Martin Sonneborn, Satiriker und Mitglied des EU-Parlaments, mokiert sich über den EU-Kommissar für Technologie Thierry Breton.
Wenn Social Media Gewaltaufrufe nicht sofort löschen, können wir sie für ganz Europa sperren. Das sagte EU-Kommissar Thierry Breton.
Original-Beitrag im Video hören und sehen (Abschrift unterhalb des Videos):
Liebe Nichtmillionäre draussen an den Geräten
Auch wenn man heutzutage vorsichtig formulieren sollte, um nicht die Gefühle irgendeiner gesellschaftlichen Minderheit zu verletzen, möchte ich hier einmal deutlich sagen: Ich halte Millionäre grundsätzlich für ungeeignet, öffentliche Ämter auszuüben.
Ursula von der – ehm – Leyen sieht das anders.
Nach der kroatischen Kommissarin Dubravka Suica [Vizepräsidentin der EU-Kommission] mit einem Vermögen im einstelligen Millionenbereich, dessen Herkunft sie mir in der Anhörung nicht erklären konnte, und dem durchgeknallten spanischen Rentner-Typ [und EU-Kommissar] Sepp Borrell, mit einem zweistelligen Millionenvermögen, kommt jetzt – tätärää – mit dem Franzosen Thierry Breton der dreistellige Millionenbereich. Der Mann sprüht sich morgens nicht nur 200 Kilo Polyester ins Haar, er ist auch – nach vorsichtiger Schätzung – 200 Millionen Euro schwer.
Bretons nächstes Hobby wird die Nachlassverwaltung des viertgrössten Privatvermögens der Welt. Es gehört Bernard Arnault, Mehrheitseigner des Luxusgüterkonzerns LVMH mit den Marken Louis Vuitton, Moët & Chandon, Hennessy etc., praktischerweise hier in Belgien geparkt.
Beruflich pendelte Thierry Breton zwischen CEO-Stellen und politischen Posten mit allen Vorteilen, die das für beide Seiten mit sich bringt: Manager – Regionalratsmitglied – Manager – Regierungsberater – Manager – Wirtschafts- und Finanzminister – Manager – EU-Kommissar. Lassen wir der Übersichtlichkeit halber die Vorwürfe beiseite, mit denen Breton in seinen verschiedenen Funktionen konfrontiert war. Sie reichen von Vetternwirtschaft über illegale Preisabsprachen und illegale Vorteilsnahmen bis hin zu schweren Verletzungen der Treue- und Sorgfaltspflichten im Aufsichtsrat. Erfahrung hat der flotte Mittsechziger zweifellos – leider hauptsächlich darin, die Interessen einiger Weniger zu Lasten aller Anderen durchzusetzen.
Als Wirtschaftsboss fiel Breton durch gnadenlose Profitmaximierung, kreative Steuervermeidung und serielle Massenentlassungen auf – Massnahmen also, die eher nicht danach aussehen, als hätten die Interessen der Bevölkerungsmehrheit ihn je auch nur für eine Sekunde gejuckt.
Als Wirtschaftsminister fiel er durch forcierte Privatisierung von Staatsbetrieben auf – weit unter Wert, versteht sich –, durch bedingungslose Befürwortung von Unternehmensfusionen und ultraliberalen Extremismus – verkörpert in der idiotischen Idee, staatliche Monopole zu zerschlagen, um sie durch privatwirtschaftliche zu ersetzen.
Daneben hat der Austeritäts-Junkie [Süchtiger nach strenger Sparpolitik des Staates] nicht nur grosszügige Steuerentlastungen für Spitzenverdiener durchgesetzt, sondern auch einen systematischen Rückbau des Sozialwesens betrieben. Massnahmen also, die eher nicht danach aussehen, als hätten die Interessen der Bevölkerungsmehrheit ihn je auch nur einen Scheiss… ach, Sie wissen schon!
In der Geschichte des Kapitalismus hat der Franzmann bereits Spuren hinterlassen – und zwar als Schöpfer eines relativ kaputten Konzepts: Im Zuge der Privatisierung des Telekommunikationsriesen France Telekom prägte er [als CEO bis 2005] den berüchtigten «Plan NExT». Grundgedanke war dabei: Kostenreduktion durch drastischen Stellenabbau – flankiert von einer so drastischen psychologischen Kriegsführeng gegen die eigenen Mitarbeitenden, dass eine bis dahin beispiellose Suizidwelle einsetzte: Es gab 74 Selbstmorde in vier Jahren.
Lassen wir – weil ich jetzt wieder in die Parlaments-Bar will – die aktuell gegenüber Bretons Unternehmen Atos erhobenen Vorwürfe beiseite, sensible Informationen aus EU-Datenbanken missbraucht zu haben. Die Hinweise verdichten sich, dass Atos den britischen Behörden dabei behilflich war, Daten aus dem Schengener Informationssystem zu kopieren und zu speichern. Ein kleiner Skandal, der die EU-Kommission allerdings nur insoweit beschäftigt, als sie ihn lautlos unter ihren hässlichen Polyesterteppich kehrt.
In seiner kürzlichen Anhörung hat Breton geschworen, er werde sich als EU-Kommissar von allem fernhalten, was mit seinem ehemaligen Unternehmen zu tun hat. Wenn er das wahr macht, wird der Mann nur zwei Tage in der Woche arbeiten müssen, nämlich Samstag und Sonntag.
In seinem aufgeblähten Ressort – Binnenmarkt, Verteidigung, Weltraum, Digitalisierung – gibt es nämlich nichts, das nicht mit seinem Unternehmen zu tun hatte. Nahezu alle Bereiche, in denen das von ihm über zehn Jahre geführte Unternehmen marktführend oder monopolistisch tätig war, wird Breton als EU-Kommissar nun selbst regulieren – die Vergabe von EU-Fördergeldern und Grossaufträgen eingeschlossen. Interessenskonflikte vermochte der Rechtsausschuss des EU-Parlaments darin nicht erkennen!
Vielleicht könnte Breton den Pfeifen von CDU und SPD einmal die Funktionsgesetze des Marktes stecken. Und ihnen erklären, was es bedeutet, wenn eine Unternehmensaktie am Tag von Bretons Nominierung [zum EU-Kommissar für Binnenmarkt und Industriepolitik] ihre monatelange Talfahrt beendet, den Jahrestiefststand verlässt und sich auf einen eindrucksvollen Höhenflug begibt.
Ursula von der – ehm – Leyen sagte in ihrem «Mission letter» an die designierten Kommissare, dass sie «auf den höchsten Grad an Transparenz und Ethos des gesamten Kollegs bestehen» werde. Es dürfe «keinen Raum für Zweifel an unserem Verhalten oder unserer Integrität» geben.
Ich sage: «Europa nicht den Leyen und Millionären überlassen!»