Die Rechten (1) sind auf dem Vormarsch. Die Widerstände und Demonstrationen gegen die staatliche Politik während der Corona-Pandemie haben „unter einer dünnen Schicht zivilisierter äußerer Umgangsformen autoritäre Haltungen“ (Heitmeyer 2022: 273) an die Oberfläche gespült. Schon während dieser Zeit ist ein „Mechanismus des ‚Verschwimmens‘ von Gruppen- und selbst Parteigrenzen zum konservativen Spektrum“ (a.a.O.) festzustellen. Die Politik kann „mit Appellen oder Ankündigungen der ‚wehrhaften Demokratie‘ sowie die staatlichen Kontrollapparate… mehrere dieser Mechanismen in ihren Wirkungen nicht mehr ‚in den Griff‘ bekommen“ (a.a.O.: 277).

Inzwischen ist die Pandemie vorbei, und doch schwappen die Zustimmungswerte für die AfD nach oben. Die Rechtsradikalen knüpfen mit der Abwertung bestimmter Gruppen (Migranten, Flüchtlinge auf der einen, „Eliten“ auf der anderen Seite) (vgl. Frankenberg/Heitmeyer 2022: 21) und mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels und seiner Gefahren an vorhandene Ressentiments und die zunehmende Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung an. In der Leipziger Mitte-Studie von 2022 stimmten 21,8 Prozent der Befragten latent (teils/teils) und manifest der Aussage zu: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“. 38,4 % sind sogar der Meinung: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“ (Decker u.a. 2022: 41). Diese Meinungen sind in Ostdeutschland stärker verbreitet. Die neueste Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts bestätigt die fehlende Verankerung der Demokratie in Ostdeutschland und die häufige Bindung an autoritäre Überzeugungen. In manchen Gegenden Ostdeutschlands ist die rechte Bewegung schon so weit fortgeschritten, dass – um nur zwei Beispiele zu nennen – öffentliche Fördermittel für einen rechtsextremen Dorfmittelpunkt gewährt werden (Tiedemann 2023), und dass Rechte ganze Räume dominieren (vgl. Röpke/Speit 2021).

Ein Verbot der AfD wäre ein gefährlicher Weg und allein die Debatte darum hat schon Schäden angerichtet: Sie ist „massiv nach hinten losgegangen, weil die AfD es auf sich genommen hat, in den Medien ein anderes Bild zu zeichnen“ (Una Ivona Titz, Journalistin und Forscherin bei der Amadeu Antonio Stiftung).

Und wie würde es bei einem Verbot dem Teil der Bevölkerung gehen, die immerhin noch wählen gehen? Könnten wir uns freuen, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht eine Klatsche kriegen? Kann sich ernsthaft jemand vorstellen, dass sie dann eine der anderen im Bundestag vertretenen Parteien wählen würden? Oder würden sie das terroristische Potential neben der AfD stärken? Die Folgen einer Ablehnung des Verbots durch das Bundesverfassungsgericht wären beängstigend (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=MSYI3jSpDjk).

Alle bisherigen Aktionen gegen die AfD haben diese Partei gestärkt. Die Gründe für das Scheitern liegen einerseits im Geschick der AfD wie auch im Ungeschick ihrer Gegner*innen. Geholfen hat die CDU/CSU, die sich teilweise des Vokabulars der AfD bedient.

Was tun? Unser Entsetzen über diese Partei ist nicht ansteckend, sondern fordert zur Solidarisierung derjenigen heraus, die sich nicht ausreichend durch unsere Parteienlandschaft vertreten fühlen. Auch die geplanten Aktionen zum Parteitag der AfD erhöhen die Aufmerksamkeit. Sie bestätigen all jene, die sich in den Leitmedien nicht repräsentiert fühlen. Es müssen Strategien entwickelt werden, die AfD-Anhänger zum Nachdenken bringen oder zumindest verhindern, dass ihre Fakes auf fruchtbaren Boden fallen.

In der Politik unterhalten wir Beziehungen zu Staaten, deren Verfassung und Methoden wir kritisch sehen oder sogar ablehnen. Weltweit stehen wir hier vor enormen Herausforderungen, denn die Anzahl der autoritär geführten Regierungen nimmt zu. Und doch versuchen die deutsche Regierung, NGOs und andere Organisationen mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Das müssten wir auch mit innenpolitischen Gegner*innen schaffen – eine Mammutaufgabe für jede*n, der/die fest im Sattel der eigenen Überzeugungen sitzt und Qualen leidet, wenn die Wahrheit verdreht wird. Aber haben wir eine Wahl?

