Daniela Gschweng für die Onlinezeitung Infosperber
Eine NGO aus Uganda unterstützt Therapeuten in der Behandlung von ukrainischen Kriegsopfern. Ihr Wissen wird dringend gebraucht.
Die schlimmsten Wunden des Krieges sieht man nicht. Jedenfalls nicht sofort. Der Krieg in der Ukraine hat Millionen Menschen traumatisiert. Psychologen bemühen sich, sie zu behandeln, Therapeut:innen in der Ukraine haben aber meist wenig Erfahrung in der Behandlung von Kriegstraumata.
Wichtige Hilfe kommt derzeit aus Afrika. Die kleine NGO Ayinet aus Uganda unterstützt die Therapeutinnen und Therapeuten weltweit. Sowohl mit therapeutischer Expertise wie mit eigener leidvoller Erfahrung, berichtet ihr Gründer Victor Ochen in einem lesenswerten Interview mit der «taz».
Aus leidvoller Erfahrung und dem Kampf dagegen
Ochen und sein Team sind mit den seelischen Verletzungen des Krieges vertraut. Die meisten Fachleute von Ayinet sind selbst im Bürgerkrieg aufgewachsen. Nun schulen sie Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt im Umgang mit Kriegstraumatisierten.
Ochen, der in diversen Flüchtlingslagern gross wurde, musste unter anderem erleben, wie sein Bruder gekidnappt und zum Kindersoldaten wurde. Nach dem Krieg gründete er Ayinet, das Kriegsopfern chirurgische und psychologische Hilfe zukommen lässt und sich für einen Versöhnungsprozess einsetzt.
Im Ukraine-Expertenpool vertreten sind viele afrikanische Länder mit Kriegs- und Konflikterfahrungen wie Sierra Leone, Liberia, Kenia und Südafrika. Ihre Gesprächspartner im Norden sind oft höher qualifiziert als sie selbst. Aber in kaum einem anderen Land kennt man die seelischen Folgen eines Krieges so gut wie dort.
Die eigene Geschichte kann helfen, andere zu heilen
Die Therapeutinnen und Therapeuten von Ayinet stellten ein Lehrbuch zusammen und organisierten mehrtägige Online-Schulungen für Psychiater und Psychologen in der Ukraine. Ihren Konferenzraum in Lira in Norden Ugandas hätten sie in ein Kontrollzentrum umgebaut, erzählt Ochen.
Wenn es sein muss, schalten sie sich live in Therapiegespräche ein – rund um die Uhr. Um Ukrainerinnen und Ukrainern zu helfen, erzählen sie auch aus der eigenen Geschichte. Das zeige den Opfern, dass man solche schlimmen Situationen überstehen könne. Sowohl die Therapeuten wie ihre Patienten fühlten sich dann weniger allein. «Solidarität ist der erste Schritt zur Heilung», sagt er zur «taz».
Grösstes Hindernis ist die Sprache – und fehlendes Geld
Das grösste Problem bei der Zusammenarbeit sind nicht kulturelle Unterschiede. Am ärgerlichsten seien schlechte Internetverbindung und Sprachprobleme, sagt Ochen. Nicht alle Ukrainer sprächen gut Englisch, einige der Opfer wiederum nur Russisch – für die Kolleg:innen in der Ukraine zum Teil die Sprache des Feindes. Und auch die Helfenden bräuchten Betreuung, weil das Gehörte und der Krieg sie belasten. «Eine Kollegin erzählte, sie hätte am Tag zuvor fast versehentlich ihren Mann umgebracht», berichtet er aus einer Onlinesitzung.
Das Startkapital der ukrainischen Botschaft sei längst aufgebraucht, berichtet Ochen. Ihren Aufwand bezahlten die Therapeutinnen und Therapeuten von Ayinet (African Youth Initiative Network) grösstenteils aus eigener Tasche.
Bisher habe sich kein grosser Geldgeber dazu bewegen lassen, an eine afrikanische Organisation zu spenden, um der Ukraine zu helfen. Er bemühe sich, wenigstens genügend Geld aufzutreiben, um den Mitarbeitenden die Internet- und Telefonverbindung zu bezahlen. Abhilfe soll jetzt ein Ableger von Ayinet in Berlin schaffen.
«Die Welt hat auf humanitärer Ebene gerade dringenden Bedarf an afrikanischer Expertise.»
Victor Ochen
Die Welt habe gerade dringenden Bedarf an afrikanischer Expertise, sagt er zur «taz». Gegenüber dem WEF erklärte er im Oktober vergangenen Jahres: «Wir kommen nicht aus Afrika, weil wir alles wissen. Aber wir wissen, was es heisst, bombardiert zu werden, vertrieben zu werden, seine Eltern zu verlieren, seine Kinder zu verlieren und was mit Kindern passiert, die in den Konflikt geraten sind.»
Die Arbeit der Therapeutinnen und Therapeuten wird noch lange andauern. Unbehandelte Traumata können Betroffenen und deren Umgebung das Leben sehr schwer machen. Sie setzen sich fort, oft über Generationen. Vielen Opfern ist kein normales Leben möglich. Eine schwere Hypothek für eine Gesellschaft, die irgendwann wieder zum Frieden finden muss.
Zunächst gelte es aber, eine Retraumatisierung Betroffener in der Therapie oder bei Zeugenbefragungen zu vermeiden, sagt Ochen. Dazu sei es wichtig, Therapeuten gezielt auszubilden. Langfristig möchte er ukrainische Experten nach Afrika einladen. Afrikanische Expert:innen könnten dann Wissen darüber weitergeben, wie Traumata noch nach Jahrzehnten auf Gesellschaften wirken und wie sie geheilt werden können.