Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.V” und etliche medizinische Fachverbände schlagen Alarm oder äussern sich extrem kritisch!Kaum einer in der breiten Bevölkerung weiß Genaueres über die neuen Pläne im Gesundheitsministerium. Aber Lauterbachs Reform schreddert das deutsche Krankenhaussystem wohl endgültig. Nur zwei Beispiele: von 810 Geburtsstationen sollen nach Umsetzung der Reform 428 übrigbleiben. Schlimmer noch, zwei Drittel aller Krankenhäuser sollen geschlossen oder so amputiert werden, dass sie keine Krankenhäuser mehr sind.[1]

Keine Frage. Bei der Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems knirscht es. Besonders das Krankenhaussystem befindet sich finanziell im freien Fall. Auch strukturell und fachlich besteht immenser Handlungsdruck. Das Fallpauschalensystem, bei denen Kliniken mit Knieprothesen gute Erträge erzielen, die Geburtshilfe oder die Kindermedizin aber als unrentabel hinten runter fallen – das gehört endlich abgeschafft. An Personal fehlt es überall und immer mehr. Der Bedarf an medizinischen Leistungen aber steigt bei einer stark alternden Gesellschaft massiv an. Da sind die Folgen der Umweltkrisen für die Gesundheit der Menschen noch gar nicht mit auf dem Radar.

Also gut, dass Lauterbach das endlich, anders als seine Vorgänger, in die Hand nehmen und ändern will? Wenn da nur die Richtung stimmen würde. Durch Bündelung in zentralen Kompetenzzentren soll die medizinische Qualität gesteigert werden. Das stimmt, aber nach Meinung vieler Fachleute, wenn überhaupt, nur zum Teil – für besonders gravierende Fälle. In der Fläche müssen die Patienten mit massiven Verschlechterungen rechnen. Denn die Lauterbachreform beinhaltet im Kern finanziell und auch leistungsbezogen eine Roßkur. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Reform würde laut Caritas „dazu führen, dass rund 40 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland schließen müssten. Für die Menschen bedeutete das weniger medizinische Leistung, weitere Wege zu Kliniken und eine Gefährung der Patientensicherheit“. [2] Reinhard Busse, Gesundheitsökonom aus Berlin, brachte es auf den Punkt „Man muss nicht sagen, wie viele fallen weg, sondern wieviele brauchen wir?“ [3] Susanne Johna, Vorsitzende der Ärztevertretung Marburger Bund, wird deutlich. Die Krankenhausbetten in Deutschland werden um 20 Prozent nach oben schön gerechnet, um dann umso mehr die Axt zum Abbau anlegen zu können. [4]

Hinter den Debatten und Kosten um Waffenlieferungen, Ausbau der Bundeswehr und extensive Aufrüstung, um neue fossile LNG-Energieinfrastrukturen sowie der Zinsbelastungen durch die Inflation wird tatsächlich und klamm und heimlich zum nächsten Schlag auf das Gesundheitssystem ausgeholt. In der Ampel wird um jeden Cent gerungen. Wo soll auch das Geld noch herkommen, um das angeschlagene Gesundheitssystem mit ausreichend Mitteln, Pflegepersonal, Ärzten und Versorgungseinrichtungen zu sanieren? Lieber wird, in Umkehrung aller Wahlversprechungen, das Leistungsangebot weiter drastisch reduziert. Wo es keine Krankenhäuser mehr gibt, braucht es auch kein Pflegepersonal oder Ärzte. Sie, wie auch alle anderen Krankenhausbeschäftigten, werden vielerorts mit Verlagerung, Degradierung oder sogar Kündigung konfrontiert.

Während der Staat im Gesundheitsbereich nochmals zu einem gewaltigen Sparsprung ansetzt, um andere Prioritäten im Zeichen der Zeitenwende zu bedienen, steigen trotz Versorgungsreduzierung die Krankenkassenbeiträge der Patienten. Mehr noch, pro Patient wird inzwischen sogar eine Selbstbeteiligung bei Krankheitskosten bis zu 2000 Euro pro Jahr zur Diskussion gestellt. Dieses Geld konzentriert sich auf den Konten von immer weniger Pharma- und Gesundheitskonzernen.

Betroffen sind ALLE – Alte und gesundheitlich Angeschlagene leiden aber ganz besonders unter den neuen finanziellen Belastungen und Versorgungsbedingungen. So zahlen Rentner voll ohne Arbeitgeberbeteiligung. Und wer z.B. alleinstehend, alt oder geschwächt ist, muss in Zukunft nach einer mittelschweren OP immer häufiger sehen, wo er oder sie bleibt, wenn es keinen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus mehr gibt.

Die Reform wirft Fragen über Fragen auf. Zwei weitere Beispiele. Zum einen fällt eine umfassendere rechtzeitige medizinische Vorort- und Notfallversorgung weitgehend weg. [5] Was wird aus den Patienten, die darauf angewiesen sind? Zum zweiten müssen Angehörige und Freunde in Zukunft horrende Fahrtkosten und Zeit für Krankenbesuche in die fernab gelegenen zentralen Krankenhäuser aufwenden.