Für den Umgang mit der AfD passt das Bibelwort: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“ (Lutherbibel 1912). Diese Klugheit („Coolness“), diesen Respekt vor der Wahrheit müssen wir bewahren, auch bei der Auseinandersetzung mit politischen Gegner*innen.

Hilflose Diskussionen

Kürzlich fuhr ich mit einem Taxifahrer, der den menschengemachten Klimawandel leugnete wie auch überhaupt die Dramatik des Klimawandels. Er hielt jede entsprechende Maßnahme und natürlich auch die Abschaltung der Atomkraftwerke für idiotisch; die Medien waren für ihn Kritik unterdrückende Akteure. Ich versuchte, mit Tatsachen dagegen zu halten, aber das war fruchtlos: Ich hätte eine Salve von Tatsachen auf alle seiner Fakes abfeuern müssen. Dazu war ich nicht in der Lage. Ich bin nicht die Einzige, die nicht über ausreichendes Faktenwissen und Schlagfertigkeit verfügt.

TV-Moderator*innen sind besser vorbereitet, bemühen sich aber nicht ausreichend um eine ernsthafte Auseinandersetzung. Inzwischen werden AfD-Protagonist*innen in Talk-Shows eingeladen: Alice Weidel, die Bundessprecherin der AfD (20.9.22), bei Sandra Maischberger, Steffen Kotré, der energiepolitische Sprecher der AfD (25.5.), bei Markus Lanz und der Fraktionsvorsitzende der AfD, Tino Chropalla (21.6.), wiederum bei Maischberger. Diese Sendungen habe ich mir angeschaut und versucht, mir die Brille einer rechtslastigen Frau aufzusetzen.

Meine – dann – starken Bedenken gegen unsere Leitmedien, die immer wieder von Rechtsradikalen artikuliert werden, wären passagenweise bestätigt worden. Wie eine erregte, vor allem von sich überzeugte Strack-Zimmermann mit rigorosem Moralismus vergeblich versuchte, eine gelassene, ruhig wirkende Alice Weidel aus dem Konzept zu bringen, war ein Desaster. Und zwar nicht für die Position Weidels, sondern für die von Strack-Zimmermann. Das konnte ich allerdings nur wahrnehmen, weil ich versuchte, „sine ira et studio“ zuzuhören.

Maischberger gelang es besser als Lanz, sachlich zu bleiben. Lanz‘ und Latifs Verärgerung ließ nicht genügend Raum für überzeugende Gegenargumente zu Kotré. Auch von der Journalistin Amann hätte es mehr Coolness gebraucht, um die Fakes als solche zu entlarven und rechte Zuschauer*innen zum Nachdenken zu veranlassen.

In der Diskussion mit Chropalla war Maischberger im Vergleich mit Lanz ebenfalls souveräner, aber sie ging auf manche Argumente von Chropalla nicht sachlich genug ein, was von dessen Kontrahenten, Christian Dürr von der FDP, nicht zu erwarten war. Ein Beispiel: Chropalla wies darauf hin, dass die „Wertegemeinschaft des Westens“ ja auch Angriffskriege im Irak und Afghanistan zu verantworten habe, und dass „der Westen“ so viele Länder nicht umfasse. Diese Aussagen wurden von Maischberger und Dürr schlicht übergangen. Mehr noch: Dürr unterstellte Chropalla an anderer Stelle, er sei nicht gegen die Ermordung von Kindern und die Vergewaltigung von Frauen, weil er Verhandlungen und nicht die Fortführung des Krieges in der Ukraine befürworte. Maischberger wies die Unterstellungen nicht zurück.

