Berlin diskutiert Umgang mit den erstarkenden BRICS. Diese nehmen sechs neue Mitglieder auf, verankern sich intensiv in Nah- und Mittelost und schwächen die Stellung des US-Dollar.
Berlin diskutiert über Reaktionen auf den Einflussgewinn des BRICS-Bündnisses nach dessen erfolgreichem Gipfel vergangene Woche in Johannesburg. Der Versuch des Westens – auch der Bundesregierung –, einen Keil in das Bündnis zu treiben, ist gescheitert: Der Gipfel brachte trotz der Auseinandersetzungen um die Teilnahme des russischen Präsidenten Wladimir Putin zwei wichtige Fortschritte. Zum einen nehmen die BRICS zum 1. Januar 2024 sechs neue Mitgliedstaaten auf, darunter die vier stärksten Mächte im Nahen und Mittleren Osten, wo sich der Einfluss des Westens spürbar reduzieren wird. Der Anteil des Bündnisses an der globalen Wirtschaftsleistung wird sich von etwa 25 auf rund 37 Prozent erhöhen. Zudem werden die BRICS-Staaten ihren Handel noch stärker als bisher vom US-Dollar auf nationale Währungen umstellen, vermutlich auch den saudischen, emiratischen und iranischen Ölhandel; dies wird die globale Bedeutung der US-Währung schrittweise reduzieren. Berliner Regierungsberater dringen darauf, gegenüber den BRICS von der Spaltungs- zu einer Einbindungsstrategie überzugehen, um einen weiteren Einflussverlust des Westens zu verhindern.
Der BRICS-Gipfel in Johannesburg
Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) stufen ihr Gipfeltreffen, das in der vergangenen Woche in Johannesburg abgehalten wurde, als echten Erfolg ein. Den westlichen Mächten ist es nicht gelungen, einen Keil in das Bündnis selbst oder auch zwischen die BRICS-Mitglieder und die zahlreichen beitrittswilligen Länder zu treiben. Dem Ziel, bündnisinterne Spannungen zu schüren, hatte unter anderem die Drohung gedient, Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Anreise nach Südafrika festnehmen zu lassen. Zudem hatten vor allem die USA ihren Druck auf Pretoria zuletzt deutlich erhöht, zu Moskau auf Distanz zu gehen. Ganz der Spaltungsstrategie folgend, hatte Außenministerin Annalena Baerbock noch unmittelbar vor Beginn des BRICS-Gipfels erklärt, jedes Land müsse sich selbst fragen, „welche Partnerschaft … am besten zu den eigenen Werten und Interessen“ passe – denn es helfe nicht, sich intern mit Moskau abzustimmen, wenn Russland „zugleich das Getreideabkommen im wahrsten Sinne des Wortes bombardiert, wo dann Länder wie Brasilien oder auch Südafrika mit darunter leiden“.[1] Die Strategie ging nicht auf: Putin nahm, wenngleich nur per Videoschaltung, an dem Gipfel teil; jegliche Absetzbewegung von Russland blieb aus. Den BRICS-Staaten gelang es sogar, zwei bedeutende Vorhaben weiter voranzutreiben.
Die BRICS-Erweiterung
Zum einen einigten sie sich auf eine große Erweiterungsrunde. Dass dies gelang, war nicht selbstverständlich. China hatte sich bereits seit Jahren für die Aufnahme neuer Mitglieder eingesetzt, war damit aber vor allem bei Brasilien und Indien auf Widerstand gestoßen: Weil die meisten potenziellen Beitrittskandidaten engere Beziehungen zu Beijing als zu Brasília oder zu New Delhi unterhielten, schien klar zu sein, dass eine Erweiterung den chinesischen Einfluss innerhalb der BRICS zu Lasten der anderen Mitglieder stärken würde. Hinzu kam die Befürchtung, jede Erweiterung werde die Entscheidungsfähigkeit des Bündnisses schwächen; als warnendes Beispiel wurde zuweilen die EU genannt. Die Bemühungen des Westens, seine globale Dominanz durch die Ausschaltung Russlands als Machtfaktors zu festigen, haben nun jedoch den Widerstand gegen die transatlantischen Mächte anschwellen lassen und auch in Brasilien und Indien die Bereitschaft zur Aufnahme neuer Mitglieder gestärkt. Als für Brasilien vorteilhaft gilt, dass Argentinien dem Bündnis beitreten soll, was das Gewicht Südamerikas innerhalb der BRICS erhöht. Für Südafrika günstig ist die Aufnahme Äthiopiens, die die Stellung des afrikanischen Kontinents aufwertet. In Addis Abeba hat die Afrikanische Union (AU) ihren Sitz; Äthiopien gilt zudem als potenziell stärkste Macht Ostafrikas.
