behandelnden Ärzten aller Hierarchieebenen statt. Und kein Assistenzarzt würde die Entscheidung eines Oberarztes in Zweifel ziehen. Es ist so ein bisschen wie im wilden Westen: Wenn du erstmal der Sheriff bist, dann machst du die Regeln – und ein korrektiver oder kontrollierender Mechanismus fehlt.

Oho, gilt dieser Spielraum auch für die Pflegekräfte?

Natürlich gibt es die ärztlichen Anordnungen und die Empfehlungen der Therapeuten, die den Rahmen meines Handelns im Krankenhaus eingrenzen. Doch Papier ist bekanntlich geduldig und so gibt es oft eine große Diskrepanz zwischen dem, was tatsächlich am Patienten geschieht und dem, was die Patientendokumentation beschreibt. So werden viele Maßnahmen, die z.B. für Zertifizierungen der Krankenhäuser wichtig sind, dokumentiert, auch wenn die Maßnahme in der Praxis vielleicht gar nicht durchgeführt wurde. Dies gilt für Lagerungsintervalle der Patienten genauso wie für Körperpflege. Es gilt das Prinzip: Vergütet wird das, was dokumentiert ist. Ob die Maßnahme auch tatsächlich durchgeführt wurde, ist dabei nicht nachzuvollziehen.
Und gerade auf der Intensivstation kommt noch ein großer Handlungsspielraum dazu, was die Gabe von Medikamenten und Flüssigkeitsinfusionen angeht: Hier liegt die Verantwortung zwar offiziell beim Arzt, der hat allerdings oft nicht alle Details der Behandlung auf dem Schirm, sodass viele Entscheidungen von Pflegekräften auf eigene Faust getroffen werden und im Nachhinein durch die Ärzte angeordnet werden. Mal ganz davon abgesehen, dass ich als Pflegekraft letztlich freie Hand habe, welche Medikamente meine Patienten bekommen und welche nicht – Hauptsache, alles ist ordnungsgemäß dokumentiert.

Das klingt so, als hättest du als Pfleger einen großen Spielraum gehabt.

Theoretisch nicht, aber rein praktisch ja. Es kontrolliert dich ja keiner. Du richtest die Tabletten und verabreichst sie den ärztlichen Angaben entsprechend. Aber die Dosierung kann ich erweitern, einschränken oder sogar auf Null fahren. Das bekommt keiner mit.

Letztlich sieht es in der Praxis so aus: Du kommst zur Schicht und das erklärte Ziel ist, alle Patienten lebendig an die nächste Schicht zu übergeben. Wie das Ganze vonstattengeht, ist im Prinzip allen Verantwortlichen egal.

Gibt es denn keine Aufzeichnungen über die Medikation?

Solche Aufzeichnungen gibt es. Ob aber die Anordnungen des Arztes 1:1 umgesetzt werden, dafür gibt es keine Qualitätskontrolle. Das ist vielleicht auch ein Grund, weshalb es immer wieder zu Mordskandalen in diesem Bereich kommt. Natürlich machen es die meisten Kolleginnen richtig, aber es genügt ja, wenn einer ausschert.

Gibt es noch einen dritten Aspekt, wie das ganze System anders organisiert sein sollte?

Drittens gäbe es, der Situation angemessen, ausreichend Personal. Im Krankenhaus bist du an der vordersten Front. Wir sind für die Verbände, die Medikamente, das Essen und sogar für Aufklärungsgespräche verantwortlich. Kaum ist der Arzt aus dem Zimmer, heißt es nicht selten: „Können Sie mir das alles nochmal verständlich erklären?“ Aber es geht auch um die seelische Situation. Viele Patienten brauchen einfach jemanden, der ihnen die Hand hält; auch dafür sind wir zuständig, doch in aller Regel fehlt dafür die Zeit. Man bemerkt in solchen Gesprächen schnell, dass die personelle Ausstattung der Krankenhäuser der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Misere ist. Doch genau das ist es, was seit Jahren ignoriert wurde und nun, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, werden die verbliebenen Pflegenden in den Krankenhäusern mit Durchhalteparolen bei Laune gehalten und darüber hinweg getäuscht, dass sich grundsätzlich nichts ändern wird.

Es ist schon eine groteske Situation: Lediglich auf Intensivstationen gibt es einen annehmbaren Personalschlüssel [Verhältnis Pflegekräfte zu Patienten]. Der hohe Betreuungsaufwand der Apparate und die Schwere der Erkrankungen lassen hier keine Kompromisse zu und so muss sich eine Intensivpflegkraft in der Regel um zwei bis drei Patienten kümmern.

