Eine Welt, in der Staaten ein gleichberechtigtes Verhältnis zueinander haben und die Unterschiedlichkeit von Geschlecht, Rasse, Abstimmung keine Rolle mehr spielt, ist sicherlich interessanter als eine Welt, die von einer einzigen Macht, den Vereinigten Staaten, zusammen mit Europa beherrscht wird.
Die jüngste Erweiterung der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) um sechs weitere Länder – Iran, Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emirate – wirft jedoch Fragen auf, über die es sich lohnt nachzudenken.
Viele Punkte der Erklärung von Johannesburg wurden von uns geteilt. Zum Beispiel die Reform der UNO, die Stärkung der Abrüstungs- und Nichtverbreitungsmechanismen, die Unterstützung des Dialogs und der Diplomatie zur Lösung des Konflikts in der Ukraine, außerdem ein neuer Ansatz für eine Problemlösung der Auslandsschulden. Hinter alldem verbirgt sich jedoch ein Ansatz, der sich hauptsächlich auf wirtschaftliche Kriterien und geopolitische Gleichgewichte stützt und das kapitalistische, sowie konsumreiche Modell, das für die derzeitige Katastrophe verantwortlich ist, nicht in Frage stellt. Bei der Entscheidung über die Aufnahme neuer Mitglieder scheint das BIP mehr zu zählen als andere Faktoren, die im Gegensatz zum BIP für einen unabhängigen und gewaltfreien Journalismus wie den unseren von grundlegender Bedeutung sind.
Betrachten wir die Situation verschiedener beständiger und neuen Länder, die zu den BRICS gehören, unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte, des Friedens, der Abrüstung und der Umwelt. Eine Auswahl von den Themen, die Pressenza am Herzen liegen.
Menschenrechte
Ägypten: Das Land zählt über 60.000 politische Gefangene, darunter willkürliche Verhaftungen. Folter, gewaltsames Verschwindenlassen, Todesurteile; die Verfolgung unabhängiger Journalisten und die Unterdrückung jeder abweichenden Meinung sind hier an der Tagesordnung.
Iran: Die Proteste nach der Ermordung der jungen Frau Mashi Amini wurden brutal unterdrückt, was nach Gerichtsverfahren zu mehreren Todesurteilen führte. Auch hier sind Verhaftungen (häufig von Journalisten, die beschuldigt werden, Proteste und Missstände zu dokumentieren) Folter, und gewaltsames Verschwindenlassen weit verbreitet. Hinzu kommen die Diskriminierung von Frauen und die Verfolgung von queeren Menschen (LGTBQ+).
Saudi-Arabien: Eine absolute Monarchie, in der die Menschenrechte systematisch verletzt, das Recht auf freie Meinungsäußerung angegriffen und Frauen per Gesetz diskriminiert werden. Das Land praktiziert unfaire Gerichtsverfahren, inhaftiert willkürlich Menschen und verhängt Todesurteile aus, wo allein schon die bloße Teilnahme an Streiks und Protesten reicht, um verurteilt zu werden. Mit den Bombardierungen im Jemen hat Saudi-Arabien auch Massaker an der Zivilbevölkerung und eine der schwersten humanitären Krisen der Welt verursacht.
Vereinigte Arabische Emirate (VAE):gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen werden kriminalisiert und politische Andersdenker werden willkürlich festgenommen und misshandelt. Die Pressefreiheit wird durch Kontrollen und Verbote behindert und stark eingeschränkt.
Indien: Das Land weicht zunehmend von ihrer Demokratie ab und transformiert sich zu einer totalitären Form an, das darauf abzielt, ein mehrsprachiges und multireligiöses Land zu einem monopolitisches Gebilde zu verwandeln, das von einer fanatischen Hindu-Partei beherrscht wird. Proteste und abweichende Meinungen werden unterdrückt und religiöse und ethnische Minderheiten verfolgt.
China: Die NGO „Reporter ohne Grenzen“ zählt China im Jahr 2022 zu den zehn Ländern mit der am wenigsten Pressefreiheit auf der Welt.
Russland: Kriegsdienstverweigerer und alle, die sich weigern, sich am Krieg gegen die Ukraine zu beteiligen, werden verfolgt, verhaftet und inhaftiert.
Brasilien, Argentinien und Südafrika sind die einzigen BRICS-Mitglieder, die die Todesstrafe abgeschafft haben.
Frieden und Abrüstung
China: 1950 marschierte China in Tibet ein und annektierte es 1959 und schlug den Aufstand der Bevölkerung blutig nieder. Eine Situation, die bis heute anhält.
Russland: Seit Februar 2022 führt Russland einen Invasionskrieg in der Ukraine, das Tausende von Tote und Verwundete hinterlassen, sowie verheerendeZerstörungen verursacht hat. Jenem Krieg steht eine ebenso kriminelle Kriegspolitik der NATO, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten gegenüber.
Derzeit gehören nur Brasilien und Südafrika zu den 92 Unterzeichnern und 68 Vertragsstaaten des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen. Die übrigen BRICS-Mitglieder Indien, Russland und China sind Atommächte mit wachsenden Nukleararsenalen.
Umwelt
Die Vereinigten Staaten halten Rekord bei der Erdölgewinnung weltweit, gefolgt von Russland, Saudi-Arabien, dem Iran, China, Brasilien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dennoch gehören fossile Brennstoffe zu den Hauptverursachern der sich immer stärker abzeichnenden Klimakrise. Die Abschaffung zugunsten erneuerbarer Energie ist eine unumgängliche Notwendigkeit.
Die Aussprache des BRICS-Gipfels auf den „globalen Süden“, der sich von der diskriminierenden Unterdrückung durch den Westen befreien will, wurde von afrikanischen, asiatischen und ukrainischen Aktivisten, die sich im Innes Park (Johannesburg) trafen, in Frage gestellt. Hinter den üppigen Erklärungen stecken in Wirklichkeit Projekte des Neokolonialismus. Ein krasses Beispiel hierfür ist der chinesische Staat, welches mit seinen Privatunternehmen eine riesige Pipeline vom Norden Ugandas bis zu Küste Tansanias beauftragen und dabei ganze Gemeinden gegen eine lächerlich geringe Entschädigung zerstören lässt und zudem auch bereit ist, Öl aus dem Albertsee zu gewinnen und damit eine der wichtigsten Trinkwasserressourcen zu gefährden.
Sicherlich kann man vielen westlichen Ländern dieselben Ungerechtigkeiten vorwerfen, die oben aufgelistet sind – und wir versäumen es auch nicht, sie öffentlich anzuprangern.
Trotzdem bleiben einige grundlegende Fragen offen: Woher wird der radikale Wandel kommen, den die Menschheit braucht, um zu überleben und ihre lange Evolutionsgeschichte fortzusetzen? Von den Regierungen oder von den Bürgerbewegungen? Kann es von Regierungen kommen, welche unter dem Druck und den Aufforderungen der sozialen und gesellschaftlichen Basis arbeiten und dadurch insbesondere junge Aktivisten, die sich Sorgen um eine Zukunft machen, ohne sich wegen eines radikalen Politikwechsel Sorgen zu machen, Gehör erhalten?
Wie kann eine Umstellung der Mentalität, der Werte und der Verhaltensweisen erreicht werden, die zur endgültigen Bewältigung der Gewalt gegen Mensch und Natur und zum Aufbau einer universellen menschlichen Nation führt?
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Sabine Prizigoda vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!