EU plant neuen Militäreinsatz in vier Küstenstaaten Westafrikas. Damit soll der Verlust jeder Militärpräsenz im Sahel nach einem eventuell unumgänglichen Rückzug aus Niger verhindert werden.

Die EU plant einen neuen Militäreinsatz in Westafrika. Wie vor dem Treffen der EU-Außenminister am gestrigen Donnerstag in Toledo berichtet wurde, ist die Entsendung von Soldaten und Polizisten aus Europa in die nördlichen Regionen von insgesamt vier Staaten am Golf von Guinea (Côte d’Ivoire, Ghana, Togo, Benin) geplant. Auf diese Gebiete drohen die jihadistischen Aufstände überzugreifen, gegen die die Staaten der EU in Mali, Burkina Faso und Niger seit einem guten Jahrzehnt kämpfen – ohne jeden Erfolg. Der Einsatz zielt vor allem darauf ab, eine EU-Militärpräsenz im zentralen Sahel für den Fall zu sichern, dass Frankreich und die EU aus Niger abziehen müssen. Diese Forderung unterstützen starke Kräfte in der nigrischen Bevölkerung; sie wollen ab dem kommenden Sonntag unweit des französischen Stützpunkts in Niamey dafür demonstrieren. Die EU kooperiert bei ihrem geplanten neuen Einsatz mit Staaten, die eine Militärintervention zum Sturz der nigrischen Junta fordern. Berlin und die EU sind längst militärisch am Golf von Guinea präsent: Die EU entsendet Schiffe gegen Piraten, während Berlin Geld für die Ausbildung von Militärs für Auslandseinsätze bereitstellt.

Abzug aus dem Sahel

Der geplante neue EU-Einsatz in Westafrika soll verhindern, dass die Staaten Europas schon bald ihre militärische Präsenz im zentralen Krisengebiet des Sahel womöglich aufgeben müssen. Mali ist für sie auf absehbare Zeit verloren: Frankreich hat seine Truppen, die dort im nationalen Rahmen stationiert waren, längst abgezogen; auch die Einheiten aus Europa, die im Rahmen der UN-Truppe MINUSMA im Land stationiert sind – darunter mehr als tausend deutsche Soldaten –, müssen bis zum Jahresende heimkehren.[1] Frankreich musste zudem seine Truppen aus Burkina Faso abziehen. Der ursprüngliche Plan, Niger als großen Ersatzstandort aufzubauen – sowohl für die französischen Streitkräfte als auch für die EU –, steht nach dem Putsch in Niamey vor dem Scheitern. Die nigrische Junta hat die Militärabkommen mit Frankreich gekündigt; die Abzugsfrist endet Anfang September. Zwar weigert sich Paris, seine Truppen aus dem Land zu holen. Doch ist unklar, wie lange dies aufrechterhalten werden kann: Zivile Organisationen in Niger haben angekündigt, ab diesem Sonntag gegen die französische Militärpräsenz zu demonstrieren. Eine Aufkündigung der Stationierungsvereinbarungen mit der EU liegt bislang nicht vor; doch sind die europäischen Truppen – auch die deutschen – zu ihrer Absicherung auf die französische Militärpräsenz angewiesen.

Ersatzstandorte

Die EU will nun die Tatsache nutzen, dass die Angriffe jihadistischer Milizen im Sahel sich mittlerweile auf Länder südlich Malis, Burkina Fasos und Nigers auszuweiten beginnen: Sie will ihre Truppen im Norden von vier Staaten an der Küste des Golfs von Guinea stationieren – in Côte d’Ivoire, in Ghana, in Togo und in Benin –, und zwar unter dem Vorwand, den Vormarsch der Jihadisten dort stoppen zu wollen. Blickt man auf die Einsätze europäischer Staaten und der EU in Mali, Burkina Faso und Niger, gibt dies wenig Anlass zur Hoffnung, ausgerechnet die EU könne mit ihrem neuen Einsatz wirksam Hilfe leisten: Nirgendwo ist es ihr in den vergangenen Jahren im Sahel gelungen, Jihadisten zu schwächen; sie sind stärker als zuvor. Konkret solle der neue EU-Einsatz die Streitkräfte der vier Staaten ausbilden und beraten, teilt eine EU-Sprecherin mit; Militärs aus EU-Mitgliedstaaten würden einheimische Truppen auf konkrete „Anti-Terror-Operationen“ vorbereiten, technische Unterstützung leisten und vorgeblich die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern.[2] Zunächst solle der Einsatz auf zwei Jahre beschränkt sein. Allerdings werden EU-Einsätze traditionell immer wieder verlängert. Die Zahl der teilnehmenden Soldaten und Polizisten steht noch nicht fest. Offiziell gestartet werden soll die Operation beim Treffen der EU-Außenminister im kommenden Monat.