Dominanzverlust in Mittelost
Weitreichende Folgen hat vor allem, dass vier Länder des Nahen und Mittleren Ostens den BRICS beitreten sollen (Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Iran). Noch vor kurzem galt die Vormacht des Westens und insbesondere der USA in der Region als unbestritten – ausgenommen Iran, das allerdings mit Sanktionen weitgehend in Isolation und einer Position der Schwäche gehalten wurde. Die Integration Irans gleichzeitig mit seinem Erzfeind Saudi-Arabien in das BRICS-Bündnis, ermöglicht durch chinesische Vermittlung bei der jüngsten Wiederannäherung zwischen Riad und Teheran (german-foreign-policy.com berichtete [2]), hat das Potenzial, das Land aus der Isolation zu lösen. Russland kooperiert eng mit Iran und in gewissem Maß mit Ägypten; China unterhält enge Beziehungen zu allen vier künftigen BRICS-Neumitgliedern aus Nah- und Mittelost. Indien intensiviert seine Kooperation mit Iran; Anfang Mai wurde sein Nationaler Sicherheitsberater Ajit Doval von Irans Präsident Ebrahim Raisi empfangen.[3] Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind bemüht, den riesigen, relativ nahe gelegenen indischen Markt zu erschließen. Der indisch-emiratische Handel übertrifft den deutsch-emiratischen schon um rund das Dreifache. Indien entwickle sich „zu einem bedeutenden Player in Mittelost“, hielt kürzlich das US-Fachblatt Foreign Policy fest.[4] Mit der festen Integration der Region in die BRICS schwindet der Einfluss des Westens dort weiter.
Weg vom US-Dollar
Zugleich intensivieren die BRICS ihre Bemühungen, die globale Bedeutung des US-Dollar zu reduzieren. Dazu soll, dies haben die Mitgliedstaaten auf ihrem Gipfel in Johannesburg beschlossen, der grenzüberschreitende Handel stärker in nationalen Währungen getätigt werden. Schon im Frühjahr wurde berichtet, der Handel der BRICS-Staaten untereinander werde nur noch zu 84,3 Prozent in US-Dollar abgewickelt, der Rest in anderen Währungen. Russland und China etwa zahlen schon jetzt regelmäßig in Rubel oder Yuan; Brasilien und China haben Zahlungen in Reais oder in Yuan vereinbart.[5] Das Vorgehen stößt noch auf Hindernisse: Russland etwa lässt sich seine Erdölexporte nach Indien nicht mehr in Rupien bezahlen, weil es bislang nur wenig aus Indien importiert und die Rupien deshalb nur teilweise verwenden kann. Dennoch bietet die Umstellung auf nationale Währungen große Vorteile: Sie dient dem Ziel, erläutert die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), „die Fähigkeit der USA einzuschränken“, ihre Globalinteressen „mithilfe von Finanzsanktionen durchzusetzen“.[6] Mit größeren Folgen sei zu rechnen, sollte es gelingen, den globalen Erdölhandel verstärkt nicht mehr in US-Dollar zu tätigen, erläutert das Institut for Security Studies (ISS) aus Pretoria; dies sei einer der Gründe dafür gewesen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate in die BRICS aufzunehmen.[7] Dennoch werde eine Entthronung des US-Dollar nur langsam vonstatten gehen.