Mit meiner AfD-gefärbten Brille wäre ich voll in meiner Kritik bestätigt worden – und hätte die anderen Argumente nicht mehr aufgenommen. Denn es ist nun einmal so, dass wir eher Argumente akzeptieren, die unserer eigenen Überzeugung entsprechen. Und bei der „enormen Informationsflut, die gerade jetzt im digitalen Zeitalter auf uns einprasselt, haben wir kaum Zeit für fundierte Urteile, werden aber dennoch gezwungen, uns schnell entscheiden zu müssen, um nicht die Orientierung zu verlieren“ (Hardinghaus 2023). Wenn wir jedoch andersdenkende Menschen überzeugen wollen, müssen wir uns in ihre Denke und vor allem in ihre Gefühle hineinversetzen. Unsere Argumente müssen ein glaubwürdiges Gegengewicht zu den Fakes und Verschwörungstheorien der AfD sein. Dabei ist das Verschweigen von unangenehmen Wahrheiten genauso gefährlich wie die Sperrung von Nachrichten im Journalismus: „Offensichtlich glaubt man immer noch, durch die Sperrung von einschlägigen Nachrichtenseiten könne man Manipulationen verhindern. Das Gegenteil ist der Fall, jegliche Form von Zensur begünstigt heute die Propaganda, die man versucht zu verhindern“ (a.a.O.). Auch die moralisierende Kritik bewirkt das Gegenteil (vgl. Begrich 2023: 10). Sie ist dann besonders gefährlich, wenn sie die Klassenfrage ignoriert.

Klima und Klasse

Strategien gegen rechts, die die allgegenwärtige Angst vor sozialem Abstieg nicht berücksichtigen, rufen Proteste hervor. „Ohne entschlossene Maßnahmen zum drastischen Abbau sozio-ökonomischer Ungleichheiten gibt es keine Lösung der Umwelt- und Klimakrise“ (Piketty 2022:39, vgl. a. Dörre 2023). Menschen in unsicheren oder gar prekären finanziellen Verhältnissen erleben die Klimapolitik als Bedrohung ihrer Existenzgrundlagen. Dabei wird das Faktum, dass wir unsere Lebensweise nicht aufrechterhalten können (vgl. Herrmann 2022) von den Parteien noch schamhaft verschwiegen. Wenn es dann doch bei politischen Vorhaben (z.B. Heizungsgesetz) durchscheint, nutzen Parteien innerhalb und außerhalb der Regierung, Medien und Lobbygruppen die Gelegenheit, sich angeblich auf die Seite der weniger Betuchten zu stellen, indem sie die Klimapolitik desavouieren und Ängste schüren, die sich dann bis zum Hass steigern konnten.

Noch sind 30 % der Bevölkerung der Meinung, dass der Klimawandel nicht durch menschliches Handeln verursacht wird. Viele Andersdenkende sind so mit eigenen Problemen – Krankheit, Geld, Beziehungsclinch, Pflegearbeit – zugedeckt, dass sie sich bei entsprechenden Krisen allenfalls auf einfache Erklärungen einlassen könnten. Die Befindlichkeiten der Bevölkerung müssen in der politischen Diskussion aber wahrgenommen werden. Und zu diesen Befindlichkeiten gehört als Allererstes die Klassenfrage, das heißt, laut Leider-Macho Brecht: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral“. Und erst, wenn Job, Wohnung und Ernährung zufriedenstellend gesichert sind, folgt die Sorge um die Klimakrise.

Um die schmerzhaften Einschnitte in unsere Lebensweise denjenigen, die sich dadurch faktisch bedroht fühlen, zu erklären, bedarf es einer auf Fakten basierenden Erzählung. Die erforderlichen Maßnahmen müssten begründet und mit den Folgen des „Weiter so“ konfrontiert werden. Dazu ist es notwendig, die tatsächlichen Klimasünder zu benennen, die Mächtigen, die ein Interesse am „Weiter so“ haben. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Super-Reichen, die nachweislich einen enormen Anteil am Klimawandel haben und mit deren Mitteln eine sozial gerechte Klimapolitik finanziert werden könnte (vgl. Neckel. 2023). Aber sie verschwinden in einem Nebel von Versprechen („es wird alles gut, wir müssen nur sparen“), die nicht eingehalten werden können. Dabei entwickeln sich infolge der ungleichen Verteilung des Reichtums feudalistische Strukturen, in denen eine kleine Minderheit den Gang der Politik und das ökonomische Schicksal der Massen bestimmt (vgl. Neckel 2023). Es ist kein Wunder, dass diese Massen sich nach politischen Antwortgebern sehnen, die ihren Ängsten und Wünschen ein Podium bieten. Die Enttäuschung richtet sich dann jedoch nicht gegen die tatsächlich Mächtigen, sondern gegen die politisch Handelnden in der Demokratie. Diese wiederum nennen diese Mächtigen nicht beim Namen. So wird der Demokratie das Grundwasser entzogen: Vertrauen in die Regierenden. Die Letzte Generation, deren Methoden man nicht teilen muss, benennt immerhin die Schuldigen. Dies müssten auch mehr politische Akteur*innen tun.

