Zur Kritik esoterischer Denkmodelle

Der moderne Kapitalismus hat es geschafft sich im Überbau zu mythologisieren, von der Religion des Marktes ist oft die Rede, verstanden als Synonym für Alternativlosigkeit eines über Markt- und profitorientiertes Wirtschaften.

Dem unermesslichen Reichtum, der auf der einen Seite produziert wird, steht auf der anderen Seite eine unermessliche Armut, Hunger Tod und Elend, ja auch notwendig psychische Verelendung gegenüber.

Etwas verfeinert stimmt die Formulierung auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite aber gar nicht, genauso wenig wie das von Armutsforschern gerne geprägte Bild von der sich immer weiter ausweitenden Schere von arm und reich. Was in beiden Reden ideologisiert wird, ist, dass arm und reich sozusagen getrennt von einander existieren, im Bild der auseinandergehenden Schere, eigentlich zusammengehören würden. In Wahrheit sind aber die Reichen reich oder der immense Reichtum auf der einen Seite, weil er durch Ausbeutung aus den Anderen, der Armen ausgepresst wird. Die Egalisierung wäre also zu Ende gedacht die Revolution. Sie wird aber von Armutsforschern und Anderen ganz anders gedacht: Nämlich als Idealisierung der Marktverhältnisse. Eigentlich könnten die Scherenseiten zusammengeführt werden, dass sie so weit auseinander geraten sind, hat garantiert keinen systematischen Grund. So wird der systematische Gegensatz von arm und reich in ein zufälliges Verhältnis verwandelt. Eigentlich – und das ist das Zauberwort – eigentlich könnten die beiden Seiten auch versöhnt werden, aber eigentlich eben, nicht wirklich).

In der Anonymität der Marktbeziehungen, in der jeder seine Arbeitskraft, nicht nur Proletarier, sondern heute auch der Mediziner und andere intellektuelle Berufe, verkaufen muss und dabei Marktgesetzen unterliegt, die für ihn nicht durchschaubar sind, aber handlungsbestimmend sein müssen, sonst wird es nichts. Vom individuellen Zurechtmachen, seine Qualitäten aufhübschen, bis zu räumlicher Flexibilität ist alles gefragt. Auch das Unterwerfen und Akzeptieren der inneren Gesetzmäßigkeiten unter den Dukatenesel Krankenhaus. Für einen jungen Arzt etwa die Unterwerfung unter die im Krankenhaus unter Profitorientierung ganz neu entstandene Medizin, durchbuchstabiert bis zu einer Ansprache ans Behandlungsbett unter Kriterien nicht dessen, was der Kranke braucht, sondern was die Fallpauschale braucht. Systemimmanente Rationalität: Wenn wir dieser nicht dienen, geht gar nichts mehr und dann die leiden letztlich die Patienten.

Der amerikanische Medizinsoziologe Antonovsky entwickelt im Zusammenhang der Frage, was Menschen gesund hält den Begriff der Kohäsion. Verkürzt dargestellt besteht diese aus der Trias Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Das jeweilige negative Pendant dazu wären wohl Orientierungsverlust, Ohnmacht und Sinnentzug. Antonovsky übersieht aus meiner Sicht die wesentliche vierte Komponente. „Der Mensch ist kein außerhalb der Welt hockendes Wesen“, schreibt Marx in den Feuerbachthesen. Das heißt, wird sind, was die bürgerlichen Wissenschaften, auch die Psychologie in ihren Robinsonaden vom Menschen überhaupt, leugnen, aber zugleich als Ausgangspunkt konstruieren: der Mensch ist ein soziales Wesen. Er lebt in Gemeinschaft und entwickelt sich in Gemeinschaft. Der Eremit ist der absolute Ausnahmefall. Bis ins Biologische hinein ist das so: Unter Coronabedingungen wurde von Sozialpsychologen nicht selten festgestellt, wie herb der Verlust körperlicher Nähe, z.B. von Berührungen usw. ist.

So wenig meine Katze Timmi sich aufgibt als individuelle Katze, wenn sie ihren Bruder Struppi hingebungsvoll das Fell putzt, um sich 2 Stunden später mit ihm zu streiten, so wenig gibt sich der Mensch als Individuum auf, wenn er sich als soziales Wesen begreift, im Gegenteil.

Die Eigentümlichkeiten einer Konkurrenzgesellschaft lasen solche basalen und banalen Einsichten nicht mehr wirklich aufkommen, weil sie in der unter diesen Bedingungen erfolgenden Handlungspraxis ja auch im Widerspruch dazu stehen. Im Volksmund heißt es „Der eine ist dem anderen sein Teufel“, das ist begriffslos dahingesagt und wird einfach so anthropologisiert. Viel schlichter: Wir stehen uns einfach als Konkurrenten gegenüber, schon in der Schule wird gezeigt, dass die eigenen Fähigkeiten nur im Vergleich in Konkurrenz zu den anderen von Bedeutung sind.

