Die Kinder sind nicht nur die wahren Chronisten des Krieges. Die Kinder werden auch die Gestalter der Zukunft sein. Bei aller Not, bei allem Elend, bei allem Schmerz: es ist ein Keim der Hoffnung.
Die Reaktionen aus Deutschland auf die Ankündigung der USA, der Ukraine Streumunition zu liefern, dokumentiert das ganze Debakel. Da zwitschert jemand aus der CDU, wenn Deutschland vorher genug Munition geliefert hätte, wäre die jetzt angeforderte Streumunition nicht vonnöten. Jetzt aber sei sie es. Die Kriegsmegäre der FDP hält die Lieferung für richtig und wichtig und der amtierende Verteidigungsminister meldet sich mit der Formulierung zu Wort, er habe die Lieferung seitens der USA nicht zu kommentieren.
Es sei für alle, die von Schwindel befallen die Orientierung verloren haben, erwähnt, dass die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2010 das Übereinkommen über das Verbot der Produktion, des Verkaufs und des Einsatzes von Streumunition, auch als Streubomben-Konvention bekannt, unterschrieben hat. (1) Es handelt sich dabei um einen völkerrechtlich anerkannten Vertrag, den bis dato 120 Staaten gezeichnet haben.
Die Reaktionen aus dem Deutschen Bundestag zeigen, inwieweit sich gewählte Vertreter an die vom eigenen Staat ratifizierten Verträge zu halten gedenken. Und die Äußerung des Verteidigungsministers legt den Rat nahe, dass sich, wer weder Haltung noch Courage hat, nicht zur Übernahme öffentlicher Ämter entschließen sollte. Vielleicht täte es ja eine Angst-Therapie. Aber das ist privat.
Alexander Kluge
Es hat mit der Wahrnehmung öffentlicher Ämter nichts mehr zu tun. Keine Haltung, kein Stehvermögen und opportunistisches Geschwätz sind bis auf wenige Ausnahmen zurzeit das, was aus dem hohen Haus der deteriorierenden bürgerlichen Demokratie zu vernehmen ist. Gäbe es dort noch so etwas wie Scham, müsste der Reichstag rot erglühen.
Da jedoch die Chuzpe von unqualifizierten Trittbrettfahrern herrscht, bleibt es beim kalten Grau. Dass sich zunehmend mehr von dem Gedanken des herrschenden Regierungssystems abwenden, ist in erster Linie auf die Feigheit, die Chuzpe und die Dreistigkeit vieler zurückzuführen, die dieses System repräsentieren. Eine Chance auf Besserung ist nicht zu sehen.
Jenseits des unglaublich beschämenden Twitter-Gejohles vieler Volksvertreter melden sich aus diesem Land immer noch Stimmen zu Wort, die den alten Glanz eines demokratischen Selbstverständnisses für einen Moment aufscheinen lassen. Einer davon ist Alexander Kluge, der im neunten Lebensjahrzehnt nicht davon ablässt, über den Krieg, seine Ursachen, seine geschichtlichen Wurzeln und seine Abstrahlungen auf eine Zukunft zu räsonieren. In seiner jüngst erschienenen Kriegsfibel 2023 lautet eine Überschrift “Kinder sind die wahren Chronisten des Krieges”.
Chronisten des Krieges
Es ist ratsam, einen Moment innezuhalten und diesen Gedanken wirken zu lassen, dessen Wahrhaftigkeit Kluge mit seinen eigenen Erfahrungen als Kind im Endstadium des Zweiten Weltkrieges in der Lage ist, zu illustrieren. Und dann überlegen Sie bitte, was Ihre Eltern oder Großeltern Ihnen über Ihre eigenen Erfahrungen als Kind im Krieg erzählt haben. Und dann reflektieren Sie bitte, was das mit der Generation Ihrer Eltern und Großeltern gemacht hat. Die, das nur nebenbei, nicht bei denen zu finden sind, die jetzt hysterisch-geil den Krieg glorifizieren.
Dass dieser mentalen Übung die Frage aus dem kalten Block der Logik notwendigerweise folgt, wie die Kinder des jetzigen Krieges in die Zukunft blicken werden, sollte nicht als entlegen betrachtet werden können. Allenfalls von jenen, über die anfangs berichtet wurde.
Wer heute keine Haltung hat, sollte nicht über das Morgen reden. Die Kinder sind nicht nur die wahren Chronisten des Krieges. Die Kinder werden auch die Gestalter der Zukunft sein. Bei aller Not, bei allem Elend, bei allem Schmerz: es ist ein Keim der Hoffnung.
Quellen und Anmerkungen
(1) Streu- oder Clustermunition sind Bomben, Granaten oder Gefechtsköpfe, die nicht als Ganzes explodieren, sondern eine Vielzahl an kleineren Sprengkörpern freisetzen. In der Regel explodiert ein wesentlicher Teil dieser Submunition nicht, sondern verbleibt als Blindgänger vor Ort. Durch die geringe Größe und die Menge gefährdet nicht explodierte Submunition die Bevölkerung auch lange nach Konflikt- bzw. Kriegsende.