Warum sterben an Europas Außengrenzen Tausende Flüchtlinge? Wie versucht die EU, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten? Worüber streiten sich die EU-Staaten auf ihren zahllosen Flüchtlingsgipfeln? Warum werden an Europas Binnengrenzen wieder Stacheldrahtzäune hochgezogen? Ein Überblick über die zentralen Themen der Europäischen Flüchtlingspolitik.
Der folgende Überblick gibt eine grobe Einführung in die zentralen Themen dieses umfangreichen Bereichs. Aktuelle Informationen, Hintergründe und weiterführende Informationen finden Sie in den hier im folgenden verlinkten Themen-Seiten.
TOD AN EUROPAS GRENZEN
Seit langem sterben vor Europas Grenzen jedes Jahr Hunderte Menschen. 2014 und 2015 waren es Tausende. Die meisten von ihnen flohen vor Krieg, Verfolgung und Elend. Ein Großteil von ihnen hätte, einmal in Europa angekommen, gute Chancen gehabt, im Asylverfahren einen Schutzstatus zu erhalten.
Für das Sterben an Europas Grenzen sind weder Naturgewalten verantwortlich noch Schlepperorganisationen, sondern eine Asylpolitik, die Schutzsuchende dazu zwingt, ihr Leben zu riskieren, um Schutz erhalten zu können.
DER AUSBAU DER FESTUNG EUROPA
Die EU versucht, ihre Grenzen hermetisch abzuriegeln. An einigen Grenzabschnitten haben die Nationalstaaten meterhohe Stacheldrahtzäune errichtet, an anderen Abschnitten kommt die EU-Grenzschutzagentur Frontex zum Einsatz. Mittlerweile sollen auch Militäreinsätze dafür sorgen, dass Flüchtlinge es nicht in die EU schaffen. Andere der Maßnahmen zum »Grenzschutz« werden kaum sichtbar – etwa das EUROSUR-System, das die Grenzen mit Satelliten, Drohnen und Sensoren überwacht.
Letztlich sorgen die kostspieligen Investitionen vor allem dafür, dass die Fluchtwege für Schutzsuchende riskanter und teurer werden. Die oft mit »Schlepperbekämpfung« gerechtfertigte Abschottung der Grenzen ist gut für das Geschäft der Schleuser – und für das der Rüstungsindustrie.
DRITTSTAATEN ALS TÜRSTEHER
Die EU versucht zunehmend, Flüchtlinge und Migrant*innen schon abzuwehren, lange bevor sie die Grenzen der Union erreichen – etwa in Nordafrika, in Osteuropa oder in der Türkei. Dafür kooperiert sie mit Drittstaaten, deren Regierungen sie als eine Art Türsteher einsetzt – auch wenn es sich bei diesen um autoritäre Staaten oder Diktaturen handelt, die die Menschenrechte von Flüchtlingen und oft auch die Menschenrechte ihrer eigenen Staatsbürger*innen missachten.
Das Ergebnis dieser Politik ist genau das Gegenteil der »Verhinderung von Fluchtursachen«, die EU-Politiker*innen so gern im Munde führen. Indem die EU mit autoritären Regimes kooperiert und sie so indirekt sogar zur Verletzung von Menschen- und Flüchtlingsrechten motiviert, befördert sie jene Zustände, die Menschen in die Flucht treiben.
UNMENSCHLICH UND UNSOLIDARISCH: DAS DUBLIN-SYSTEM
Welcher EU-Staat für einen Asylsuchenden zuständig ist, ist in der Dublin-III-Verordnung festgelegt. Die Grundregel dieser Regelung ist einfach, aber perfide: Jener EU-Staat, der einen Flüchtling die EU hat betreten lassen, ist auch für ihn verantwortlich. Die EU-Regelung schiebt damit die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz an EU-Randstaaten ab. Und motiviert sie, Flüchtlinge an den Grenzen abzuwehren. Oder so schlecht zu behandeln, dass sie in andere EU-Staaten weiterfliehen. Die Folge: Flüchtlinge irren durch Europa und werden wie Stückgut hin- und hergeschoben. Für Flüchtlinge bedeutet Dublin III Elend und Abschiebungen.