Von Frankreich ins Amt gebombt

Bei ihren neuen Einsatzplänen stützt die EU sich maßgeblich auf zwei Staaten, die in der Debatte um eine Militärintervention zur Entmachtung der Junta in Niger eine zentrale Rolle spielen: Côte d’Ivoire und Benin. Der ivorische Präsident Alassane Ouattara hat angekündigt, für einen etwaigen Einsatz in Niger rund tausend Soldaten bereitstellen zu wollen. Ouattara selbst, ein ehemaliger IWF-Vizedirektor [3], wurde im Frühjahr 2011 nach umstrittenen Wahlen durch einen Militäreinsatz Frankreichs ins Amt gebracht; französische Militärs legten dabei, um den noch amtierenden Präsidenten Laurent Gbagbo zu entmachten, den ivorischen Präsidentenpalast in Schutt und Asche. Obwohl die ivorische Verfassung nur zwei Amtszeiten zulässt, kandidierte Ouattara im Jahr 2020 ein drittes Mal; die Wahl war von der Opposition boykottiert worden, nachdem die ivorische Justiz die maßgeblichen Oppositionspolitiker, Gbagbo und Guillaume Soro, nicht zur Kandidatur zugelassen hatte. Benin wiederum hat ebenfalls Truppen für einen etwaigen ECOWAS-Krieg gegen Niger in Aussicht gestellt; seine Grenze zu Niger gilt als einer der möglichen Ausgangspunkte für eine Invasion. Aktuell hält Benin mit der Schließung seiner Grenzen zu Sanktionszwecken Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung Nigers fest (german-foreign-policy.com berichtete [4]).

Militärausbildung und Marinepräsenz

Militärisches Neuland beträten Deutschland und die EU in Westafrika nicht. In Ghana etwa ist das Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre (KAIPTC) angesiedelt, an dem Militärs sowie Polizisten aus Westafrika für Auslandseinsätze trainiert werden; die Einrichtung wurde im Januar 2004 in Anwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder eröffnet und wird seitdem von der Bundesrepublik mitfinanziert.[5] Die Streitkräfte Ghanas etwa wurden darüber hinaus mit deutscher Hilfe ausgebildet und ausgerüstet; Berlin förderte den Aufbau einer ghanaischen Pioniereinheit von 2009 bis 2017 mit knapp elf Millionen Euro und stellte Accra 2017 bis 2020 weitere 8,2 Millionen Euro bereit, etwa für den Aufbau eines mobilen Gefechtsstandes.[6] Darüber hinaus beteiligt sich die EU am Kampf gegen Piraten im Golf von Guinea. Zu diesem Zweck hat sie Anfang 2021 begonnen, regelmäßig Kriegsschiffe in die dortigen Gewässer zu entsenden. Das zunächst auf ein Jahr begrenzte Pilotprogramm (Coordinated Maritime Presence, CMP) wurde Anfang 2022 zunächst für zwei Jahre verlängert.[7] Die Marinepräsenz verschafft den beteiligten Truppen einerseits exklusive Kenntnisse über das maritime Geschehen in der Region; andererseits trägt sie dazu bei, die Kontakte zu den westafrikanischen Streitkräften auszubauen.

Putsch in Gabun

Noch ungewiss ist, ob der Putsch in Gabun Konsequenzen für die Planungen für den EU-Militäreinsatz in Westafrika haben wird. Gabuns gestürzter Präsident Ali Bongo galt als einer der engsten, aber auch der korruptesten Parteigänger Frankreichs in Afrika. Ob der Putsch, mit dem Bongo nach einer vermutlich stark gefälschten Wahl aus dem Amt entfernt wurde – unter dem Jubel großer Teile der Bevölkerung –, Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Libreville und Paris haben wird, steht noch nicht fest; in Paris werden Äußerungen laut, womöglich sei der Putsch nur ein Machtkampf zwischen rivalisierenden Fraktionen in den herrschenden Eliten ohne weitere Auswirkungen auf die Außenpolitik.[8] Das allerdings ist keineswegs sicher: Ob der starke Unmut gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich nicht noch aus Westafrika nach Gabun überschwappt, ist nicht ausgemacht. Um Spielräume offenzuhalten, hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell inzwischen erklärt, man könne den Putsch in Gabun keinesfalls mit demjenigen in Niger gleichsetzen; Bongos Rückkehr ins Präsidentenamt wird nicht wirklich verlangt. Sollte sich die Junta in Libreville mit Paris verständigen, könnten Paris und mit ihm die EU ihre afrikanischen Positionen zumindest ein Stück weit konsolidieren. Gelingt dies nicht, schreitet der Rückzug Europas aus seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien ein weiteres Stück voran.

 

[1] S. dazu Auf dem Weg zur Eigenständigkeit.

[2] Alexandra Brzozowski: EU plans new Africa mission in Gulf of Guinea. euractiv.com 30.08.2023.

[3] S. dazu Der Mann vom IWF und Das Recht des Stärkeren (II).

[4] S. dazu Tödliche Sanktionen.

[5] S. dazu Big Push.

[6] S. dazu Aufholjagd in Afrika.

[7] Maritime Diplomacy: How Coordinated Maritime Presence (CMP) serves EU interest globally. eeas.europa.eu 22.07.2022.

[8] Philippe Ricard, Elise Vincent: Gabon : la France à l’épreuve d’un nouveau coup d’Etat dans son ancient pré carré africain. lemonde.fr 31.08.2023.

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