Deutschlands Regierung schaut und reist nach Lateinamerika. Ob Lithium oder medizinische Fachkräfte – fehlende Ressourcen sucht sie im Globalen Süden. 2022 gab es in Deutschland mehr als 200.000 offene Stellen in Pflege und medizinischer Versorgung. Laut der Agentur für Arbeit kommen nur 33 Arbeitssuchende auf 100 gemeldete Stellen in der Pflegebranche. Von den 421.000 praktizierenden Ärzt*innen sind ein Drittel über 55 Jahre alt.
Auch in Lateinamerika herrscht Mangel in der Gesundheitsversorgung. Die öffentlichen Gesundheitssysteme waren in den vergangenen fünf Jahrzehnten das Ziel von Strukturanpassungsprogrammen, erzwungen vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Neoliberale „Gesundheitsreformen“ führten zu Privatisierung und Fragmentierung. Ein Beispiel ist Kolumbien mit einer Zersplitterung des Gesundheitssystems in eine Vielzahl privater Krankenversicherungen und Dienstleistern seit 1993. Der Zugang zu einer angemessenen, bezahlbaren Gesundheitsversorgung wurde so erschwert. Auch in Honduras ist das öffentliche Gesundheitssystem dramatisch unterfinanziert. Ärzt*innen und Pleger*innen sind unterbezahlt und arbeiten unter schwierigsten Bedingungen, viele wollen auswandern.
Kein Wunder also, dass die Verbesserung der öffentlichen Gesundheitsversorgung ein zentrales Versprechen linker Regierungen in Lateinamerika ist. Die Umsetzung ist nicht einfach. In Kolumbien war der Widerstand der privaten Gesundheitsunternehmen so massiv, dass Gustavo Petros Gesundheitsreform fast im Kongress scheiterte. In Brasilien war die Entwicklung allerdings lange eine andere. Nach der Diktatur wurde in der Verfassung von 1988 Gesundheit als Recht aller Bürger*innen und ihre Erhaltung als Pflicht des Staates definiert. In der 8. Nationalen Gesundheitskonferenz wurde das „Einheitliche Gesundheitssystem“ (SUS) geschaffen. So sollten alle Brasilianer*innen eine medizinische Versorgung erhalten.
Doch die neoliberale Politik der rechten Regierungen seit 2016 führte zu einer systematischen Unterfinanzierung des SUS. Auch deshalb verursachte die Pandemie in Brasilien selbst im lateinamerikanischen Vergleich katastrophale Todeszahlen. Ein Ziel der Regierung Lula und der Zivilgesellschaft ist die Wiederbelebung des darniederliegenden Gesundheitssystems: Anfang Juli fand dazu die 17. nationale Gesundheitskonferenz statt. Aktuell sind die Bedingungen für brasilianischen Ärzt*innen und Pfleger*innen im SUS aber weiter schlecht. Gerade die Pfleger*innen führen einen erbitterten Kampf um eine bessere Bezahlung. Zusätzlich ist dort schätzungsweise jede*r Zehnte arbeitslos.
Um Pflegekräfte anzuwerben, reisten die Minister*innen Baerbock und Heil im Mai nach Brasilien und sprachen von einer „Win-Win“-Situation. Der Verein demokratischer Ärzt*innen und der brasilianischen gesundheitspolitischen Organisation CEBES sehen das anders: „Indem Deutschland Gesundheitspersonal in Brasilien anwirbt, profitiert es von den schlechten Arbeitsbedingungen und der Unterfinanzierung des SUS.“ Fakt ist, dass die Ausbildung von medizinischen Fachkräften erhebliche volkswirtschaftliche Kosten verursacht. Es ist kein Zufall, dass hierzulande viel zu wenig ausgebildet wird. Die Ursachen sind die miserablen Arbeitsbedingungen und eine schlechte Bezahlung, die das reiche Deutschland nicht verbessern will. Doch wenn Hochqualifizierte das Ausbildungsland verlassen, ist das für dieses ein Verlustgeschäft. Der Transfer von medizinischem und pflegerischem Personal ist weder für Brasilien noch für Deutschland eine Lösung.
Die Deutsche Plattform für globale Gesundheit fordert, dass eine Abwerbung in gute Arbeitsbedingungen führen und fair sein muss. Die Bundesregierung solle sich für ausreichend finanzierte, gemeinwohlorientierte und bedarfsgerechte Gesundheitssysteme in Deutschland und weltweit einsetzen. Diese Forderung unterstützen wir.