Der Rüstungskonzern Rheinmetall erwartet Aufträge in zweistelliger Milliardenhöhe und nennt 2023 sein „bestes Jahr ever“. Die NATO ist um Abnahmegarantien für Rüstungsfirmen bemüht.

Der Rüstungskonzern Rheinmetall rechnet mit bald eingehenden Neuaufträgen in zweistelligem Milliardenwert und schließt für die nächsten Jahre ein Umsatzwachstum von jeweils 20 bis 30 Prozent nicht aus. Dies hat Konzernchef Armin Papperger nach einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister mit Führungspersonal von mehr als 20 transatlantischen Rüstungsfirmen bestätigt. Bei den Aufträgen werde nicht 2022, das Jahr der Scholz‘schen „Zeitenwende“, sondern 2023 „das beste Jahr ever“ werden, sagt Papperger voraus. Der Manager räumt offen ein, Rheinmetall verdanke sein immenses aktuelles Wachstum dem Ukraine-Krieg. Dabei kann die Düsseldorfer Waffenschmiede sogar ihre Produktpalette erweitern: Sie wird künftig Teile für den US-Kampfjet F-35 fertigen – ein Gegengeschäft für den Kauf von 35 Exemplaren des Flugzeugs durch die Bundesregierung, das die transatlantische Rüstungsbasis weiter festigt. Um die Rüstungsindustrie zur rascheren Ausweitung ihrer Munitions- und Waffenproduktion zu veranlassen, sind die NATO-Staaten um langfristige Abnahmegarantien bemüht. Das Bündnis erarbeitet dazu eigens einen ausführlichen Defence Production Action Plan.

Aufrüsten nach Plan

Ursächlich für die Erstellung des neuen Defence Production Action Plan durch die NATO sind zum einen Unsicherheiten auf Seiten der Rüstungsindustrie, zum anderen Befürchtungen mehrerer NATO-Staaten, einige Mitglieder des Bündnisses könnten in ihren Bemühungen um schnelle Aufrüstung früher oder später nachlässig werden. Aus der Industrie heißt es, man wolle beim Bau neuer Produktionskapazitäten Gewissheit haben, dass diese genügend Profit abwürfen und die Bestellungen von Waffen und Munition nicht unmittelbar reduziert oder gar beendet würden, wenn der Ukraine-Krieg dereinst, wann auch immer, zu Ende gehe und die westlichen Lagerbestände, aus denen die Ukraine zur Zeit beliefert werde, wieder aufgefüllt seien. Dazu wünsche man Garantien bzw. langfristige Verträge. In der NATO wiederum heißt es, es genüge nicht, die Zwei-Prozent-Schwelle, wie aktuell vorgesehen, zum Mindestwert für die Militärhaushalte aller Mitgliedstaaten zu erklären. Man müsse auch sicherstellen, dass wirklich erhebliche Summen in die Beschaffung neuer Waffensysteme investiert würden.[1] Beides leisten soll der Defence Production Action Plan, über den die Verteidigungsminister des Bündnisses in der vergangenen Woche verhandelten. Außerdem soll er helfen, die Waffen- und Munitionsbestände der NATO-Staaten weiter zu vereinheitlichen.

Die NATO und die Industrie

In diesem Kontext kamen die NATO-Verteidigungsminister in der vergangenen Woche am Rande ihres Brüsseler Treffens mit führenden Vertretern von mehr als 20 Rüstungskonzernen zusammen – ein Schritt, den Experten als „sehr ungewöhnlich“ einstufen.[2] Im Mittelpunkt stand, wie berichtet wird, eine möglichst schnelle und umfassende Ausweitung der transatlantischen Munitionsproduktion.[3] Weil die ukrainischen Streitkräfte riesige Mengen an Munition verschießen, kommen die NATO-Staaten mit der Lieferung kaum nach – dies, obwohl sie ihre eigenen Bestände empfindlich plündern.[4] Maßnahmen zur Ausweitung der Munitionsproduktion sind längst eingeleitet worden; allein die EU stellt gut eine Milliarde Euro zum Aufbau neuer Produktionskapazitäten bereit.[5] Organisiert wurde das Treffen laut Berichten von der NATO Industrial Advisory Group (NIAG), einem Gremium, das 1968 – mitten im Kalten Krieg – gegründet wurde und nach Eigenangaben ein Netzwerk mit ungefähr 5.000 einschlägigen Firmen unterhält. Dabei sollte die Zusammenkunft nur ein Auftakt zu weiteren NATO-Industrie-Treffen sein, die sich nicht mehr bloß auf die Fertigung von Munition konzentrieren, sondern ein erheblich breiteres Spektrum an Waffen abdecken sollen; auch Gespräche im einfachen NIAG-Rahmen sind geplant.

Innere Rivalitäten

Allerdings hat die Zusammenkunft erhebliche Rivalitäten zwischen den Mitgliedstaaten ausgelöst. Eingeladen waren unter anderem die US-Konzerne Raytheon Technologies und Lockheed Martin sowie die Unternehmen BAE Systems (Großbritannien) und Thales (Frankreich). Vertreten waren außerdem Leonardo (Italien) und Patria (Finnland), FN Herstal (Belgien) und Baykar (Türkei), der Hersteller der berüchtigten Bayraktar-Drohnen, sowie eine Reihe weiterer Unternehmen. Aus Deutschland waren Rheinmetall und die deutsch-französische KNDS, ein Zusammenschluss von Krauss-Maffei Wegmann (KMW) mit der französischen Nexter, präsent. Protest kam nicht bloß von Unternehmen, die keine Einladung nach Brüssel erhalten hatten – darunter die deutschen Firmen Diehl und Hensoldt und die französischen Firmen Dassault und Safran –, sondern auch von der Regierung Spaniens. Weil kein spanisches Rüstungsunternehmen an dem NATO-Treffen beteiligt wurde, nahm die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles nicht daran teil und kündigte zudem an, die weitere Arbeit am Defence Production Action Plan der NATO aus Protest verzögern zu wollen – wenigstens so lange, bis eine stärkere Beteiligung spanischer Rüstungskonzerne an dem NATO-Koordinationsprozess und an den erwarteten Profiten gewährleistet sei.[6]