Doch ist diese akute Phase der Erkrankung überstanden, werden die Patienten auf Normalstation verlegt. Hier liegt der Betreuungsschlüssel bei teilweise 12 – 15:1. Zudem kommen auf solchen Stationen mittlerweile auch immer mehr Pflegekräfte mit einer lediglich einjährigen Ausbildung zum Einsatz, mittlerweile auch immer mehr Pflegekräfte aus dem Ausland, wo die sprachliche Barriere den Ablauf und die Organisation zusätzlich erschwert.

Die während der Corona-Pandemie so häufig diskutierte „Triagierung der Patienten“ [Priorisierung medizinischer Hilfeleistungen] ist schon, seit ich in diesem Bereich arbeite, ein normaler Bestandteil des Arbeitsalltages: Man muss abwägen, welche Maßnahmen gerade wichtiger sind als andere; für die Dinge am Ende der Liste ist dann oft keine Zeit.

Und wenn Behandlungsfehler passieren – und dass diese passieren, ist nur zu menschlich – wird von Seiten des Krankenhauses oft gemauert, Verantwortung abgeschoben und werden Tatsachen verschleiert. So verschwinden wichtige Dokumente teilweise ganz, und die Einsicht in die eigenen Patientendaten wird den Patienten mit Verweis auf datenschutzrechtliche Bedenken erschwert – völlig absurd, da sich die Daten ja auf diejenige Person beziehen, welche die Einsicht verlangt. Im Zweifel hilft dann nur noch ein guter Fachanwalt bei der Durchsetzung der Patientenrechte. Doch diese Fälle sind selten, oftmals gibt es gar keine Angehörigen oder die Angehörigen scheuen den juristischen Streit.

Dann gibt es natürlich auch die Art von Ärzten, die eigenmächtig Entscheidungen treffen, die dann aber auch wieder keinem korrektiven Mechanismus untergeordnet sind.

Was für ein Betreuungsschlüssel wäre nötig?

Ich denke, dass man mit einem Betreuungsschlüssel von 8:1 den Menschen im Krankenhaus besser gerecht werden könnte. So wären genügend zeitliche Reserven mit eingeplant, um Krisensituationen mit Patienten besser bewältigen und kurzfristige Personalausfälle besser abfedern zu können. Das Problem ist, dass das Krankenhaus per Definition mit den Themen Vergänglichkeit und Sterblichkeit verknüpft ist, zutiefst tabuisierte Themen in unserer Gesellschaft. Daher findet kein öffentlicher Diskurs zu diesem Thema statt und viele Menschen haben ja auch gar keine Vorstellung von den Zuständen im Krankenhaus – solange, bis sie selbst oder jemand aus ihrer Familie in so einem Bett liegt. Dann ist die Ernüchterung und der Frust oft groß, wenn man die Behandlungsdefizite bemerkt. Leider ist gerade die seelisch Vernachlässigung System. Letztlich überlässt es das „System Krankenhaus“ den Pflegenden, wie viel emotionale Zuwendung sie Patienten schenken.

Hat die Corona-Krise zu irgendeiner Art von Umdenken geführt, gar zu Verbesserungen?

Jein. Während der Pandemie, als das Gesundheitssystem zu kollabieren drohte, wurden wir teilweise von der Bundeswehr unterstützt. Natürlich sind Soldaten, die keinerlei medizinische Ausbildung haben, auch nur eine begrenzte Hilfe in einem so hoch spezialisierten System. Doch diese Maßnahmen wurden bereits vor Beginn des Ukraine-Krieges eingestellt.

Außerdem erinnern wir uns an den Beifall von den deutschen Balkonen für die Helden im Krankenhaus. Dass diese Helden mit Abklingen der Pandemie wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würden, war für mich klar und keine Überraschung. Insgesamt hat die Corona-Pandemie eher gezeigt, dass es kein wirkliches Interesse der Verantwortlichen gibt, die nötigen Veränderungen einzuleiten. Meine Frustration darüber, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen und die Arbeit nicht so tun zu können, wie man es einmal gelernt hat („Der Patient steht im Mittelpunkt und ist individuell entsprechend seiner Bedürfnisse zu versorgen. Die Würde des Menschen ist das höchste Gut“) ließ zuletzt meinen Wunsch wachsen, mich aus diesem System zu verabschieden. Zu groß ist aus meiner Sicht der Einfluss derer, die vom derzeitigen Status Quo profitieren. Mein Gefühl ist, dass es auf höherer Ebene einen Unwillen, vielleicht auch mit finanziellem Anreiz, dagegen gibt, den Status Quo im Sinne der Patienten und Mitarbeiter im Krankenhaus zu verändern.

