Ganz im Sinne der Agrarindustrie sollen viele gentechnisch veränderte Lebensmittel in der EU künftig weder gekennzeichnet noch risikogeprüft werden. Das geht aus einem geleakten Gesetzentwurf der EU-Kommission hervor, der die Verantwortung der Agrarkonzerne für massive Umweltschäden ignoriert, die weitere Destabilisierung der lebensnotwendigen Ökosysteme billigt und Europas VerbraucherInnen entmündigt.
Ein geleakter Verordnungsentwurf der EU-Kommission zum künftigen Umgang mit neuen molekulargenetischen Werkzeugen bei der Züchtung und Ausbringung von Pflanzen sieht vor, die geltenden Vorschriften für Risikoprüfung und Kennzeichnung von Agrogentechnik in weiten Teilen auszusetzen. Aus Sicht der Aurelia Stiftung dürfte damit der Schutz von Umwelt und Biodiversität vor den negativen Auswirkungen der in der EU vorherrschenden Intensivlandwirtschaft weiter erschwert werden. Zudem werde Europas VerbraucherInnen das fundamentale Recht genommen, sich bewusst für oder gegen Produkte aus gentechnikfreier Landwirtschaft zu entscheiden. Unbeantwortet bleibe in dem Gesetzentwurf zudem die Frage, wie konventionelle ImkerInnen und LandwirtInnen, die gentechnikfrei wirtschaften wollen, dies in Zukunft praktisch tun sollen. Denn gemäß dem Vorschlag der Kommission sollen nur Bio-Produkte gentechnikfrei bleiben.
Von der geplanten Deregulierung der Gentechnikvorschriften profitieren nach Auffassung der Aurelia Stiftung hingegen ausnahmslos die Agrarkonzerne. Die EU-Kommission lässt Warnungen zum Beispiel des deutschen Bundesamts für Naturschutz (BfN) unberücksichtigt, es fehle die Erfahrung, um die Auswirkungen von Pflanzen aus sogenannter Neuer Gentechnik (NGT) überhaupt einschätzen zu können. Laut BfN ist durch NGT erstmalig das ganze Erbgut gleichermaßen und sehr schnell für gentechnische Veränderungen verfügbar. Dadurch könnten die neuen gentechnischen Verfahren eine wesentlich höhere Wirkmächtigkeit haben als herkömmliche Züchtungstechniken – mit bislang unkalkulierbaren Risiken für das Ökosystem, warnt das BfN.
Bernd Rodekohr, Projektleiter „Schützt die Biene vor Gentechnik“ bei der Aurelia Stiftung:
„Die EU-Kommission will wider besseres Wissen den Schutz der Umwelt und die Wahlfreiheit für gentechnikfreie Lebensmittel den wolkigen, nicht evidenzbasierten Gentechnik-Versprechungen der Agrogentechnik-Lobby opfern. Für Bäuerinnen und Bauern, Bienen und Biodiversität ist das fatal. Die Agrarkonzerne missbrauchen die Werkzeuge der Neuen Gentechnik und lassen sich bereits heute in großem Stil Gensequenzen, die in der Natur vorkommen, als „Crispr“-Pflanzen patentieren. So wollen sie ihr Geschäftsmodell einer von ihren Erzeugnissen abhängigen Intensivlandwirtschaft mit großflächigen Rein- und Monokulturen absichern. Die EU-Kommission ignoriert vollständig die wissenschaftlich bestens dokumentierten Schäden für Umwelt und Biodiversität, aber auch die einseitige Ausrichtung des züchterischen Fortschritts auf die Gewinninteressen weniger Konzerne.“
Weitere Informationen:
Link zum Leak des NGT-Gesetzentwurfs der EU-Kommission
Bundesamt für Naturschutz zu Gentechnik und Biodiversität
Aurelia Stiftung zu Gentechnik und Biodiversität: „Wir fangen gerade erst an zu verstehen…“
Aurelia Stiftung: EU-Kommission pokert um Naturschutz, Pestizide und Neue Gentechnik