Ein Buch zum Thema Geld, das von einer Nicht-Ökonomin verfasst wurde, soll zum Verständnis von Wirtschaft, Krisen, Wachstum und Verteilung beitragen? Und es soll auch noch Interessierte ohne ökonomische Vorbildung unser modernes Geldsystem erklären? Die Rechtswissenschaftlerin und autodidaktisch wissenschaftlich in den Post-Keynesianismus-Ökonomie sowie die Modern Monetary Theory (MMT) eingestiegene Autorin Monika Stemmer hat es versucht.

Von Günter Grzega

Schon nach wenigen Seiten der Lektüre wird aber deutlich, dass Stemmer es tatsächlich gelingt, mehr als komplexe Themen zwar wissenschaftlich und praxisorientiert fundiert, aber eben allgemein verständlich darzustellen. Vor allem die Darstellung der Realitäten unserer komplexen Geldsysteme ist von bestechender Klarheit. Vielleicht gerade deshalb, weil sie nicht Wirtschaftswissenschaften auf dem üblichen Weg studiert hat?

Faszinierend für Praktiker, also Insider der Finanzwirtschaft und überraschend für Ökonomen, die sich nach dem Studium nicht umfassend mit unserem modernen Geld- und Bankensystem auseinandergesetzt haben, sind die klar strukturierten und nachvollziehbaren Ausführungen zu den Grundtatsachen unseres Geldsystems. Die Darstellung der Untrennbarkeit von Bankkrediten mit der Aufgabe des Staates, diese Giralgeldschöpfung durch strenge Regulierung der Banken und damit Stabilität und Krisenfestigkeit einer Volkswirtschaft zu erreichen, ist der Autorin bestens gelungen.

In Kapitel III wird gerade in der aktuell wieder hochkochenden „Schwarze Null- und Staatschulden-Debatte“ unaufgeregt die Tatsache vermittelt, dass der Staat Geld macht (über die Zentralbank), aber eben kein Schuldner wie andere Player am Finanz- und Bankenmarkt ist. Klar und nachvollziehbar vermittelt Stemmer, dass Staatschulden nicht zurückgezahlt werden und vor allem die Tatsache, dass staatliche Defizite im gleichen Umfang Guthaben der privaten Sektoren der Volkswirtschaft sind, also der Haushalte und Unternehmen. Allein wenn diese grundsätzlich simple und der Geldschöpfung durch Kredit bilanziell geschuldete Tatsache den aktuell agierenden Politikern und Interessenvertretern der Wirtschaft und Gesellschaft bewusst gemacht werden kann, wäre ein großer Schritt zur Beendigung der unsinnigen und schädlichen Staatschuldendebatte.

Und ja, es wäre der entscheidende Schritt zur Etablierung einer sachlichen und damit gelingenden Finanz- und Wirtschaftspolitik. Auch die für jeden Interessierten nachvollziehbare Erklärung, dass Staatsanleihen keineswegs für die Finanzierung der Staatsausgaben ein sinnhaftes intellektuelles Konstrukt der Geldsystematik darstellen, sondern vor allem der Steuerung des Leitzinses durch die Zentralbank dienen, wird nicht wenige Akteure des Finanzmarkts immer noch überraschen. Hinsichtlich der aktuell dogmatisch geprägten Diskussion zur grundsätzlichen Staatsfinanzierung über Staatsanleihen ist deshalb zu erwähnen, dass es ja bereits bedeutende Zentralbanken gibt, die einen Großteil der Staatsausgaben direkt und ohne den Umweg über Staatsanleihen finanzieren. Als bekanntes Beispiel kann hier Kanada genannt werden.

Besonders lesenswert für finanzpolitisch Interessierte Europäer ist der Abschnitt über die grundsätzlich misslungen zu nennenden Konstrukte der Euro-Zone. Hier zeigt Monika Stemmer gut strukturiert und verständlich die Hauptursachen für die Krisen in den beteiligten Volkswirtschaften auf. Letztlich geht sie mit überzeugenden Argumenten davon aus, dass ohne Änderung der Euro-Regularien ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone keine Utopie ist.

Kritisch anzumerken ist dabei jedoch, dass sie von „Pleite“ bei der „Überschuldung“ von Euroländern schreibt, und zwar ohne den Hinweis, dass eine solche Pleite nur durch die Regularien bei Schaffung des Euro möglich ist. Ansonsten kann ja ein Land, das sich nicht in Fremdwährung verschuldet und nicht die eigene Währung in ein festes Umtauschverhältnis zu einer Fremdwährung (z. B. US-Dollar) bindet, nicht Pleite gehen.

Noch interessanter ist wohl aufgrund der aktuellen Situation für die meisten Leser die Auseinandersetzung mit dem Thema Inflation. Die Autorin nennt die Inflation sinnvollerweise ein „komplexes Phänomen“. Aber ihr gelingt es, die unterschiedlichen Ursachen und die Vermischung von Preissteigerungen durch Angebotsschocks, Nachfrage-Inflation, Lohn-Preis-Spirale etc. klar strukturiert und damit allgemeinverständlich zu erläutern.

Nach diesem Abschnitt zum Thema Inflation enden die umfassend gelungenen Erläuterungen zu den aktuellen Realitäten unserer Geldsysteme sowie der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und bis hierher ist das Buch von Monika Stemmer für alle an der Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik Interessierte, gleichgültig ob Anhänger des Monetarismus, Neoklassik, Neoliberalismus, Keynesianismus etc., eine absolut lesenswerte Lektüre.

Wer sich dann noch mit den Vorschlägen der Modern Monetary Theory (MMT) für eine am Gemeinwohl ausgerichteten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auseinandersetzen will, der sollte auch den letzten Abschnitt unvoreingenommen und offen für politische Entwicklungen lesen. Bilanz: Eine Gemeinwohl-Ökonomie ist nicht nur möglich, sondern für eine gelingende Zukunft unverzichtbar! Dabei muss klar sein, dass ein umfassendes Verständnis der MMT-Vorschläge, z.B. statt Zinssteuerung mit oftmals brutalen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt eine gesellschaftlich befriedende staatliche Job-Garantie, einer Vertiefung durch entsprechende Lektüre bedarf. Hier bietet die Bibliographie in Stemmers Werk jedoch zahlreiche Möglichkeiten.

Fazit: Ein absolut lesenswertes Buch.

Anmerkung des Autors: Aus Gründen der flüssigen Lesbarkeit wurde im gesamten Text grundsätzlich die maskuline Form angewandt. Alle Geschlechter sind jedoch gleichermaßen angesprochen.

 

Über den Autor

Günter Grzega ist Diplom-Bankbetriebswirt und Diplom-Verwaltungsbetriebswirt. Er ist emeritierter Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München eG und Botschafter der Gemeinwohl-Ökonomie. In seiner Amtszeit hat Grzega die Sparda-Bank München mit zur größten Genossenschaftsbank Bayerns geführt. Von 2010 bis 2015 war er Vorstandsvorsitzender des Senatsinstituts für gemeinwohlorientierte Politik (IGP). Seit 2019 ist er Dozent an der Akademie für Gemeinwohl in Wien. Er ist zudem Mitherausgeber des wirtschaftspolitischen Magazins MAKROSKOP.

 

Buchinfo

Monika Stemmer

Staat Macht Geld
Modern Monetary Theory oder das Ende der schwarzen Null

Westend Verlag 2023, Klappenbroschur, 208 Seiten
ISBN 9783864893681

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