Man muss sich die groteske Situation vor Augen halten, wo große Konzerne aus dem Bereich Pharma mittlerweile marode Krankenhäuser aufkaufen, um sie dann in das eigene Vertriebsnetz zu integrieren – ohne Mehrwert für die Gesellschaft (Kosteneinsparungen) oder den Patienten (bessere Behandlung). Die Vorteile liegen bei den produzierenden Konzernen: Sie können Preise diktieren und die eigenen Krankenhäuser zum Kauf von ggf. überteuerten Produkten zwingen und so Geld aus öffentlichen Kassen auf private Konten spülen.

Und diese Produkte zielen meiner Empfindung nach nicht darauf ab, das Leid der Patienten zu beenden, sondern sie in eine möglichst treue Kundschaft der Pharmaindustrie zu verwandeln, die abhängig von den chemischen Produkten dieser Firmen sind. Denn zwei Sorten von Menschen sind für diesen riesigen Industriezweig unrentabel: die Gesunden und die Toten. Und so wusste schon Paracelsus: „Also sollen wir wissen, dass zwei Arten der Ärzte sind: die aus der Liebe handeln und aus dem Eigennutz.“ Ein paar Jahre in der Pflege haben mir gezeigt, dass er Recht hatte. Ich habe beide Typen von Ärzten kennenlernen dürfen.

Die Motivation eines Pflegenden, Menschen helfen zu wollen, unterstützt das wenig

Nein, das zutiefst Menschliche ist im Krankenhaus nicht nur unwichtig, es spielt keine Rolle. Und für die Kollegen, die einfach „Dienst nach Vorschrift“ machen, ist der Alltag deutlich leichter zu bewältigen. Warum sollte man sich auch selbst zusätzlichem Stress aussetzen, wenn dies weder wertgeschätzt noch erwartet wird? Weißt du, wir hatten die Stechuhr in der Umkleide. Wenn mal weniger zu tun war, hättest ich gehen können, aber dann wird dir das vom Lohn abgezogen. Du hast nicht das Gefühl, dass man deine Arbeit wertschätzt. So was kommt nur von Patienten, aber nicht von der Leitung. Das zehrt schon an der Motivation. Wenn du Einsatz bringst, musst du das rechtfertigen, das ist würdelos und respektlos. Du bekommst nämlich nicht mehr, wenn du länger bleibst, z.B. um eine Kollegin nicht hängen zu lassen. Bezahlt bekommst du das nur, wenn du das bei deinem Chef beantragt und gerechtfertigt hast. Logisch bleibst du auf Station, bis deine Schicht durch ist, auch wenn deine Arbeit längst erledigt ist.

Gab es einen ganz konkreten Anlass, dass du hingeschmissen hast?

Es gab für mich nicht die EINE Situation, bei der ich dachte „Jetzt reichts, das wars“. Für mich war es eine schleichende Entwicklung: Viele Kollegen stumpfen ab angesichts der Verhältnisse im Krankenhaus und der Machtlosigkeit, diese zu verändern. Ich konnte das nicht und bin auch sehr froh darüber. Ich habe mir oft ein paar Extraminuten für meine Patienten genommen und habe gemerkt, wie gut es ihnen getan hat. Doch oft hatte ich dadurch mehr Stress als meine Kollegen, war mit meinem Arbeitspensum im Verzug oder musste länger bleiben.

Retrospektiv habe ich für dieses Engagement einen hohen Preis gezahlt: ein brachliegendes Privatleben, Schlafprobleme und eine gewisse Entfremdung von den eigenen Bedürfnissen und Träumen. Ich lebte für die Arbeit im Krankenhaus, und kaum hatte ich frei, fühlte ich, wie ein Stecker gezogen wurde und mich dazu zwang, mich zu regenerieren. Allerdings nicht für mich, sondern um wieder diensttauglich zu sein. Oft hatte ich in meinen freien Tagen eine durchgehende Migräneattacke, bis ich wieder zum Dienst musste.

Und so war ich nicht weiterhin bereit, meine Lebenszeit und -energie in einem System zu verheizen, in dem der Patient und das Patientenwohl einen völlig untergeordneten Stellenwert einnehmen und in dem auch hingenommen wird, dass die meisten Arbeitnehmer in diesem System im Laufe ihres Lebens arbeitsunfähig werden. Entweder weil sie psychisch oder physisch an ihre Grenzen geraten und diese aber nicht anerkennen.

Man wird ja auch eigentlich allein gelassen: Dort sind die Patienten, die Hilfe brauchen und da sind die Pflegekräfte, die niemals den Berg von Arbeit bewältigen können, der zu Schichtbeginn auf sie wartet.

*Name anonymisiert aus naheliegenden Gründen