Helmut Scheben für die Online-Zeitung INFOsperber
Am 4. Oktober 2017 starben vier US-Elitesoldaten im Südwesten von Niger nahe beim Weiler Tongo Tongo in einem Gefecht mit radikalislamischen Kombattanten. Auch vier Armeesoldaten aus Niger fielen in dem Gefecht. Es gab ausserdem zehn Verwundete auf Seiten der amerikanisch-nigrischen Patrouille. Als französische Mirage-Kampfjets und Helikopter zur Unterstützung kamen, hatten sich die Angreifer auf ihren Motorrädern aus dem Staub gemacht. Aus dem Sahara-Staub.
Über die Einsätze der US-Armee in Afrika war in USA wenig bekannt. Die Regierung hatte kaum Auskünfte gegeben über die militärische Präsenz in Afrika. Deshalb verursachte der Vorfall eine gewisse Irritation. Die «New York Times» begann zu recherchieren und publizierte im Februar 2018 eine Reportage unter dem Titel «Ein endloser Krieg: Warum vier US-Soldaten in einer entfernten afrikanischen Wüste starben». Der Ausdruck «ein endloser Krieg» war ein Zitat von Senator Lindsay Graham (R) vom Streitkräfte-Komitee des US-Senats. Lindsay sagte 2017 nach einem Treffen mit dem Verteidigungsdepartement: «Ich wusste nicht, dass wir tausend Soldaten in Niger haben. Wir wissen nicht genau, wo überall auf der Welt wir Militär haben und was wir da tun.»
Pentagon: «Keine Stützpunkte in Afrika»
Die «New York Times» recherchierte weiter und entdeckte viele Fehler und Vertuschungsversuche bei dem Einsatz in Niger und in dem nachfolgenden offiziellen Bericht. Viel beachtlicher aber war ihre schonungslose, grundsätzliche Kritik an der Strategie der weltweiten militärischen Interventionen. Die Zeitung schrieb:
«Es sind undurchsichtige Kriege, die von amerikanischen Truppen rund um die Welt geführt werden. Ein Krieg mit manchmal trüber legaler Rechtfertigung, der in der Hitze von 9/11 begann und bis nach Afghanistan und Pakistan wanderte (traveled). Der Krieg ging weiter in den Jemen, nach Somalia und Libyen und schliesslich nach Niger, ein Ort, an den wenige Amerikaner jemals gedacht haben, geschweige denn, dass sie ihn als eine Bedrohung wahrgenommen hätten.»
Der Amerikaner Nick Turse war einer der wenigen Journalisten in den USA, die genauer wissen wollten, was US-Eliteeinheiten in Afrika taten. Er beschreibt im Oktober 2022, wie er zehn Jahre lang versuchte, vom Pentagon Auskunft zu erhalten, und in einem skurrilen Katz- und Mausspiel mit nichtssagenden Antworten abgefertigt wurde. Das Africa Command (AFRICOM) des Pentagons mit Sitz in Stuttgart unterhält laut eigenen Angaben «Beziehungen» mit vielen afrikanischen Staaten, wollte aber offenbar verhindern, dass Details über die wachsende militärische Intervention in Afrika bekannt würden. 2007 habe man ihm mitgeteilt, so Turse, die USA führten in afrikanischen Ländern nicht Krieg, sondern seien da zur «Kriegsprävention». Später hiess es, die USA hätten überhaupt keine regulären Stützpunkte dort.
Turse wies nach, dass das eine falsche Information war. Er registrierte immer wieder Fälle, bei denen US-Soldaten bei Kampfhandlungen in Afrika umkamen. 2022 fand er heraus, dass es eine interne AFRICOM-Untersuchung gab, die klären sollte, warum bei einem Luftangriff in Nigeria 2017 mehr als 160 Zivilisten getötet worden waren.
