Am 4. und 5. August trafen sich 300 Teilnehmende aus 35 Ländern zum ‚World Conference against A and H Bombs‘ (Weltkongress gegen Atom- und Wasserstoff-Bomben) in Hiroshima kurz vor dem 78. Jahrestags der beiden Atombombenabwürfe.

Rainer Braun, ehemaliger Exekutivdirektor des IPB, hielt als Vertreter der No NATO Campaign Deutschland am Kongress folgende Rede, die wir hier vollumfängliche veröffentlichen.

Liebe Freudinnen und Freunde

Wir leben in dem gefährlichsten Jahrzehnt seit 1945. Die Lage spitzt sich durch die vielen Kriege und Konflikte nicht nur durch den Ukrainekrieg, durch die Modernisierung genannten neue Atomwaffen, den Kampf um die künftige Weltordnung und die immer schneller heraufziehende Klimakrise und Ressourcenverknappung dramatisch zu. Überall verliert das bisherige Modell von Fortschritt und Wohlstand seine Kraft, international bilden sich neue Koalitionen. Europa droht an den Rand zu geraten. Das Rüstungskontrollsystem der 2000 Jahre ist gescheitert, ungehemmte Aufrüstung bestimmt die weltweite politische Agenda.

Die Gefahren eines Atomkrieges und die Eskalationsdynamik bestehender Kriege und Konflikte sind untrennbar verbunden. Wir können die Gefahren für den Frieden, denen wir u.a. wegen des Krieges in der Ukraine, des Konfliktes in Korea und der Drohungen mit mörderischen Waffen bis hin zu Atomwaffen, in dem Südchinesischen Meer als Konfrontation einfach in zwei Worten zusammenfassen: Doomsday Clock.

Das Szenario all dieser und mehr Bedrohungen für die Menschheit wird sicher in der „Doomsday Clock“ der Nuklearwissenschaftler und des „Bulletin of the Atomic Scientists“ erschreckend zusammengefasst. Wir stehen 90 Sekunden vor Mitternacht -heißt es dort: uns droht der doppelte Selbstmord schnell durch das nukleare Desaster, langsam durch die Klimakatastrophe mit all ihren Auswirkungen.

Wir wollen den Planeten politisch, sozial, ökologisch, ökonomisch und menschlich vor dem Atomtod retten! Das ist die Herausforderung für die Friedensbewegung – weltweit.

Dazu bedarf es einer grundsätzlichen politischen Alternative zu Atomwaffen, Konfrontation und Krieg – der Politik der gemeinsamen Sicherheit.

Kerngedanken des Olof Palme Bericht genannten Reports sind die folgende: „Alle Staaten haben ein Recht auf Sicherheit und diese Sicherheit ist nur miteinander und nicht gegeneinander möglich. Kernwaffen haben nicht nur den Umfang der Kriegsanstrengungen, sondern auch das Wesen des Krieges selbst verändert. Im Atomzeitalter kann der Krieg nicht länger ein Mittel der Politik, sondern nur noch ein Anlass zu Zerstörungen von nie gekanntem Ausmaß sein. Ein Konzept der gemeinsamen Sicherheit muss an die Stelle der bisherigen Abschreckung durch Hochrüstung treten. Der Frieden in der Welt muss sich auf ein Engagement für das gemeinsame Überleben statt auf die Drohung gegenseitiger Auslöschung gründen. Frieden und Sicherheit ist nur miteinander und nicht gegeneinander möglich und alle Staaten haben legitimierte Sicherheitsinteressen (zusammengestellt aus dem Bericht der unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit, Berlin 1982).

Dieses sind auch die Kerngedanken des 2. Olof Palme Berichtes vom April 2022 „our shared future“, der gemeinsam vom Weltgewerkschaftsbund, dem Olof Palme Center und dem International Peace Bureau (IPB) mit vielen Experten entwickelt wurde.

Dieser hat gegenüber dem Ersten von 1981 zwei erweiterte Kerngedanken.

Gemeinsame Sicherheit verlangt eine Globalisierung der gemeinsamen Sicherheitspolitik und eine Regionalisierung.

Globalisierung meint, nur auf der Basis der Akzeptanz gegenseitiger Sicherheit und eines gemeinsamen Sicherheitsverständnisses weltweit können die globalen Herausforderungen wie Klima, Ernährung, Wasser, Müll gemeinsam im Dialog und internationaler Kooperation gelöst werden. Nur dann – kooperativ – ist auch eine Welt ohne Atomwaffen möglich! Alles andere sind unpolitische Phantastereien!