In der Praxis ist das Dublin-System gescheitert. Doch eine Einigung über ein alternatives Modell ist nicht in Sicht. Denn die unsolidarische Regelung hat unter den EU-Staaten einen heftigen Konflikt befeuert, der eine Einigung auf eine gemeinsame, solidarische Flüchtlingspolitik extrem erschwert.
IN DER SACKGASSE: FLÜCHTLINGE IN GRIECHENLAND
Griechenland gehört seit Jahren zu den EU-Staaten, in denen Flüchtlinge zuerst EU-Territorium betreten. Gemäß der Dublin-Verordnung ist Griechenland daher für alle Schutzsuchenden verantwortlich, die an den griechischen Küsten anlanden – theoretisch. Denn seit Jahren sind die Lebensbedingungen dort so eklatant menschenunwürdig, dass andere EU-Staaten Flüchtlinge zumindest nicht mehr nach Griechenland zurückschieben dürfen.
Es gibt in Griechenland kein funktionierendes Asylsystem. Es mangelt Flüchtlingen an allem: An Unterkünften, Nahrungsmitteln, medizinischer Basisversorgung. PRO ASYL ist deshalb seit Jahren in Griechenland aktiv. Jüngst haben wir unseren Einsatz dort intensiviert, denn für Flüchtlinge wird es immer schwieriger, Griechenland zu verlassen. Das von der schweren ökonomischen Krise geprägte EU-Land droht für Flüchtlinge zur Falle zu werden.
MENSCHENRECHTSFREIE ZONE BALKANROUTE
2015 konnten sich Zehntausende Flüchtlinge, die von der Türkei aus in kleinen Booten nach Griechenland geflohen waren, über die Balkanstaaten Richtung Österreich und Deutschland durchschlagen. Schon damals war die sogenannte Balkanroute strapaziös und gefährlich. Seither wurden an etlichen Grenzen Zäune errichtet und Polizisten und Soldaten postiert – etwa an der ungarischen, an der slowenischen, schließlich an der mazedonischen Grenze. Auf Druck westeuropäischer Staaten ist der Fluchtweg aus Griechenland über die Balkanroute mittlerweile weitgehend abgeriegelt. Damit haben Flüchtlinge kaum noch Chancen, der katastrophalen Situation in Griechenland zu entfliehen.
HAFT UND OBDACHLOSIGKEIT: FLÜCHTLINGE IN UNGARN
Unter der rechtspopulistischen Regierung Viktor Orbáns setzt der ungarische Staat alles daran, um Flüchtlinge abzuwehren. Seit langem werden Schutzsuchende, die, meist von Griechenland kommend, über Ungarn nach Westeuropa weiterfliehen wollen, dort unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert oder auf die Straße gesetzt, wo ihnen unter anderem rassistische Angriffe drohen. 2015 hat Ungarn seine Grenzen gegen Schutzsuchende fast vollkommen abgeriegelt. Viktor Orbán ist stolz darauf – seine menschenrechts- und flüchtlingsrechtswidrige Abschottungsstrategie preist er als Vorbild für ganz Europa.
WARUM DIE »FLÜCHTLINGSKRISE« EUROPAS EINE RASSISMUS-KRISE IST
Viktor Orbán ist nicht der einzige Regierungspolitiker in der EU, der sich in der so genannten »Flüchtlingskrise« als harter Grenzschützer profiliert. In vielen EU-Staaten befeuern Politiker*innen rassistische Ressentiments, um sich als Wahrer nationaler Interessen zu inszenieren. Diese Politik gefährdet Menschen- und Flüchtlingsrechte – und längst auch den Zusammenhalt der EU.
Die EU – ein Bund aus 28 Staaten, mit insgesamt 510 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 15 Billionen Euro – ist 2015 nicht wegen einer Million Schutzsuchender in die so genannte »Flüchtlingskrise« geraten – sondern aufgrund der Fliehkräfte immer weiter um sich greifender nationalistischer und rassistischer Tendenzen. Rassismus und Populismus sind verantwortlich für die aktuelle »Flüchtlingskrise« der EU. Nicht die Flüchtlinge.