Berlin, Paris und die EU unterstützen im Kampf gegen die Putschisten in Niger die ECOWAS, die mit einer militärischen Invasion droht. Niger ist letzter Stationierungsort der Bundeswehr im Sahel
Die westlichen Staaten, auch Deutschland, stärken im Kampf gegen die Putschisten in Niger dem westafrikanischen Zusammenschluss ECOWAS den Rücken, der mit einem militärischen Einmarsch in das Land droht. Die ECOWAS hat am Sonntag umfassende Sanktionen gegen Niger verhängt und eine bewaffnete Intervention für den Fall in Aussicht gestellt, dass sich die Putschisten nicht bis zum kommenden Wochenende zurückziehen. Die Gewaltdrohung erfolgt, obwohl Niger schon seit Jahren von jihadistischem Terror erschüttert wird und endgültig in blutigem Chaos zu versinken droht, sollten auch noch ECOWAS-Truppen gegen die nigrischen Streitkräfte in den Krieg ziehen. Beobachter mutmaßen, Paris könne der ECOWAS seine Luftwaffenbasis in Niamey zur Verfügung stellen. In Niger selbst protestiert die Bevölkerung mit den größten Demonstrationen seit langer Zeit gegen eine mögliche Militärintervention der ECOWAS. Die Bundesregierung sieht durch den Putsch den letzten Stationierungsort der Bundeswehr im Sahel bedroht und nimmt mit der Unterstützung für die ECOWAS in Kauf, dass deren Militärintervention den Sahel in einen beispiellosen Flächenbrand stürzt.
„Militärintervention in Vorbereitung“
Der westafrikanische Zusammenschluss ECOWAS (Economic Community of West African States, französisch: CEDEAO) hat am Sonntag harte Sanktionen gegen Niger verhängt. Dies war zu erwarten: Die ECOWAS hatte bereits Mali, Guinea und Burkina Faso mit schweren Strafmaßnahmen belegt, nachdem sich dort jeweils Militärs an die Macht geputscht hatten. Neu ist allerdings, dass die Organisation erstmals offen mit „Gewalt“ droht, also einen Krieg gegen Niger in Aussicht stellt. In französischen Medien ist bereits offen von einer „Militärintervention zu Lande“ die Rede, die vermutlich von Luftstreitkräften unterstützt würde.[1] Nach Lage der Dinge würden für die ECOWAS hauptsächlich oder ausschließlich Truppen aus dem südlich angrenzenden Nigeria nach Niger einmarschieren. Am Montag ließ sich Nigerias Generalstabschef Christopher Musa mit der Ankündigung zitieren: „Wir sind bereit.“ Die Sorge, die nigerianischen Streitkräfte könnten tatsächlich im Namen der ECOWAS eine Invasion in das Nachbarland durchführen, wird noch dadurch verstärkt, dass Frankreich am gestrigen Dienstag begonnen hat, seine Bürger aus Niger zu evakuieren. Der französische Parlamentarier Bruno Fuchs stellt fest, das zeige, „dass eine Militärintervention in Vorbereitung ist“.[2]
Hinter den Kulissen
Die Staaten Europas bzw. des Westens operieren dabei derzeit vor allem hinter den Kulissen. Sie wollten nicht „in der ersten Reihe erscheinen“, wenngleich sie regelmäßigen Kontakt zum gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum und seiner Entourage hielten, heißt es etwa in der französischen Tageszeitung Le Monde.[3] Freilich seien sie nicht untätig. So würden etwa Aussagen der Putschisten nicht förmlich dementiert, denen zufolge französische Stellen sich bei einem Treffen mit dem Generalstab der nigrischen Nationalgarde die politische wie auch militärische Ermächtigung schriftlich hätten erteilen lassen, Bazoum wieder in sein Amt zu bringen – mit welchen Mitteln auch immer. Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna erklärt nur, eine eigene große Militärintervention in Niger werde von Paris nicht geplant; „Vorrang“ habe die Sicherheit französischer Bürger. Beobachter weisen darauf hin, dass Paris am Flughafen der Hauptstadt Niamey eine eigene Luftwaffenbasis betreibt, die faktisch das „neuralgische Zentrum“ seiner Militäroperationen in ganz Westafrika sei. Es könne seine Basis den einmarschierenden ECOWAS-Truppen zur Verfügung stellen – ein womöglich entscheidender Vorteil, ein „Trumpf“ in einem etwaigen Krieg gegen die nigrischen Putschisten.[4]
Kriegserklärung an den Sahel
Damit droht in Niger und womöglich im gesamten Sahel eine beispiellose Eskalation. Niger ist wie Mali und Burkina Faso schon jetzt Schauplatz eines erbitterten Krieges gegen zumeist jihadistische Milizen, der zahlreiche Todesopfer fordert. Das Land ist eines der ärmsten weltweit. In Niamey und anderen nigrischen Städten haben Tausende gegen eine auswärtige Militärintervention demonstriert; Journalisten sprechen von den größten Protesten seit langer Zeit.[5] Ein Einmarsch unter dem Banner der ECOWAS droht das gesamte Land in Brand zu setzen – und nicht nur das. Guinea lehnt die ECOWAS-Sanktionen und die Drohung mit einem Einmarsch entschieden ab und fordert, sie sofort zurückzunehmen. Mali und Burkina Faso haben angekündigt, einen Einmarsch als „Kriegserklärung“ auch an sie einzustufen, bei einer Militärintervention sofort aus der ECOWAS auszutreten und „Maßnahmen legitimer Verteidigung zur Unterstützung der Streitkräfte und der Bevölkerung Nigers“ einzuleiten.[6] Demnach stünde der Sahel vor einem bisher nie dagewesenen Flächenbrand. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass auch Nigeria vom Terror der Miliz Boko Haram heimgesucht wird – dies an der Grenze zu Niger. Griffen nigerianische Streitkräfte nigrische Truppen an, profitierten unmittelbar jihadistische Milizen.
