- Tatverdächtiger Elcio de Queiroz nennt in Aussage Hintergründe zur Tat
- Verbindungen in das Milieu der Milizen wird immer offensichtlicher
- Bereits mindestens fünf Tote aus dem Dunstkreis der Ermittlungen
In die Ermittlungen zum Mord an der brasilianischen Stadträtin Marielle Franco ist wieder Bewegung gekommen. Zwar ist der Auftraggeber nach wie vor unbekannt, aber eine Kronzeugenaussage des Tatverdächtigen Elcio de Queiroz nennt weitere Mitwirkende und erhellt den Tatvorgang. Währenddessen wurden am 7. August zwei Lokalpolitiker auf offener Straße erschossen. Einer von ihnen hatte ebenfalls im Mordfall ausgesagt.
Der Justizminister Flavio Dino höchstselbst behielt es sich vor, die seit Längerem erwarteten Neuigkeiten zu verkünden. Queiroz, der bereits seit 2019 als einer der mutmaßlichen Täter in Haft sitzt, machte von einer Kronzeugenregelung gebraucht, die ihm bei der Verhandlung mildernde Umstände einbringen dürfte. Demnach habe Queiroz von einem Plan berichtet, den der zweite Tatverdächtige, der Milizionär Ronnie Lessa, bereits zu Jahresbeginn 2017 gehegt haben soll. Lessa habe sich ihm gegenüber damals diesbezüglich offenbart. Doch das Vorhaben erschien zunächst vage, es soll nur von einer Frau die Rede gewesen sein. Wer diese Frau genau war, soll Lessa nicht ausgesagt haben.
War weitere Person an dem Mord beteiligt?
Diesen Plan entwickelte er demnach gemeinsam mit einem Mann namens Edmilson Oliveira da Silva, bekannter als Macalé. Macalé selbst kann die Polizei nicht mehr befragen. Der Militärpolizist wurde im November 2021 erschossen. Neben Queiroz und Lessa, der, laut den Aussagen, die tödlichen Schüsse aus der Heckler und Koch-Maschinenpistole abgegeben haben soll, war er zur Absicherung mit einem zweiten Fahrzeug am Tatort.
Nach dem Mord um 21.30 Uhr im Stadtteil Estácio im Zentrum von Rio flohen die Todesschützen zunächst in den Stadtteil Meier, zum Haus der Mutter Lessas. Von dort sollen sie kurze Zeit später mit einem Taxi nach Barra da Tijuca gefahren sein, wo sie in einer Bar auf den Ex-Feuerwehrmann Maxwell Simoes Correa, genannt Suel. Dieser wurde nun in der Aussage von Queiroz erstmals als möglicher Beteiligter genannt. Suel und Lessa waren zu jenem Zeitpunkt Geschäftspartner. In den Stadtteilen Rocha Miranda, Colégio, Coelho Neto und Honório Gurgel hatten die beiden ein florierendes Monopol für illegales Kabelfernsehen, das sogenannte GatoNet, aufgezogen.
Das Geschäftsmodell, das von etlichen Milizen in zahlreichen Stadtteilen der Peripherie von Rio auf ähnliche Weise betrieben wird, basiert auf dem illegalen Anzapfen des Kabelfernsehens. Für diese Verbindung, bei der ein Kabel einfach an einen verworrenen Kabelknotenpunkt (Portugiesisch: Gato) in der Straße abgezweigt wird, kassierten die beiden von den Bewohnern Gebühren. Da die Gebiete am Stadtrand häufig nicht von der Stadtverwaltung und der Polizei kontrolliert werden können, sind die Bewohner den Geschäften der Milizen ausgeliefert. Wehren sie sich, droht Gewalt.
Francos politischer Ziehvater war Hauptgegner der Milizen
Der Politiker Marcelo Freixo, von der selben Partei wie die ermordete Franco, hatte vor einigen Jahren einen parlamentarischen Ermittlungsausschuss zu den Milizen vorgestanden. Seither galt er als einer der Hauptgegner in der Politik, lebte danach lange mit Personenschutz. Freixo gilt als politischer Zielvater Francos. Gut möglich also, dass der Mord an ihr auch ein Fingerzeig in seine Richtung sein sollte.
Suel soll Lessa und Queiroz nach der Tat außerdem mit Geld versorgt haben. Über mehrere Monate erhielten sie 5.000 bzw. 10.000 Reais – zurzeit circa 1.000 bzw. 2.000 Euro – ein Handgeld, von dem sie Rücklage für Anwaltskosten bilden sollten, wie Queiroz erklärte. Suel, der eigentlich als Fahrer in der Mordnacht gewesen sein sollte und der dabei half, die Politikerin auszuspähen, wurde kurz nach der Veröffentlichung der Aussagen von der Bundespolizei (PF) festgenommen.
Ermittlungen schreckten Milizen offenbar auf
Offenbar hat die Bundespolizei die Milizen mit ihren jüngsten Ermittlungen aufgeschreckt. Denn wenige Tage nach der Festnahme starben zwei weitere Personen, die eine Verbindung zum Mordfall zu haben schienen, einen gewaltsamen Tod. Am Montag, 7. August, wurde der frühere Stadtrat Jair Barbosa Tavares, genannt Zico Bacana, und sein Bruder Jorge Tavares in einer Bar in der Nordzone (Guadeloup) Rios ermordet. Ein Fahrzeug soll laut Medienberichten vor dem Lokal angehalten haben. Anschließend eröffnete eine Gruppe von Männern das Feuer.
Bacana war im Zuge des parlamentarischen Untersuchungsausschusses erstmals in Erscheinung getreten. Er war, ebenso wie Marielle Franco, Stadtrat von Rio de Janeiro. Schon damals war ihm vorgeworfen worden, eine Miliz anzuführen, was er jedoch bestritt. Zudem war er 2018 als Zeuge im Rahmen der Ermittlungen des Franco-Mordes vernommen worden.
Bereits mindestens fünf Tote aus Dunstkreis des Mord-Komplexes
Mit Bacana und seinem Bruder starben nun die Personen Nummer vier und fünf, die sich im Dunstkreis des Mordfalls bewegt hatten. Wenige Wochen nach dem Tod Francos, im April 2018, starb Lucas do Prado Nascimento da Silva in einem Hinterhalt. Die Polizei hatte ihn als die Person identifiziert, die die Papiere des Tatfahrzeugs gefälscht haben sollte. Bereits im Februar 2020 war der Milizionär Adriano de Nóbregas bei einem Polizeieinsatz in Bahia erschossen worden, ehe man ihn vernehmen konnte. Er soll der Kopf der Miliz „Büro des Verbrechens“ gewesen sein, der auch Ronnie Lessa angehört hatte. Hélio de Paulo Ferreira war ebenfalls Milizionär, der zum Tod Francos befragt worden war. Er starb im Februar 2023 bei einem Feuergefecht.
Die Stadträtin von Rio de Janeiro, Marielle Franco, und ihr Fahrer Anderson Gomes, waren im März 2018 auf offener Straße von Unbekannten mit mehreren Schüssen hingerichtet worden. Schnell verdichtete sich der Verdacht auf das Milieu der paramilitärischen Milizen, die die linke Politikerin immer wieder öffentlich kritisiert hatte. Die Ermittlungen ziehen sich seitdem hin, immer wieder werden Zuständigkeiten getauscht, Ermittlungen verschleppt oder behindert, oder werden wichtige Zeugen ermordet. Der neue Justizminister Flavio Dino hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Januar angekündigt, den Fall endlich aufklären zu wollen.