Die Fehleinschätzung der Grünen, ein Heizungsgesetz ohne Blick auf die Bedürfnisse großer Teile der Bevölkerung durchboxen zu wollen, hat zu einer Schwächung der Linken geführt. Leider ist das nicht der einzige Fehler, der der AfD Zulauf beschert.

Identitäre Glaubenssätze

Anstatt die Klassenfrage zu skandalisieren, müht sich ein Teil der Linken um die Be- und Verurteilung von Sprechweisen und unterstellten Rassismen. Das Resultat ist, dass nicht mehr alles, was diskutiert werden muss, gesagt wird: „Wir sollten wagen, uns als ‚rassistisch‘ und ‚islamophob‘ diffamieren zu lassen – wenn wir vor den Gefahren des Islamismus und der Identitätspolitik warnen“ (Fourest 2021). Mit der Verurteilung der „falschen“ Sprechweise nähern sich Linke und Rechte einander an, denn das ist eine „linke Identitätspolitik…, die sich in einer besonderen Sprachpolitik zunehmend Ausdruck verschafft, also wer was sagen darf, zu welchem Thema mit welchem Duktus… So unterschiedlich die Motivlagen sind, so gleichen sich doch die Mechanismen: Es werden Gruppen etabliert und Gruppengrenzen geschärft, also „Die“ und „Wir“ und somit wird die Ungleichwertigkeit von Gruppen festgeklopft.“ Damit ist auch linke Identitätspolitik „gesellschaftszerstörerisch“ (Heitmeyer 2022: 265). Das Problem auch hier: Klassismus. Denn je lauter diese Diskussionen in akademischen Kreisen und bestimmten Medien geführt werden, umso mehr fühlen sich weniger Gebildete, ärmere Menschen und solche, die um ihre Existenz kämpfen, abgehängt (vgl. Julian Nida-Rümelin bei Mabrit Illner). Mit diesen Zankereien werden Energien gebunden, die dann den erforderlichen Auseinandersetzungen mit der Gegenseite nicht mehr zur Verfügung stehen.

Migration und Menschenrechte

„Mit der Flüchtlingsbewegung kam ein ‚Geschenk‘ für die AfD und PEGIDA, um Personen, die insbesondere unter Anerkennungsverletzungen litten, über die Emotionalisierung sozial-kultureller Probleme mit dichotomischen Weltbildern (Volk vs. Elite; geschlossene vs. offene Gesellschaft; wir vs. die; Homogenität vs. Heterogenität; drinnen vs. draußen; Deutsch-Sein vs. Internationalität; Ungleichwertigkeit von Menschen vs. Gleichwertigkeit; Wahrheit vs. Unwahrheit etc.) zu instrumentalisieren“ (Heitmeyer 2022:267).

Das „Geschenk“ bestand nicht zuletzt in einer EU-Flüchtlingspolitik, die wenig weitschauend die offenen Grenzen propagiert hat, bis es zu spät war. „Zunächst mal: Offene Einwanderung ist keine Lösung, sondern fast schon eine Formel für Bürgerkrieg. Zweiter Punkt: Diejenigen, die kommen, sind in der Mehrheit die Privilegierten dort, die sich die Inanspruchnahme dieser Netzwerke und der Fluchtindustrie leisten können“ (Slavoj Zizek). Die EU-Flüchtlingspolitik ist mit verantwortlich für einen erschütternden Rekord: Von allen Menschen, die auf ihrer Flucht starben, sind fast 70 % auf der Reise nach Europa zu Tode gekommen (Koopmans 2023:15).