Transatlantische Profite

Zu den großen Profiteuren des NATO-Treffens vom vergangenen Donnerstag gehört die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall. Der Konzern konnte bereits im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz von 6,4 Milliarden Euro erzielen [7] und hat seinen Umsatz im ersten Quartal 2023 erneut gesteigert – um 7,6 Prozent [8]. Der Auftragsbestand lag schon Ende des vergangenen Jahres bei einem Wert 26,6 Milliarden Euro, mehr denn je zuvor. Rheinmetall-Chef Armin Papperger räumt offen ein, dass sein Unternehmen vom Ukraine-Krieg profitiert; dieser habe einen „entscheidenden“ Anteil am Rheinmetall-Boom: „Ein Großteil unseres Wachstums ist auf den schrecklichen Krieg in der Ukraine zurückzuführen.“[9] Ursache ist demnach nicht nur, dass die ukrainischen Streitkräfte gewaltige Mengen an Waffen sowie vor allem an Munition verbrauchen, sondern auch, dass die europäischen NATO-Staaten ihre Streitkräfte erheblich schneller und massiver gegen Russland rüsten denn zuvor. Rheinmetall wird sogar seine Produktpalette erweitern und Teile für den US-Kampfjet F-35 fertigen, ein Gegengeschäft dafür, dass Berlin 35 Stück davon kaufen wird.[10] Die Düsseldorfer Waffenschmiede wird dabei laut Papperger F-35-„Teile für sämtliche Märkte außerhalb der USA produzieren“ – wohl ein Milliardengeschäft, das die rüstungsindustrielle Basis des transatlantischen Bündnisses weiter zementiert.

„Das beste Jahr ever“

Das NATO-Treffen hat nun offenkundig weitere Profitperspektiven eröffnet. In Brüssel sei es vor allem „um die Kapazitäten“ gegangen, „die wir haben“, und um die Frage, „wie viel Kapazität wir aufbauen müssen“, teilte Papperger anschließend mit. Vergleiche er den bisherigen Rüstungsboom mit den Zukunftsaussichten, dann komme er zu dem Resultat: „Im letzten Jahr ist nicht sonderlich viel passiert. Aber in diesem Jahr wird wahrscheinlich alles passieren.“[11] Er erwarte verlässlich, „dass in den nächsten Wochen und Monaten viele, viele Aufträge platziert werden, viele Milliarden … auch für Rheinmetall“: „Das wird das beste Jahr im Auftragseingang sein ever“. Papperger rechnet mit bald eingehenden Aufträgen im zweistelligen Milliardenbereich. Allein mit der Bundesregierung wird Rheinmetall demnach schon in wenigen Wochen einen Rahmenvertrag mit einem Volumen von mehreren Milliarden Euro schließen. Zuletzt kamen unter anderem Verträge über die Lieferung von Logistikfahrzeugen an Österreich (525 Millionen Euro) und von Militär-Lkw an Norwegen (150 Millionen Euro) zum Auftragsbestand hinzu. Nicht zuletzt will Rheinmetall sich am Aufbau einer rüstungsindustriellen Basis für die Ukraine beteiligen und dazu dort eine Panzer- und eine Munitionsfabrik sowie ein Werk zur Herstellung von Flugabwehrsystemen errichten – german-foreign-policy.com berichtete.[12]

 

[1] Aurélie Pugnet: NATO eyes new defence industry investment pledge to boost arms production. euractiv.com 18.04.2023.

[2] Treffen mit Branche „ungewöhnlicher Schritt“. zdf.de 15.06.2023.

[3] Aurélie Pugnet: NATO ministers to meet defence manufacturers amid capacity woes. euractiv.com 12.06.2023.

[4] S. dazu Munitionsduell mit Russland.

[5] Ukraine – EU gibt eine Milliarde Euro für Munition frei. esut.de 13.04.2023.

[6] María R. Sahuqillo: España bloquea el plan industrial de defensa de la OTAN por la exclusion de sus empresas de una reunion. elpais.com 15.06.2023.

[7] Geschäftszahlen 2022: Rheinmetall auf Erfolgskurs – Allzeithoch beim Ergebnis, Rekord beim Auftragsbestand. rheinmetall.com 16.03.2023. S. auch Kampfpanzer statt Dialyse.

[8] Finanzbericht zum 1. Quartal 2023: Rheinmetall startet mit Umsatzsteigerung ins Geschäftsjahr – Jahresprognose wird bestätigt. rheinmetall.com 04.05.2023.

[9] Andreas Niesmann, Frank-Thomas Wenzel: Rheinmetall-Chef: „Kein Land in Europa ist gut auf einen Überfall vorbereitet“. rnd.de 09.06.2023.

[10] S. dazu Festtage für die Rüstungsindustrie (II).

[11] Rheinmetall vor Milliardenvertrag mit der Bundesrepublik. manager-magazin.de 16.06.2023.

[12] S. dazu Eine rüstungsindustrielle Basis für die Ukraine.

Der Originalartikel kann hier besucht werden