Neben den militärischen und politischen Abhängigkeiten, die das gesamte politische Personal hierzulande zu Besatzungsverwaltern hat degenerieren lassen, verdirbt die psychologische und nachrichtendienstliche Kriegsführung die Möglichkeiten eines vernünftigen Diskurses im Ukraine-Krieg. Der mentale Blutrausch hat die Vernunft ersetzt.
Es ist Zeit! Gestern las ich einen sehr klugen Artikel, der sich damit befasste, welche Staaten tatsächlich ein Interesse an einer Beendigung des Krieges in der Ukraine hätten. Wohlgemerkt, welche Staaten mit den gegenwärtigen Regierungen. Dass die Völker, ob in der Ukraine oder in Russland und ansonsten egal wo auch, kein Interesse an dieser systematischen Zerstörung von Natur, Mensch und Zivilisation haben, sei vorausgesetzt.
Der Autor kam zu dem Schluss, dass weder das momentane Russland, noch die Ukraine, noch die von den USA geführten Staaten der NATO zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Krieg beenden wollten.
Und einmal abgesehen von vielen Staaten in Afrika, die davon betroffen sind und Ländern in Asien, die einen Flächenbrand befürchten sowie Ländern in Südamerika, die gerade dabei sind, sich tatsächlich einer Unabhängigkeit zu nähern, sei nur China zu identifizieren, das in der Lage wäre, sich als Vermittler anzubieten.
Lieferketten des organisierten Mordens
China hat den Krieg nicht befürwortet, China vertritt sehr konsequent die territoriale Souveränität, China hat ein großes wirtschaftliches Interesse an einem friedlichen Asien wie Europa, hat es doch sehr viel in die Neue Seidenstraße investiert. Und China begreift die unterschiedlichen Motive, die zu diesem Krieg geführt haben.
Die Überlegung hat etwas für sich. Sie verrät andererseits, in welche irreversible Sackgasse Europa geraten ist. Von Souveränität keine Spur. Wer vor allem in Deutschland das Wort in den Mund nimmt, ist von einer realistischen Einschätzung der eigenen Lage am weitestmöglichen Punkt entfernt.
Neben den militärischen und politischen Abhängigkeiten, die das gesamte politische Personal hierzulande zu Besatzungsverwaltern hat degenerieren lassen, verdirbt die psychologische und nachrichtendienstliche Kriegsführung die Möglichkeiten eines vernünftigen Diskurses. Der mentale Blutrausch hat die Vernunft ersetzt. Noch irgendetwas zu erhoffen, das durch politisches Handeln zu einer Verbesserung der Perspektiven führen würde, ist nackte Illusion. Das politische Personal beweist jeden Tag aufs Neue, dass es nicht die Potenziale birgt, das Ruder noch einmal herumzureißen.
Die einzige Hoffnung, so kürzlich eine kluge Analytikerin, dass nämlich bei den Kontrahenten in Ost wie West systemische Dysfunktionalitäten den ganzen Unsinn stoppen könnten, erscheint zwar nicht unmöglich, ist als einzige Orientierung aber etwas zu vage. Denn verlassen kann man sich eben nicht darauf, dass das Kriegsgerät nichts taugt, der Treibstoff oder die Munition ausgeht. Das alles scheint immer einmal wieder auf beiden Seiten vorzukommen, aber noch funktionieren die Lieferketten des organisierten Mordens.
Und wenn es nicht zum Aufschrei führt, dass die EU, wie soeben beschlossen, eine weitere Milliarde locker macht, um die Munitionsversorgung zu sichern und dieses aus dem Friedensfond finanziert, dann wird ersichtlich, in welch erbärmlicher Lage sich das Projekt Europa befindet.
Es ist Zeit zu handeln.
Es ist Zeit! Es ist Zeit, sich nicht nur Gedanken darüber zu machen, wie dieser Krieg zu beenden ist. Es ist Zeit, selber aktiv zu werden und ein Bündnis zu schaffen, das praktische Hinweise gibt, was zu tun ist, um die zivilisatorische Kloake, in die wir geraten sind, trockenzulegen. Keine Stimme mehr den Parteien und Politikern, die diesen Krieg rechtfertigen und keine Vorstellung davon haben, wie er beendet werden kann!
Boykottierung aller Lieferwege von kriegerischem Gerät.
Keinen Cent mehr für Waffen. Boykott der Firmen, die am Krieg verdienen. Kein Zug und kein Flug mehr, der Material in den Krieg transportiert. Kein Kauf mehr von Produkten aus Verlagen, die sich durch Zeitungen oder Bücher für den Krieg aussprechen.
Kein Auftritt mehr von Künstlern, die den Krieg verherrlichen, keine Preise mehr für Hetzer und Rassisten, keine Plattform für Propagandisten des Krieges, keine Gebühr mehr für die Kriegshetzer. Es ist Zeit. Und: Solidarität mit den Opfern, auf allen Seiten! Drehen wir den Spieß um.
Gerhard Mersmann
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.