Mit Unterstützung Berlins
Trotz allem wird die ECOWAS bei ihrem Vorgehen von den westlichen Mächten kräftig unterstützt. Aus dem Élysée-Palast hieß es bereits am Montag, Frankreich unterstütze „alle regionalen Initiativen“, die darauf abzielten, „die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen“.[7] Außenministerin Annalena Baerbock erklärte gestern, sie „begrüße“ die „Bemühungen von Afrikanischer Union und ECOWAS um eine politische Lösung“.[8] Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte: „Die Europäische Union unterstützt alle Maßnahmen, die die ECOWAS als Reaktion auf den Staatsstreich ergriffen hat“; man wolle sie „rasch und entschlossen fördern“.[9] Frankreich hat am Dienstag angeboten, bei den Evakuierungsflügen auch deutsche Staatsbürger mitzunehmen. Das Auswärtige Amt rät den sich in Niger aufhaltenden Deutschen, das Angebot anzunehmen – ein Zeichen dafür, dass auch in Berlin mit einer weiteren, womöglich kriegerischen Eskalation gerechnet wird. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, weist darauf hin, dass in Niger auch zahlreiche deutsche Soldaten stationiert sind: „Sollte die Lage vor Ort … eskalieren“, erklärt Strack-Zimmermann mit Blick auf die Interventionsdrohung der ECOWAS, dann müsse „die Bundeswehr gegebenenfalls auch sofort evakuieren“.[10]
Die letzte Bastion
Niger ist nicht nur das erste Land, das die ECOWAS in Reaktion auf einen Putsch mit Krieg bedroht. Es ist auch ein Land, das für die Staaten Europas wie auch für die USA zur Zeit eine ganz spezielle strategische Bedeutung besitzt. Als Mali und Burkina Faso jeweils nach einem Putsch französische Streitkräfte und Mali auch die UN-Truppe MINUSMA inklusive deren deutschen Kontingents aus dem Land warfen, reagierten die Staaten Europas mit hartem Druck, beließen es aber dabei: Sie hatten die Möglichkeit, ihr Militär nach Niger zu verlegen. Der Putsch in Niger stellt nun die gesamte europäische Militärpräsenz im Kampfgebiet des Sahel (Mali, Burkina Faso, Niger) und darüber hinaus die US-Drohnenbasis bei Agadez im Norden des Landes in Frage. Müssten die westlichen Militärs nun auch aus Niger abziehen – in der Bevölkerung wird dies schon seit einiger Zeit mit wachsender Intensität gefordert (german-foreign-policy.com berichtete [11]) –, wäre dies machtpolitisch ein empfindlicher Rückschlag, zumal in Mali russische Soldaten stationiert sind und Burkina Faso politisch mit Moskau kooperiert. Vor dieser Perspektive stehend, stützen die Staaten des Westens, die Bundesrepublik inklusive, die ECOWAS-Interventionsdrohung, die im Sahel einen beispiellosen Flächenbrand auszulösen droht.
[1] Morgane Le Cam: Coup d’Etat au Niger : la Communauté des Etats de l’Afrique de l’Ouest hausse le ton et joue son avenir. lemonde.fr 01.08.2023.
[2], [3] Emma Larbi, Pierre Lepidi, Marjorie Cessac, Nathalie Guibert: Au Niger, l’opération d’évacuation des ressortissants français a commencé. lemonde.fr 01.08.2023.
[4] Jeanne Le Bihan: Coup d’État au Niger : la Cedeao peut-elle (vraiment) intervenir militairement ? jeuneafrique.com 01.08.2023.
[5] Claire Gatinois, Morgane Le Cam: Coup d’Etat au Niger : la junte militaire agite le spectre d’un ennemi extérieur pour souder la population derrière elle. lemonde.fr 31.07.2023.
[6] Coup d’Etat au Niger : une intervention militaire serait « une déclaration de guerre », menacent le Burkina Faso et le Mali. lemonde.fr 01.08.2023.
[7] Claire Gatinois, Morgane Le Cam: Coup d’Etat au Niger : la junte militaire agite le spectre d’un ennemi extérieur pour souder la population derrière elle. lemonde.fr 31.07.2023.
[8] Außenministerin Baerbock und ein Sprecher des Auswärtigen Amts zu den jüngsten Entwicklungen in Niger. Auswärtiges Amt, Pressemitteilung 01.08.2023.
[9] Othmara Glas, David Klaubert: Russische Flaggen in Niger. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.08.2023.
[10] Fabian Busch: Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Sollte die Sahelzone unkontrollierbar werden, hätte das auch Auswirkungen auf Europa“. web.de 31.07.2023.
[11] S. dazu „Ein verlässlicher Partner“.