Österreichs Regierung hätte schon im März 2022 der EU einen Plan vorlegen müssen, wie sie gedenkt, Kinderarmut im Land zu senken. Doch man blieb untätig. Und so wartet nicht nur die EU darauf, den politischen Willen und Taten zu sehen, sondern auch über 353.000 Kinder in Österreich. Denn für sie ist der Alltag weiterhin schwer zu bewältigen – vor allem jetzt in der Teuerung.
Von Kathrin Glösel
2021 haben sich die EU-Mitgliedsländer – basierend auf einer Initiative der Kommission – auf eine Europäische Garantie für Kinder geeinigt. Sie beinhaltet das Ziel, bis 2030 für alle Kinder und Jugendliche, die in der EU beheimatet sind, mitunter Gesundheitsversorgung, frühkindliche Betreuung und Bildung, gesundes Mittagessen in der Schule sowie gesunde Ernährung sicherzustellen – und zwar kostenlos. Dazu sind jedoch die Mitgliedsländer am Zug. Der Auftrag: Über nationale Aktionspläne sollen sie zeigen, wie sie diese Ziele schrittweise umsetzen und so Kinderarmut im eigenen Land eindämmen.
KINDERRECHTS- UND WOHLFAHRTS-ORGANISATIONEN KRITISIEREN ÖSTERREICHISCHE REGIERUNG
In Österreich haben sich 2021 über 250 engagierte Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft und Expert:innen aus thematisch eingebundenen Organisationen zusammengefunden. Sie alle haben Inhalte für einen solchen Aktionsplan erarbeitet. Seitdem ist allerdings nichts passiert. Eingereicht wurde nichts.
In Österreich ist das Sozialministerium unter Johannes Rauch (Grüne) federführend zuständig. Ihm gilt die Kritik der am Arbeitsprozess beteiligten Organisationen – darunter die Arbeiterkammer, die Caritas, die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien, das SOS Kinderdorf sowie die Volkshilfe. Sie und andere haben einen Appell an die Bundesregierung unterzeichnet und fordern, rasch aktiv zu werden und Kinderarmut auf die Agenda zu setzen. Die Länder Bulgarien, Kroatien, Deutschland, Griechenland, Italien, Litauen und Spanien haben ihre Pläne bereits übermittelt bzw. veröffentlicht.
Neben Rumänien und Lettland ist Österreich noch säumig. Abgeordnete der SPÖ haben schon im Dezember 2022 eine parlamentarische Anfrage an Sozialminister Rauch gestellt, in der sie Antworten über Fertigstellung und Umsetzung des Plans einfordern.
KINDER UND JUGENDLICHE SIND DIE BEVÖLKERUNGSGRUPPE, DIE AM HEFTIGSTEN VON ARMUT BETROFFEN IST
Ohne Sozialleistungen wären 35 Prozent der ganzen Bevölkerung armutsgefährdet. Anders ausgedrückt: Löhne, Gehälter und Pensionen reichen nicht aus – sie würden jede dritte Person in Armut leben lassen. Sozialleistungen verringern die Armutsgefährdung auf zumindest 15 Prozent.
Am stärksten von Armut betroffen – bzw. der Gefahr am stärksten ausgesetzt – sind Kinder und Jugendliche. Ohne Sozialleistungen wären etwa 550.000 betroffen. So sind es aber immer noch etwa 300.000 Kinder und Jugendliche.
KINDERGARANTIE IST EMPFEHLUNG, KÖNNTE ABER VIELEN FAMILIEN HELFEN
Die Kindergarantie zielt nicht alleine auf armuts- und ausgrenzungsgefährdete Kinder und Jugendliche ab, sondern auf alle Kinder der EU-Länder. Finanziert werden sollen die Maßnahmen zur Umsetzung der Kindergarantie aus dem Budget des Europäischen Sozialfonds (ESF+) sowie des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Jeder Mitgliedsstaat soll zumindest fünf Prozent aus dem Sozialfonds für die Kindergarantie einsetzen. Insgesamt ist der Fonds mit 88 Milliarden Euro ausgestattet, Österreich wird für die Jahre 2021-2027 rund 900 Millionen Euro zur Verfügung haben. Nur ein Teil davon wird für die Kindergarantie zur Verfügung stehen, auch viele andere Projekte (wie „Aktives Altern“ oder „Lebenslanges Lernen“) werden aus dem Topf finanziert.
Die Europäische Kindergarantie hat keinen verbindlichen Charakter, sie ist nur eine „Empfehlung“ der EU und keine Verordnung.
Definition von Armut in ÖsterreichArmut beginnt dort, wo man wichtige Ausgaben des Alltags nicht mehr stemmen kann. Kaputte Geräte können nicht mehr repariert werden, die Wohnung muss kalt bleiben und mal mit Freund:innen essen gehen ist schlicht nicht drin. Als armutsgefährdet gilt, wer ein Haushaltseinkommen hat, das weniger als 60 Prozent des Medianeinkommensausmacht. In Österreich entspricht das also einem Haushaltseinkommen von weniger als 1.330 Euro pro Person. Oder bei einer Familie von zwei Erwachsenen und zwei Kindern weniger als 2.800 Euro. Die EU-SILC-Zahlen zeigen, dass Kinder in Österreich ein besonders hohes Risiko haben, von Armut und Ausgrenzung betroffen zu sein. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren machten im Jahr 2021 ein Viertel (25%) aller Armutsgefährdeten aus: Jede 4. armutsbetroffene Person ist unter 18 Jahre alt.