Wie real ist Demokratie und der Einfluss der Menschen in einem Land eigentlich, wenn das Gros bis zum Umfallen für das Überleben schuften musss und gerade mal 10% der Einnahmen im eigenen Land verbleiben – und davon das meiste bei der mit dem Ausland verbandelten Oberschicht landet?
Von Peter Vlatten
Der gestürzte Präsident Bazoum habe sich für Europa „als verlässlicher Partner“ erwiesen, erklärt Außenministerin Annalena Baerbock; man unterstütze ihn deshalb „nach Kräften“. In Niger hingegen sind Bazoum und insbesondere die Regierungspartei PNDS „äußerst unbeliebt“, wie etwa der Leidener Politikwissenschaftler Abdourahmane Idrissa sowie NGOs aus Niger konstatieren. Ursache sei, dass die Regierung Sozialproteste brutal unterdrückt und sich dabei auf ihre guten Beziehungen zu den westlichen Mächten gestützt habe” [1]
Die Behörden Nigers verbieten sofort nach dem Putsch den Export von Uran und Gold nach Europa. Der entsprechende Beschluss tritt auf unbestimmte Zeit in Kraft. Frankreich hat nun keinen beständigen Rohstoffkanal mehr. An der französischen Botschaft macht die Bevölkerung ihrem Zorn Luft. Man will sich von Drohungen aus Europa und den USA sowie der mit ihnen vernetzten westafrikanischen Union EWOCAS nicht mehr einschüchtern lassen.
Die betroffenen Militärregierungen und Länder Westafrikas und der Sahel Zone, die sich nun ihrerseits aus Gründen der Machterhaltung von den politischen Gegnern des Westens abhängig machen, [2] suchen den Schulterschluss. Die Situation kann – sollte der Westen mit seinen Verbündeten und EWOCAS militärisch angreifen – eskalieren bis zum Flächenbrand. Es droht ein neuer verheerender Stellvertreterkrieg um die hegemonialen Interessen zwischen den verschiedenen geopolitischen Machtblöcken.[3] [4] Das wäre – auch wenn einige Pharisäer hierzulande nur den Krieg in der Ukraine kennen wollen – aktuell Krieg Nummer 20 in dieser Welt.
Inzwischen schreiten die Vorbereitungen der EWOCAS für einen Angriffskrieg, eng abgestimmt mit den westlichen Verbündeten, voran. Mobilmachung auf beiden Seiten. Niger bereitet sich auf einen Angriff vor, hat seinen Luftraum gesperrt und die Grenzen geschlossen. [5]
Zehntausende demonstrierten in Niamey, der Hauptstadt von Niger, gegen die ECOWAS-Sanktionen und das Interventionsultimatum. Von Jugendlichen werden Bürgerwehren aufgestellt, um gegebenenfalls einer Besatzungstruppe die Stirn zu bieten.
Die Menschen in großen Teilen Afrikas sind die Doppelmoral ihrer Eliten gründlich satt. Diese Eliten kleiden den alten kolonialen Autoritarismus des Westens lediglich ” in ein neues demokratischeres Gewand, während Afrika zugleich als benachteiligter Akteur in die neoliberale Globalisierung hineingezogen” wird. Westafrika ist ökonomisch über die Gemeinschaftswährung UEMOA, eine Fortsetzung der alten Kolonialwährung CFA Franc, fest an den Euro gekoppelt. Interventionen und Verletzungen der nationalen Integrität vor allem unter der Führung Nigerias sind nichts Ungewöhnliches. Bereits 5 mal marschierten Truppen des Bündnisses in ihre Nachbarländer ein. (TAZ 4.8. /6.8.2023) [6] [7] Seit Jahren halten sich französische, aber auch deutsche Truppen in Westafrika auf. Aus Sicht großer Teile der Bevölkerung dort unter zweifelhaftem Mandat. Wie die Verhältnisse im angeblich demokratischen Musterstaat Nigeria, dessen Präsident die EWOCAS dominiert und ebenfalls zu den “absolut verlässlichen Partnern” der deutschen Außenministerin Baerbock zählt, tatsächlich sind, offenbaren die aktuellen Aussagen von nigerianischen Flüchtlingen. Sie benennen “wirtschaftliche Not, politische Instabilität und Kriminalität als Gründe für ihre Flucht” und hoffen, dass ihnen in Brasilien nicht die gleiche Abschiebung nach Nigeria blüht wie dies in der EU und Deutschland der Fall wäre ( Welt 4.8.2023). [8]
Das Update „Putsch in Niger -Blick hinter die Kulissen“ vom 06.08.2023 mit einem Beitrag von Martin Sonneborn zur Situation in Westafrika und den Hintergründen zu den aktuellen Ereignissen können Sie hier lesen.
Quellen:
1 „Ein verlässlicher Partner”, German Foreign Policy, 31.Juli 2023
2 https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-06/wagner-gruppe-afrika-mali-sudan-zentralafrikanische-republik
3 https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/niger-ecowas-militaerintervention-100.html
4 https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/niger-mali-burkina-faso-100.html
5 https://www.n-tv.de/politik/Niger-bereitet-sich-auf-Intervention-der-Nachbarlaender-vor-article24309292.html
6 https://taz.de/Afrika-nach-Staatsstreich-in-Niger/!5944159/
7 https://taz.de/Wirtschaftsgemeinschaft-Ecowas/!5949067/
8 https://www.welt.de/vermischtes/article246714454/Brasilien-statt-Europa-Migranten-aus-Nigeria-ueberqueren-Atlantik-auf-Schiffsruder.html
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