Eine Revision der Asylpolitik unter Wahrung demokratischer Grundsätze und Berücksichtigung der Menschenrechte ist erforderlich, es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Aber wir müssen auch mit den Folgen der bisherigen Asylpolitik leben. Die ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen wird nicht verhindert, sondern gefördert, wenn wir unangenehme Tatsachen verschweigen, wie die immensen Kosten für die Integration und die überproportionalen Anteile von männlichen Flüchtlingen an Straftaten, besonders solchen der sexuellen Selbstbestimmung (vgl. die ausführliche Darstellung auch anderer Fakten bei Koopmans 2023). Das Aufeinanderprallen von patriarchalischen und (zumindest im Gesetz und in den Strukturen) emanzipatorischen Werten ist eine Herausforderung für Einwanderer wie für Einheimische, die am Integrationsprozess mitwirken. Dieser Konflikt muss offen diskutiert und bearbeitet werden (2).

Was wir tun können

Die Zivilgesellschaft ist nicht machtlos. Vor Ort sind die „Arbeit mit Multiplikatoren im vorpolitischen Raum“ und die Gemeinwesenarbeit sinnvoll, „damit die vor Ort handelnden demokratischen Akteure unter dem Druck der AfD nicht alleingelassen werden“ (Bergold 2023:13). Andernfalls bringen sich engagierte Akteur*innen in Gefahr. Der Preis, den in Brandenburg eine Lehrerin und ein Lehrer für ihr zivilgesellschaftliches Engagement bezahlen, wird nicht kompensiert durch den „Preis für Zivilcourage gegen Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Rassismus“, den sie erhalten sollen: Die beiden Lehrkräfte haben den Rechtsextremismus unter ihren Schüler*innen öffentlich gemacht und sind jetzt Anfeindungen, auch in ihrem Kollegium, und Bedrohungen seitens der Bevölkerung ausgesetzt. Das heißt: Wer über das wertvolle Gut Zivilcourage verfügt, muss sich eines Netzwerks vergewissern, das ihn/sie unterstützt.

Eine weitere Möglichkeit ist die Teilnahme an Diskussionen in sozialen Medien, an deren Macht man nicht vorübergehen kann. Dort wird Aufmerksamkeit gebunden und mit fragwürdigen Methoden stimuliert. Hass, Häme, Lügen sind Tür und Tor geöffnet. „Die allgegenwärtigen Formate der Kommunikation in den sozialen Netzen mit ihren kapitalistischen Geschäftsmodellen stellen jene Konstellationen bereit, die keine argumentativen Auseinandersetzungen um politische Lösungen nötig machen, sondern vorrangig einen ablehnungsorientierten, vielfach hasserfüllt, anonymen ‚Aufschaukelungsmechanismus‘ zur Bestätigung und Verfestigung von Positionen“ in Gang bringen (Heitmeyer 2022: 267). Insofern sind die sozialen Medien Totengräber der Demokratie, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird. Sie sind „als kapitalgetriebene Instrumente zu ‚politischen Schlachtfeldern‘ geworden … und (können) kaum mehr kontrolliert werden“ (a.a.O.: 274).

Allein: Wir müssen uns einmischen. Die sozialen Medien können auch Neugier wecken, wenn – ohne moralisierende Attitüde – gegengehalten wird oder auch alternative Narrative, z.B. in einer Art „Fortschrittsmetrik“ geteilt werden (vgl. Göpel 2023). Die Teilnahme an Diskussionen in den (noch) offenen Accounts im Netz würde eine neue Coolness erfordern, bei der man/frau nicht auf die eigenen Überzeugungen verzichtet, aber zuhören kann, ohne gleich zu urteilen. Sie erfordert eine psychische Stabilität, über die nicht jede/r verfügt und die auch bei denen, die darüber verfügen, abgenutzt wird durch zuviel Fake und Aggressivität, wie bei den Fahndern/innen nach kinderpornographischen Inhalten zu beobachten ist. Sinnvoll wäre die Bildung von Gruppen, die zeitweilig bestimmte Medien beobachten und deren Mitglieder sich an der Diskussion im Netz beteiligen.

Dies ist eine Möglichkeit. Der Kreativität, weitere Ansätze für Dialoge zu entwickeln, ist keine Grenze gesetzt.

