Nach langem Ringen wurde in Deutschland erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie beschlossen. Damit sollen nicht nur alle inneren, sondern auch die äußeren Bedrohungen für die Sicherheit des Landes berücksichtigt werden.
Von Alexander Männer
Nach monatelangen Verhandlungen wurde in Deutschland am 14. Juni erstmals eine umfassende „Nationale Sicherheitsstrategie“ auf den Weg gebracht. Deren Ziel ist es laut Medien, die deutschen Sicherheitsinteressen entlang den drei Hauptdimensionen „Wehrhaftigkeit“, „Resilienz“ und „Nachhaltigkeit“ zu stärken und dabei die Ministerien sowie die Behörden des Landes bei der Lösung von Problemen zu vereinen.
So werden in dem mehr als 40 Seiten starken Papier, das von Kanzler Scholz und vier Bundesministern am Mittwoch vorgestellt wurde, unter anderem die militärischen Bedrohungen, die Bündnisverteidigung, das internationale Krisenmanagement, Rohstoff- und Energiesicherheit, Lebensmittelsicherheit, Cyber-Attacken sowie der Schutz vor Spionage und fremder Einflussnahme als die zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen für die Bundesrepublik benannt.
Vor allem aber richtet man das Augenmerk auf zwei Länder – China und Russland. Beiden werden sie in dem Papier, wenn auch in unterschiedlichem Maße, als Bedrohung definiert: Die Volksrepublik ist sowohl „Partner“ als auch „Wettbewerber“ und „systemischer Rivale“, während Russland als „die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum“ gilt. Begründet wird das damit, dass Russland mit seinem „Angriffskrieg gegen die Ukraine“ „ein Bruch des Völkerrechts“ begangen habe, und dass es die Sicherheit Deutschlands sowie der Verbündeten aus der NATO und EU direkt bedrohe. Ausserdem sei die eigene Sicherheit „mit der Sicherheit und Stabilität anderer Weltregionen“ verbunden, heißt es in dem Dokument.
Den wohl entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie hatte wahrscheinlich die Übernahme des Außenamtes durch die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock. Denn sie hatte zum einen die Federführung bei der besagten Strategie. Zum anderen ist sie nicht nur für die sogenannte „werteorientierte Außenpolitik“ verantwortlich, sondern auch dafür, dass durch ihre Politik vor allem die transatlantische Einigkeit angesichts der sich verändernden globalen Ordnung gestärkt wird. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass etwa Diplomatie, Entwicklungspolitik und die Verpflichtungen gegenüber der NATO, also das militärische Engagement, in dem besagten Papier ganz bewusst in einem Atemzug genannt werden.
Zudem werden offenbar auch die geopolitischen Grundprinzipien der USA im Hinblick auf Russland und Deutschland forciert. (Hierbei stellt eine deutsch-russische Wirtschaftskooperation die größte Bedrohung für Washington in Europa dar.) Denn mit Russland als Bedrohung, das Baerbock übrigens ideologisch zu verabscheuen scheint und das sie durch Sanktionen „ruinieren“ will, erscheint eine Annäherung zwischen Berlin und Moskau und damit auch eine Ausweitung der deutsch-russischen Wirtschaftszusammenarbeit derzeit wenig aussichtsreich.
Auch in Bezug auf China ist Baerbock fest an der Seite der USA. So hatte sie die Volksrepublik zuvor schon mal als einen „Konkurrenten“ und „systemischen Rivalen“ bezeichnet und von der Europäischen Union sogar einen aktiveren geopolitischen Kampf gegen Peking gefordert. Darüber hinaus warf die grüne Ministerin den Chinesen vor, ihren Einfluss durch die Schaffung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der EU erweitert zu haben, was die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen zusätzlich belastete.
Ungeachtet dessen und des vermeintlichen medialen Erfolgs der Nationalen Sicherheitsstrategie ist nach ihrer Verabschiedung einzig und allein ihre Umsetzung von Bedeutung. Diesbezüglich scheint sowieso offenbar noch nicht alles geklärt zu sein. Ursprünglich hatten ja bereits interne Meinungsverschiedenheiten für eine monatelange Verzögerung gesorgt, weshalb die Strategie nicht schon während der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar vorgelegt werden konnte.
Aber auch jetzt gibt es reichlich Kritik hinsichtlich des Plans. So hat etwa der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, Zweifel an der Umsetzung der Sicherheitsstrategie geäußert. „Der entscheidende und der schwierigste Punkt ist regelmäßig nicht die Erarbeitung eines Dokuments, sondern seine Umsetzung“, sagte Ischinger gegenüber dem Deutschlandfunk. In einer Dreierkoalition wie jetzt im Bund werde eine gemeinsame Umsetzung „vermutlich auf der Strecke bleiben“.