Kurz und bündig zur Situation der Gewerkschaften in der Ukraine

Als Gewerkschafter*innen (Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin und Arbeitskreis Internationalismus IG Metall Berlin) schauen wir besonders auf die Situation der Gewerkschaften und der von Ihnen vertretenen Beschäftigten. Hierzu ein paar markante Fakten:

  • Bereits vor dem Krieg haben etwa ebenso viele Ukrainer*innen wie jetzt durch den Krieg selber aus extremer wirtschaftlicher Not heraus, wegen miserabler Arbeitnehmerrechte auf unterstem Level im internationalen Vergleich und aufgrund politischer Repressionen das Land verlassen. Insgesamt schrumpfte die Bevölkerung seit 1991 von 52 Millionen auf 42 Millionen 2020, wobei gerade nach 2010 und dann 2014 im Zuge neoliberaler Gesetzgebungen und politisch-rassistischer Bedrohungen jeweils gewaltige Fluchtschübe einsetzten. “Insgesamt lebten laut Statistiken der Vereinten Nationen im Jahr 2020 6,1 Millionen ukrainische Migrantinnen und Migranten im Ausland. Damit ist die Ukraine das achtwichtigste Herkunftsland der Welt und mit Blick auf das BIP einer der größten Empfänger von Rücküberweisungen.” [3]
  • Am 2. Mai 2014 wurde das Gewerkschaftshaus in Odessa von rechtsextremen Ukrainer*innen in Brand gesteckt, dem schlimmsten Angriff auf eine gewerkschaftliche Einrichtung mit 48 Toten und 200 Verletzten in Europa in den letzten 80 Jahren. Immer wieder monierten UNO, aber auch EU, dass der Ukrainische Staat (auch unter Selenskyj) keinen einzigen der Mörder und Brandstifter zur Rechenschaft gezogen hat , obwohl diese zum Teil ihre Untaten selbst filmten und die Beweise sogar ins Internet stellten. [4]
  • 2019, gut zwei Jahre vor dem russischen Angriff auf die Ukraine , wurde vom ukrainischen Parlament ein Arbeitsgesetz verabschiedet – unter scharfen Protesten u.a. von IndustriAll und des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Es ging darum, “endlich all jene Unternehmerwünsche zu erfüllen, die in vorherigen Gesetzesänderungen noch nicht zur Gänze erfüllt worden waren (…) „Arbeit auf Abruf“ (also die anderswo zunehmend verbotenen „Null-Stunden-Verträge) werden ebenso akzeptiert, wie willkürliche Kündigung und Verzicht auf gewerkschaftliche Rechte – vor allem die Absage an Tarifverhandlungen.” [5] Am 15.Februar 2020 zogen die ukrainischen Gewerkschaften an einem Protesttag gegen diese arbeitnehmer*innenfeindliche Gesetzgebung auf die Straßen, unterstützt weltweit von zahlreichen gewerkschaftlichen Solidaritätsaktionen. [6] Die Machthaber in Kiew drohten als Reaktion darauf allen unabhängigen Gewerkschaften, obwohl diese bereits in ihrem Handlungsspielraum weitgehend stranguliert waren, mit der endgültigen Zerschlagung und Enteignung. [7] [8]
  • Seit Kriegsbeginn wurde mit diesen Drohungen ernst gemacht. Das Kriegsrecht trifft gerade die Gewerkschaften mit voller Breitseite. Die “Gewerkschaften sollen zu bloßen Organen der »Bürgerkontrolle« degradiert werden, die die Einhaltung des Gesetzes überwachen.” Unliebsame, nicht gehörige und nicht zur Kooperation bereite Gewerkschafter werden zum Schweigen verdammt. Ende Juli 2022 begann der ukrainische Geheimdienst SBU (Sluschba bespeky Ukrajiny) damit, rund 80 Eigentumskomplexe des Gewerkschaftsdachverbands “Föderation der Gewerkschaften der Ukraine” (FPSU) zu beschlagnahmen. Darunter etliche Immobilien in besten zentralen Stadtlagen im vom Geheimdienst selbst geschätzten Wert von ca. 190 Millionen Euro. [9] [10]

Werner Rügemer wird auf der Veranstaltung am 10.Juli die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Ukraine im Detail beschreiben! “Extreme neoliberale Zurichtung: Niedrigste Löhne, Arbeits-Auswanderung, Hotspot der kommerziellen Leihmutterschaft, höchste Überschuldung.”