Anmerkungen

(1) Die Begriffe „Rechts“ und „Links“ zur Beschreibung der politischen Lager sind heute nicht mehr eindeutig, weil die Linke (damit ist nicht die gleichnamige Partei gemeint) sich nicht immer einheitlich artikuliert. Ich fasse hier als die „Linken“ alle Bestrebungen zusammen, die sich gegen Rechts engagieren.

(2) Fontane würde sagen: Das ist ein weites Feld. In der Tat: Wie wir mit den patriarchalischen Relikten umgehen, ist eine Aufgabe, die ich hier nicht ausführen kann.


Quellen

  • Begrich, David (2023): AfD oder: Der Kampf um die ostdeutsche Zivilgesellschaft. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 7: 9-12.
  • Decker, Oliver; Kiess, Johannes; Heller, Ayline; Brähler, Elmar (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. https://www.boell.de/sites/default/files/2022-11/decker-kiess-heller-braehler-2022-leipziger-autoritarismus-studie-autoritaere-dynamiken-in-unsicheren-zeiten_0.pdf
  • Dörre, Klaus (2022): Kontrollverluste, Autoritarismus und Exterminismus in der Großen Transformation. In: Frankenberg/Heitmeyer: 215-250.
  • Else-Frenkel-Brunswik-Institut (Hg., 2023): EFBI Policy Paper 2023-2: Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie.
  • Fourest, Caroline (2021): „Rassistisch“- Na und? In: Emma, 8.1.2021
  • Frankenberg, Günter und Wilhelm Heitmeyer (Hg., 2022): Treiber des Autoritären. Pfade von Entwicklungen zu Beginn des Jahrhunderts. Frankfurt/New York: Campus.
  • Frankenberg, Günter und Wilhelm Heitmeyer (2022): Autoriäre Entwicklungen. Bedrohungen pluralistischer Gesellscahften und moderner Demokratien in Zeiten der Krisen. In: Frankenberg/Heitmeyer (Hg.): Treiber des Autoritären, S. 15-86.
  • Göpel, Maja (2023): Das Finanzsystem und die sozial-ökologische Transformation – „Wir brauchen mehr Transparenz über die
    Wirkung von Kapital“. In: oekom e.V. – Verein für ökologische
    Kommunikation (Hrsg.): Nachhaltige Finanzwirtschaft: 87-92.
    Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. München: oekom
  • Hardinghaus, Christian (2023): Auch ukrainische Propaganda gelangt ungefiltert in unsere Medien. In: Berliner Zeitung, 30.6.23.https://www.berliner-zeitung.de/open-source/christian-hardinghaus-ukrainische-propaganda-gelangt-ungefiltert-in-unsere-medien-li.364064
  • Heitmeyer, Wilhelm (2022): Krisen und Kontrollverluste – Gelegenheitsstrukruen für Treiber autoritärer gesellschaftlicher Entwicklungspfade. In: Frankenberg/Heitmeyer: 251-280.
  • Herrmann, Ulrike (2022): Das Ende des Kapitalismus. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
  • Koopmans, Ruud (2023): Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg. München: Beck.
  • Neckel, Sighard (2023): Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (68), Heft 4: 47-56.
  • Piketty, Thomas (2022): Eine kurze Geschichte der Gleichheit. München: Beck.
  • Präkels, Maja: Sowjets im Wald, Nazis in der Disko. In: Jacobin 12(2023): 14-21
  • Röpke, Andrea; Speit Andreas (2021): Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos. Berlin: Links
  • Sauer, Birgit (2022): Stellt sich die Frauenfrage neu in autoritären Verhältnissen? In: Frankenthal/Heitmeyer: 365-388.
  • Tiedemann, Sophie: Die rechten Schlossherren. In: Die Zeit, 18.07.2023.

Talkshows:

20.9.22: Sandra Maischberger mit Strack-Zimmermann und Alice Weidel (https://www.daserste.de/information/talk/maischberger/videos/maischberger-strack-zimmermann-weidel100.html).
25.5.23: Markus Lanz mit Mojid Latif, Steffen Kotré und Melanie Amann (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/lanz-afd-klima-kotre-energiewende-russland-100.html).
21.6.23: Sandra Maischberger mit Christian Dürr und Timo Chropalla (https://www.daserste.de/information/talk/maischberger/videos/chrupalla-duerr-100.html).
20.7.2023 Maybrit Illner mit Julian Nida-Rümelin u.a.: https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner

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