Der US-Brigadegeneral Donald C. Bolduc, einer der führenden Offiziere des Joint Special Operation Command(JSOC), der sowohl in Afghanistan als auch in Afrika Leitungsfunktionen innehatte, räumte (nach seinem Ausscheiden aus der Armee) laut Turse ein, US-Einheiten hätten zwischen 2013 und 2017 in dreizehn afrikanischen Ländern an Kampfhandlungen teilgenommen: Burkina Faso, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Kenia, Libyen, Mali, Mauretanien, Niger, Somalia, Südsudan und Tunesien.
Kein Peace Corps, sondern rücksichtslose Geostrategie
Die Elitesoldaten der USA in Afrika sind selbstverständlich kein Peace Corps zur Kriegsprävention. Was da stattfindet, ist ein Kampf um Rohstoffe und Energiereserven, um die Kontrolle von Seewegen und Pipelines, kurz um die Sicherung einer von den USA bestimmten Weltordnung. Letztlich geht es um die Kontrolle des Welthandels.
Nach 9/11 kam in Washington eine Fraktion von ultrakonservativen Aussen- und Militärpolitikern an die Macht, die China und Russland als feindliche Mächte sehen und mit allen Mitteln, auch mit militärischen, den Niedergang des Dollar als dominierende Weltwährung zu verhindern suchen. Formuliert wurde dies bereits gegen Ende der Clinton-Administration in dem «Project for a New American Century» (PNAC). Der Anschlag in New York am 9. September 2001 war die Initialzündung und Gelegenheit für die Umsetzung. Der militärische Teil des Projektes konnte von da an kosmetisch getarnt werden mit der Parole «Krieg gegen den Terror».
Die Pan-Sahel-Initiative war Teil dieser Strategie. Sie erlangte in der Öffentlichkeit weit weniger Beachtung als die Kriege in Afghanistan, im Irak, in Somalia oder in Libyen. Nach 9/11 schloss Washington ein Militärhilfeabkommen mit den Staaten Tschad, Mali, Mauretanien und Niger. US-Special Forces wurden entsendet, um – so die offizielle Begründung – internationale Kriminalität, Schmuggel und Terrorbewegungen zu bekämpfen.
«Die Früchte des Zorns könnte Moskau ernten»
Mit dem Putsch gegen die Regierung des NATO-Verbündeten Mohamed Bazoum in Niger fällt ein weiterer Stein auf dem geostrategischen Schachbrett. «Dem Westen gehen im Sahel die Freunde aus» titelte der Zürcher «Tagesanzeiger» am 28.7.2023 und die «Neuer Zürcher Zeitung» titelte gleichentags «In Niger stürzt eine Regierung, die im Westen als Hoffnungsträgerin galt». Nach Mali und Burkina Faso, Tschad und Sudan sei nun möglicherweise auch Niger für den Westen verloren.
Die deutsche Regierung sprach von Niger gewöhnlich als «Stabilitätsanker», und die Bundeswehr bildete nigrische Truppen aus. Nun muss sie befürchten, dass sie von denselben, die sie trainiert hat, vor die Tür gesetzt wird. In Mali ist 2021 das Gleiche passiert. Dort herrscht jetzt eine mit Russland verbündete Militärjunta. In Burkina Faso wurde 2022 mit gleicher politischer Stossrichtung geputscht.
Im einem Kommentar im «Tagesanzeiger» wird folgerichtig die Befürchtung geäussert: «Die Früchte des Zorns könnte nun Moskau ernten.» Als Grund für diesen Zorn wird zwar sehr treffend bemerkt, dass «viele Menschen in der Region den Westen und vor allem (die ehemalige Kolonialmacht, Red.) Frankreich nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems sehen: als vorgeblichen Helfer in der Not, der in Wahrheit vor allem seinen Zugriff auf Nigers Uran sichern und sich Flüchtlinge vom Leib halten will.»