“Die Ukraine bietet mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 1,21 Euro pro Stunde die weitaus günstigsten Arbeitsbedingungen für westliche Zulieferdienste in Europa. Gewerkschaften sind weitgehend ausgeschaltet und sollen enteignet werden. Millionen von Ukrainern waren schon vor dem Krieg als Niedrigstlohn-Wanderarbeiter in benachbarten Staaten wie Polen und Litauen begehrt. Nirgends in Europa sind Frauen gegenüber Männern so unterbezahlt. Deswegen auch wurde die Ukraine das Zentrum für kommerzielle Leihmutterschaft. US-Konzerne beherrschen das Agro-Business…” (aus dem Aufruf des Bündnisses zur Veranstaltung) [11]

Veranstaltungsreihe »Es geht darum, den Frieden zu gewinnen, nicht den Krieg!« [1]

Veranstaltung am Montag, den 10. Juli 2023, um 18.00 Uhr
Kiezraum auf dem Dragonerareal Mehringdamm (hinter dem Finanzamt), 10963 Berlin
U1, U6, U7(Mehringdamm, Hallesches Tor)
Referent : Werner Rügemer, Philosoph und Publizist [2]


Quellen:

[1] Veranstalter Bündnis Frieden-Gewinnen: AG Frieden in der GEW Berlin, AK Frieden der Berliner VVN BdA, VVN-VdA, VVN-VdA Neukölln, VVN-VdA Tempelhof/Schöneberg, VVN-VdA Reinickendorf, VVN-VdA Spandau, VVN-VdA Charlottenburg, Spandauer Bündnis gegen Rechts, Friedenskoordination Berlin, Koordination “Unvollendete Revolution 1918”,Gruppe Arbeiterpolitik Berlin.
[2] Der Philosoph und Publizist Dr. Werner Rügemer aus Köln befasst sich seit seinen Veröffentlichungen 1984 über Silicon Valley mit den Praktiken des US-geführten Kapitalismus. In seinem Buch „Imperium EU: ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr“ (2020) schildert er das von der EU organisierte, menschenrechtswidrige ArbeitsUnrecht. http://www.werner-ruegemer.de/
[3] https://www.bpb.de/themen/migration-integration/laenderprofile/509978/die-ukraine-abwanderung-und-vertreibung-in-vergangenheit-und-gegenwart/
[4] https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-tote-bei-feuer-in-odessa-nach-brandstiftung-a-967340.html
[5] „Unter anderem ist die gesetzliche Gleichstellung von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen vorgesehen, was bedeutet, dass nicht mehr Kollektivverträge die Arbeitsverhältnisse regeln, sondern Einzelverträge. „Der ausgehandelte Vertrag steht, so der Gesetzesvorschlag, dann über den gesetzlichen Mindeststandards, das ist 150 Jahre alter Manchesterkapitalismus“, kritisiert der Internationale Sekretär des ÖGB, Marcus Strohmeier
[6] https://ukrainesolidaritycampaign.org/2020/01/15/ukrainian-unions-take-to-the-streets-for-freedom/
[7] https://www.labournet.de/internationales/ukraine/politik-ukraine/das-neue-arbeitsgesetz-der-ukraine-passt-zum-rechten-weltbild-des-kuschenden-fleissigen-arbeiters-und-zur-staatlichen-foerderung-von-nazibanden/
[8] https://www.oegb.at/themen/gewerkschaften-weltweit/internationales/ukraine–regierung-droht-gewerkschaften-mit-kompletter-entmachtu
[9] https://www.labournet.de/internationales/ukraine/politik-ukraine/in-zeiten-wie-diesen-die-ukrainische-regierung-schraenkt-im-kriegsrecht-arbeitnehmerrechte-ein/
[10] https://perspektive-online.net/2022/07/ukrainischer-geheimdienst-beschlagnahmt-80-gewerkschaftseinrichtungen-massive-einschraenkung-von-arbeiterinnenrechten-geplant/
[11] https://frieden-gewinnen.de/wp-content/uploads/2023/06/Werner-Ruegemer-22.06.2023-bunt.pdf

Der Originalartikel kann hier besucht werden