Kredite in nationalen Währungen
Weg von der Nutzung des US-Dollar bewegt sich auch die New Development Bank (NDB), die die BRICS im Jahr 2014 als Alternative zur Weltbank gründeten und die 2015 ihre Arbeit aufnahm. Die NDB hat in den vergangenen Jahren Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bangladesch aufgenommen; Uruguay befindet sich im Beitrittsprozess. Weitere Neumitglieder sollen folgen. Die Bank hat seit ihrer Gründung 98 Vorhaben mit Krediten in Höhe von rund 33 Milliarden US-Dollar unterstützt und wird 2023 und 2024 76 weitere Projekte mit Mitteln im Wert von 18,2 Milliarden US-Dollar fördern.[8] Auch die NDB stellt ihre Aktivitäten von US-Dollar auf nationale Währungen um – nicht zuletzt, weil damit die Gefahr entfällt, bei einer Erhöhung der US-Leitzinsen ohne jegliches eigene Zutun vor einer fatalen Zunahme eigener Zinszahlungspflichten zu stehen.[9] Bereits jetzt beläuft sich der Anteil der NDB-Aktivitäten, die nicht in US-Dollar abgewickelt werden, auf 22 Prozent; der Großteil davon sind Kredite, die in Yuan vergeben wurden. Laut NDB-Präsidentin Dilma Rousseff soll der Anteil im Zeitraum von 2022 bis 2026 auf 30 Prozent erhöht werden.[10] Dabei gehe es um Kredite in brasilianischen Reais, südafrikanischen Rand und indischen Rupien. Da die NDB noch auf US-Dollar angewiesen ist, musste sie ihre Aktivitäten in Russland einfrieren. Derlei soll langfristig nicht mehr nötig sein.
Von der Spaltungs- zur Einbindungsstrategie
Mit ihrer Erweiterung und der zunehmenden Abkehr vom US-Dollar entwickeln sich die BRICS langfristig zu einem wirkungsvollen Gegengewicht zum Westen, dessen Dominanz damit schwindet. In Berlin heißt es, mit einer Fortsetzung des Versuchs, die BRICS zu spalten, werde man kaum Erfolg haben. Besser sei es, riet schon vor dem BRICS-Gipfel die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), auf eine Art Einbindungsstrategie zu setzen; dies könne etwa darin bestehen, Großveranstaltungen wie die Münchner Sicherheitskonferenz „stärker für Thematiken des Globalen Südens [zu] öffnen“.[11] Damit könne man erreichen, dass die künftige Weltordnung nicht „als ‘vom Westen verordnet‘ wahrgenommen“ werde. Elemente einer Einbindungsstrategie fanden sich schon in ersten Stellungnahmen von Außenministerin Baerbock nach dem BRICS-Gipfel in Johannesburg. Man werde weiterhin nicht nur mit den BRICS-Ländern – außer Russland, eingeschränkt mit China –, sondern auch mit den Neumitgliedern zusammenarbeiten, teilte Baerbock mit: „Wir wollen gemeinsam mit den Ländern auf der Welt kooperieren, natürlich auch mit denen, die andere Ansichten haben“.[12] Dass sich die BRICS-Mitglieder durch derlei Integrationsangebote vom Streben nach echter Eigenständigkeit abbringen lassen, ist freilich wenig wahrscheinlich.
[1] Baerbock sieht keine Schwächung der G-20. tagesspiegel.de 22.08.2023.
[2] S. dazu Das Ende der US-Dominanz am Persischen Golf (III).
[3] SD Pradhan: Doval visits Iran: India-Iran ties moving to a new level. timesofindia.indiatimes.com 04.05.2023.
[4] Steven A. Cook: India Has Become a Middle Eastern Power. foreignpolicy.com 30.06.2023.
[5], [6] Günther Maihold, Melanie Müller: Eine neue Entwicklungsphase der BRICS. SWP-Aktuell 2023/A 52. Berlin, 17.08.2023.
[7] Jakkie Cilliers: BRICS+ and the future of the US dollar. issafrica.org 25.08.2023.
[8] NDB President Dilma Rousseff Reported to BRICS Leaders at the 15th BRICS Summit. ndb.int 24.08.2023.
[9] Jakkie Cilliers: BRICS+ and the future of the US dollar. issafrica.org 25.08.2023.
[10] Michael Stott: Brics bank strives to reduce reliance on the dollar. ft.com 22.08.2023.
[11] Günther Maihold, Melanie Müller: Eine neue Entwicklungsphase der BRICS. SWP-Aktuell 2023/A 52. Berlin, 17.08.2023.
[12] Baerbock: Gespräche auch mit Brics-Beitrittsländern. handelsblatt.com 24.08.2023.