Kant hat ohne das reflektieren zu können in seinem kategorischen Imperativ – allerdings bejahend festgehalten. Der Kategorische Imperativ – so meine Behauptung – ist die Königsformulierung in idealistischer und scheinbar so gutmenschlich versöhnlicher Form und unter positiven Bezug, zu einer Gesellschaft, die Ausbeutung, Elend, Tod und psychische Verelendung als ihre Wesensmerkmale pflegt.

„Handele stets so, dass die Maxime deines Handelns Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnten.“

Die Goldene Regel., in die Kants Imperativ öfters übersetzt wird, „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“, ist nur der halbe Kant. Das auszuführen, würde her zu weit führen, spielt aber auch in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Wieso soll nun der Kategorische Imperativ nicht eine sinnvolle Regel, sondern eine Ideologisierung des Kapitalismus sein?

In seinem wirklichen Leben, seinem Handeln als Wirtschaftssubjekt, als Privatsubjekt steht der Einzelne anonym und im Nebel. Er weiß nicht um den die Anderen, um den gesellschaftlichen -Zusammenhang und muss oder sollte nun im zweiten Schritt sein Handeln sozialverträglich gestalten und zwar nach einer ethischen Regel. Diese, ich wiederhol meinen Gedanken, macht aber nur Sinn, wenn das, was die Ethik hervorbringen soll, nicht schon von vornherein sozusagen immanent im Handeln als wesensmäßig enthalten ist. Wenn ich die Früchte des Baumes mir morgens um 5 Uhr alle einsacke, sie auf dem Markt verkaufe und in meinem Keller horte, sind sie den anderen entzogen. Das Ganze könnte man auch mit einem Zaun umziehen und Eigentum nennen. Dann garantiert der Staat per Recht für den Ausschluss der Anderen. Wenn ich aber als Individuum und Gemeinschaftswesen mich gemeinsam mit den anderen entwickeln möchte, weil ich sie schätze, weil Doppelkopf spielen alleine genauso langweilig ist wie Sex, dann reiße ich den Zaun ein und alle können sich gemeinsam an den Früchten des Baumes bedienen und keiner wird ausgeschlossen, eingedenk, dass die Natur ein „Geschenk“, die barrierefrei und ohne Coronamaske benutzt werden darf und soll. Natürlich ist das eine Metapher (in Anlehnung an Jean Jacques Rousseau) für das gesellschaftliche Institut „Privateigentum“.

Das hat Kant nicht gesehen nicht sehen wollen und hat und hat geglaubt durch individuelles moralisch gutes Handeln, die wirklichen Gegensätze und deren Konsequenzen versöhnen zu können.

Wie der Zauber das Kaninchen aus dem Ärmel schüttelt, so werden die ja allseits sichtbaren Wirkungen einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft laut Kant durch Anlegung einer Regel an das individuelle Handeln gelöst. Das ist bürgerlicher Wahn, ja eine bürgerliche Wahnvorstellung.

Was hier philosophisch noch einmal oberhalb der schnöden Realität folgenreich konstruiert wird, ist die Figur des abstrakten Individuums, die dann so ein Vorausblick in der Moderne in allerlei alternativen Bewegungen gefeiert wird in Form des Kultes des abstrakten Individuums.

In dem Maße in dem ich als soziales Wesen mit meiner Individualität in dieser Gesellschaft eins aufs Dach kriege, entsteht nicht selten, wenn man sich dieser gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht bewusst ist, das Bedürfnis ich will aber doch Individuum sein. Das hat aber die kapitalistische Gesellschaft schon kreiert, also das Individuum in seinen ganzen Beschränkungen. Und nicht nur das, sondern die ganze Konstruktion, das ganze Ideal, macht nur Sinn in einer auf Gegeneinander getrimmten Gesellschaft. Dieses Ideal ausgerechnet soll nun fatalerweise eingeholt werden, ins Recht gesetzt werden, ohne zu erkennen, dass nicht die mangelnde Verwirklichung, sondern das Ziel selbst ein verhängnisvoller Fehler ist.

Das ist nun der Nährboden für alternative Bewegungen derart, die nicht eine gemeinschaftliche und kapitalismuskritische Emanzipation befördern wollen, so nach dem Motto, erst mal muss ich als Einzelner gesund werden.