Was bei einer Durchsicht anderer westlicher Reaktionen auf die Vorgänge in Niger auffällt, ist die Verdrängung von Kausalzusammenhängen. Da werden durchweg verschwommene Allgemeinplätze als Gründe für Frust und Verbitterung im Sahel angeführt: Dürren, Überschwemmungen, Missernten, Arbeitslosigkeit in der schnell wachsenden Bevölkerung sowie die «akute Gefahr des Terrorismus, der in Niger in den vergangenen Jahren explodiert ist» (Tagesanzeiger).
Alle diese Übel gibt es im Sahel. Es gibt auch eine Zunahme radikalislamischer Terrorangriffe. Diese haben sich aber nicht irgendwie und quasi als Naturkatastrophe «ereignet», sondern sind zu einem guten Teil auch logische Folgen einer Politik der militärischen Aggression, die der Westen als Problemlösung darstellt. Der Nato-Angriff auf Libyen hatte eine brutale Destabilisierung der gesamten Region nach sich gezogen.
Libyen-Krieg: Destabilisierung der Region
Das räumt sogar der Wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages ein, wenn er in Bezug auf Mali festhält: «So kam es wiederholt zu Aufständen der Tuareg, die aufgrund ihrer nomadischen Lebensweise seit der Kolonialzeit marginalisiert werden. Viele Angehörige dieser Volksgruppe nahmen 2011 auf Seiten von Muammar al-Ghaddafi am Bürgerkrieg in Libyen teil und kehrten nach dessen Sturz kampferprobt und mit schweren Kriegswaffen nach Mali zurück, um für die Unabhängigkeit des als Azawad bezeichneten nördlichen Landesteils zu kämpfen.»
Der Sturz Ghaddafis war eine Katastrophe für die Länder südlich der Sahara. Der deutsche Politikwissenschaftler, Friedensforscher und Sahel-Experte Werner Ruf hielt 2022 fest: «Eines der finstersten und kaum beachteten Beispiele neo-imperialer Politik Frankreichs ist der Sturz und die Ermordung Muammar Ghaddafis im Jahre 2011.» (Krisenregion Sahel, S.205) Französische Geheimdienstleute hatten bei der Ermordung Gaddafis ihre Hand im Spiel.
Der libysche Herrscher nutzte seine immensen finanziellen Ressourcen aus dem Erdöl- und Erdgasexport, um den «afrikanischen Brüdern» unter die Arme zu greifen. Libyen gewährte nicht nur afrikanischen Immigranten in grossen Massen Aufnahme und Arbeit, sondern finanzierte beispielsweise Satelliten, um das Kommunikationswesen in Afrika zu verbessern.
Das brisanteste Projekt Ghaddafis war die Schaffung einer afrikanischen Währungsunion. Damit wollte er der Abhängigkeit von Dollar und Euro entgehen. Das Projekt löste in der globalen Wirtschaft, also bei grossen westlichen Banken, Rohstoffkonzernen und beim Internationalen Währungsfonds Alarm aus. Es war sicher einer der Faktoren, die dazu beitrugen, dass die NATO die Beseitigung des unaufhörlichen Störenfrieds Ghaddafi anstrebte. Ghaddafi hatte dem Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy 50 Millionen Euro für den Wahlkampf gegeben.
Unterdessen ist Niger ist zum Dreh- und Angelpunkt der US-Militärpräsenz in Afrika ausgebaut worden. Der eingangs zitierte Journalist Nick Turse fand bereits 2016 heraus, dass das Pentagon für hundert Millionen Dollar eine Operationsbasis für Kampfdrohnen in Agadez in Zentral-Niger baute. Seit 2019 ist sie in Betrieb. Die Kampfdrohnen werden immer stärker und effizienter. Die von zahlreichen Juristen weltweit als aussergerichtliche Hinrichtungen verurteilten Drohnenangriffe gehen unvermindert weiter. Fast 22 Jahre nach den Anschlägen im September 2001 wird immer noch «Krieg gegen den Terror» geführt. Es kann deshalb nicht erstaunen, dass es in einigen Ländern dagegen Widerstand gibt.