Regionalisierung der gemeinsamen Sicherheit meint die Anwendung der Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit auf regionale Konflikte und Kriege. Prinzipien sind Kooperation, Gegenseitigkeit, Dialog, Verhandlungen, Respekt und Vertrauen, Rüstungskontrollvereinbarungen und Abrüstung. Diese ermöglichen hoffentlich auch mehr atomwaffenfreie Zonen und Staaten.

eine Politik, die mindestens Schritte in die Richtung einer gemeinsamen Sicherheit beinhaltet, ermöglicht ein Ende der nuklearen Teilhabe. Atomwaffen dürfen nicht länger auf dem Territorium von nicht Atomwaffenstaaten stationiert werden. Denn dieses ist auch ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag.

Abrüstung – atomar und konventionell – ist ein zentrales Element: Es ist unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen nicht länger akzeptabel, dass wir jedes Jahr 2 Billionen Dollar für Rüstung ausgeben, dass die sogenannte Modernisierung der Atom-Triade in den USA über 1 Billion Dollar kosten soll, während eine Milliarde Menschen hungrig zu Bett geht, die Zahl der Armen weltweit 2022 um 200 Millionen gestiegen ist, keines der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) auch nur in Ansätzen verwirklicht werden kann. Aufrüstung und Atomwaffen sind ethisch und moralisch nicht länger zu verantworten, sie sind ein Teil der herrschenden politischen Doppelmoral. Abrüstung für Entwicklung und die Abschaffung aller Atomwaffen sind zentrale Herausforderung!

Diese dramatisch gefährlichen Entwicklungen finden auf dem Hintergrund tektonischer geostrategischen Kräftekonstellationen statt, vielleicht nur vergleichbar mit denen von 1815 oder 1945. Kurz zusammenfasst die 500 Jahre Herrschaft des „weißen kolonialen Mannes“ ist vorbei, die Emanzipation des Südens politisch, strukturell, ökonomisch aber auch im Verständnis ihrer politischen Führer löst das westlich hegemoniale System unter der Dominanz der USA ab. Inklusiven Multilateralismus anstelle von westlicher Hegemonie!

Diese tektonischen Verschiebungen sind durch den völkerrechtswidrigen Krieg und den NATO-Proxi in der Ukraine noch einmal dynamisiert worden.

Sie haben Auswirkungen auf alles, auch und gerade auf die Arbeit der Friedensbewegung. Es gibt keine Alternative zur Mobilisierung der Menschen für den Frieden, generationsübergreifend – so schwierig es im Einzelnen auch sein mag.

Was ist aus meiner Sicht notwendig?

Wir brauchen einen neuen Internationalismus der Friedensbewegung gegen Atomwaffen, Krieg und Vernichtung. Mehr Gemeinsamkeiten gegen Atomwaffen und Kriege müssen zu mehr gemeinsamen, gemeinsam vereinbarten Aktionen führen.

Wir entwickeln neuartige Koalitionen und Zusammenarbeit mit den Regierungen des Globalen Südens- Koalitionen der Vernunft. Dies kann ermöglichen, dass sich weit mehr Länder dem Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) anschließen und diesen auch ratifizieren. Wir erarbeiten regionale Anforderungen an eine Politik der gemeinsamen Sicherheit und für regionale Zonen ohne Atomwaffen. Immer wieder treten wir für eine Wiederbelebung von Rüstungskontrollvereinbarungen ein!

Da Atomwaffendrohungen und Einsatzpläne sowie reale Kriege sind zwei Seiten einer Medaille. Wir fordern Waffenstillstand und Verhandlungen auch und gerade für den Krieg in der Ukraine. Wir treten für eine umfassende sprachliche Abrüstung und eine Entmilitarisierung von Wort und Schrifttum ein. Kriegspropaganda, Mediengeschrei für mehr Waffen sowie propagandistischen Nationalismus und Überheblichkeit lehnen wir ab. Wir wenden uns grundsätzlich gegen Sanktionen und intensivieren Kontakte zu den Menschen und Zivilgesellschaften der Länder, die völkerrechtswidrig sanktioniert werden. Unsere Solidaritt gilt den Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren weltweit.

Wir koordinieren unsere internationalen Aktivitäten besser. Beispiele waren die Aktionen zum Irak-Krieg 2003 aber aktuell auch die beiden ‚Peace Waves‘ und die Konferenz in Wien zum Frieden mit der Ukraine – es gibt viel mehr aber immer noch zu wenig an gemeinsamen internationalen Handeln der Friedensbewegung!

Last mich enden: Kreativität und Mut, Engagement und Zivilcourage ist angesichts des Hasses, der Verleumdungen, der Feindbilder und der Kriege in der Welt notwendig! Unsere Vision ist eine Welt ohne Atomwaffen und Krieg, in den Traditionen von Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Berta von Suttner, Martin Luther King und Albert Einstein.

Herzlichen Dank