Kongenial in diesem Zusammenhang ist beispielswiese der Schamanismus zu nennen, das dem geplagten Individuum nun folgende Dienstleistung erbringt: In der Verleihung einer indianischen Identität wird das leidende Individuum radikal aller seiner sozialen Bezüge entrissen – während es in der Wirklichkeit aufgrund der Marktbeziehungen so einiges nicht durchschauen kann und praktisch zum Depp gemacht wird. Während Kant den untauglichen Versuch unternommen hat, per Geboten eine Versöhnung von Individuum und Gesellschaft aus dem Boden zu stampfen (die schlauen Griechen hingegen haben anders argumentiert, gutes Handeln ist nur in einer guten Ordnung möglich), wird hier im Schamanismus eine noch nebulösere Fernreise unternommen. Als abstraktes Individuum einzig indianisch benamst, in einer Kultur, die mir nicht zugänglich ist, bei näherer Hinsicht auch zum Glück, stehe ich nun alleine da. Ganz wichtig dass alle meine wirklichen Verbindungen vorübergehend aufgelöst sind, wenigstens einstweilen weggedacht. Es ist nun für meinen Gedanken völlig egal, ob man als Indianer auftritt und in der derselben Kultur die Abstraktion vollzieht.

Kurz und schlecht: In der Verabsolutierung der in der bürgerlichen Welt gemachten Erfahrungen, liegt der Königsweg zum Glück. Ich stampfe dreimal auf den Boden und sage laut: ich bin aber ein Individuum. Das geht nach der einen Seite natürlich noch schiefer, als wenn man Kant mit seiner Ethik folgt. Nach der anderen Seite geht überhaupt nichts schief: Es stärkt enorm das Selbstbewusstsein, ich bin wer, endlich, wo ich doch im realen Leben ein Nichts bin.- Das wird gegen die realen Zwänge festgehalten.

Ich will nun dahin argumentieren, dass in den meisten alternativen Bewegungen, die sich auf die Fahne schreiben, das bürgerlich geplagte Individuum aus seinen Verstrickungen zu lösen, um gereinigt und geheilt zur politischen Arbeit zu kommen, genau das Gegenteil – und dieses Mal mit Notwendigkeit passiert.

Es stellen sich Führungsprobleme heraus usw. und zwar notwendig – weil die Rolle des Individuums als soziales Wesen nicht gewusst ist, bzw. der Kultus des abstrakten Individuums als Ziel angenommen und gefeiert wird. Dieses ist aber eine Figur, die nur unter Herrschaftsbedingungen, Konkurrenz und ähnlichen Sinn macht.

Ohne ein Bewusstsein der Fehler des Kultes des abstrakten Individuums kommt nichts Befreiendes, Emanzipatives aus solchen Bewegungen heraus, aber ganz viel Unsinn, bis hin zu gefährlichem Unsinn.

Tatsächlich sind wir nach 2000 Jahren Herrschaft auch in uns die Psyche betreffend verstümmelte Wesen. Mindestens aber ist das, was Menschsein sein könnte, noch lange nicht erreicht. Epigenetisch gewissermaßen sind uns per Erziehung allerlei psychische Deformierungen eingearbeitet worden.

Die von mir skizzierte Idee des abstrakten Individuums stellt sich negativ, stellt sich feindlich gegenüber emanzipativen, gesellschaftskritischen Gedanken und Bewegungen, die neben der Ökonomie auch die psychischen Folgen des Kapitalismus ins Visier nehmen. Es ist eben ein kleinbürgerlicher Kult, dem die atomare Aufrüstung genauso egal ist, wie eine emanzipative und solidarische Befreiung der Psyche:

„Ei, wenn du jetzt so mit Politik kommst, da löst im mir gleichn so´n Gefühl aus, wie es mein Vadder immer ausgelöst hat“.

oder:

„Ich finde so ein Thema unheimlich wichtig, aber auch so abstrakt, wie komme ich da jetzt eigentlich vor, schließlich hat ich doch heute Morgen mit meiner Frau Ärger und wir wissen doch, wir müssen erst mal bei uns anfangen. Do gehen die Jahre ins Land.“

Und nochmal: Auf einer Metaebene werden nun – ich behaupte notwendig- Gurus, oder die ganze Welt aufgelöst als Zeichen, welche mir was sagen will, aufgelöst.

Summa summarum: Dieser Befreiungsprozess ist ein gewollter Unterwerfungsprozess, freudig eingegangen und mit diesem lässt sich nun die wirklich zwangsweise (Pflicht zur Lohnarbeit) deutlich besser ertragen, jedenfalls, wenn man es so sehen will.

Es ist das traurig Ende – was dort endet, wo es endet, aber mit Ansage.