Ausgenommen bleiben lediglich diejenigen, die sich all das noch leisten und mit viel Geld Sonderbehandlungen erkaufen können. Die Pandemie hat überdeutlich gemacht, wie ein kaputtgespartes Gesundheitssystem die gesamte Gesellschaft an den Rand des Absturzes bringen kann. Zeitenwende heißt auch, in der Praxis interessiert das jetzt alles nicht mehr! Denn je mehr Geld für Panzer und Töten, desto weniger Geld für Gesundheit und Erhalt von Leben.

Generell muss Lauterbach angesichts der geschrumpften Spielräume gegen den finanziellen Zusammenbruch im Gesundheitssystem ankämpfen.

Zunächst wird den Patienten in die Tasche gegriffen. Die Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung stiegen zum 1. Januar 2023 im Schnitt um 0,3 Prozentpunkte auf 1,6 Prozent. Parallel wurde die Beitragsbemessungsgrenze auf 59.850 Euro angehoben. Das heißt, gesetzlich versicherte Arbeitnehmer zahlen ab nun im Schnitt 233 Euro mehr Kassenbeitrag im Jahr. Um die Leistungen der Pflegeversicherung zu finanzieren, wird der Pflegebeitrag zum 1. Juli in diesem Jahr um 0,35 Prozentpunkte steigen, für Menschen ohne Kinder um 0,6 Prozentpunkte. Er liegt dann bei 3,4 Prozent des Bruttolohns, für Kinderlose bei 4,0 Prozent. Rentner zahlen voll ohne „Arbeitgeberbeteiligung“.

Der Bund schoss in das Gesundheitssystem bereits 2022 eine Finanzspritze aus Steuermitteln in Höhe von 28,5 Milliarden Euro zu. Ab 2023 darf diese staatliche Finanzspritze angesichts der „Kriegskosten“ nicht höher ausfallen. Damit entsteht im Gesundheitssystem eine geschätzte Finanzlücke von 17 Milliarden. Die sollen andere zahlen, so die Idee von Lauterbach, zu der er ein Gesetz machen ließ. Danach soll das 17-Milliarden-Loch in der Kasse der GKV durch „Zwangsopfer“ von Ärzten, Krankenhäusern, Apothekern und auch der Pharmaindustrie geschlossen werden. Die Pharmakonzerne halten ihren im Gesetz vorgesehenen Beitrag aber für nicht angemessen. Sie schliessen sich der dazu von dem Gesundheitskonzern Roche eingebrachten Verfassungsklage an. Der Konzern hatte 2022 weltweit rund 14 Milliarden Euro Gewinne erzielt. Davon etwas abzugeben ist natürlich (aus Sicht dieser Konzerne) eine Ungeheuerlichkeit! Focus schreibt: „Im Pharma-Streit wird es für Scholz und Lauterbach jetzt ungemütlich“.[6]

Schon seit Wochen schlägt Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.VAlarm und bittet dringend darum, seinen Weckruf zu verbreiten. Hier geht es zum Link Bündnis Klinikrettung. Um Spenden wird gebeten!

“Liebe Freundinnen und Freunde der Daseinsvorsorge,

seit 2020 dokumentieren wir Klinikschließungen und warnen vor dem fortschreitenden Kahlschlag der Krankenhauslandschaft. Besondere Aufmerksamkeit bekam das Thema „Bettenmangel“ in der Pandemie, und Karl Lauterbach tingelte durch die Talkshows der Republik und sparte nicht mit Kritik an Spahns Politik. Jetzt ist er als Gesundheitsminister selbst in der Verantwortung. Die aktuellen Reformvorschläge seiner Kommission übertreffen jedoch alles, was wir uns an Negativem für Krankenhäuser vorstellen können. Der Präsident des Bayerischen Landkreistags spricht zu Recht von einer „Schneise der Verwüstung“, die die Reform in Bayern anrichten würde. Aber nicht nur Bayern ist betroffen: Tatsächlich sollen bis zu zwei Drittel aller Krankenhäuser entweder schließen oder ihre Abteilungen stark reduzieren.

Das Ministerium und untergeordnete Gremien wiegeln ab. Da ist von einer „Verlagerung von Behandlungen“ die Rede, wenn Abteilungen und Krankenhäuser ersatzlos geschlossen werden. Kliniken werden „ambulantisiert“; tatsächlich werden Ärzte und Medizintechnik abgezogen, es bleiben nur noch einige Pflegekräfte – und die Angehörigen, die künftig in die stationäre Pflege einbezogen werden sollen. Mit der Aufsplitterung der Behandlungen in 128 (!) Leistungsgruppen soll die „klinische Behandlungsqualität“ gesteigert werden. In der Realität werden die Behandlungsabläufe aus ökonomischen Gründen zersplittert, mit fatalen Folgen für Qualität und Bürokratie.

Und was wird aus dem zerstörerischen System der Fallpauschalen, das Lauterbach vor zwanzig Jahren mit verantwortet hat? Es werde „überwunden“, triumphiert Lauterbach, dabei justiert er das System nur zugunsten privater Klinikkonzerne nach. Und die stationäre Versorgung im ländlichen Raum wird durch Vorhaltepauschalen „gesichert“, wobei diese angebliche Sicherung keinen Cent mehr kosten darf und deswegen auch nicht funktionieren wird. Vorbeugend weist Lauterbach die Verantwortung für Schließungen infolge der Reform schon jetzt zurück: „Die Welle der Schließungen hat ja sowieso schon begonnen.“ Derzeit schließen 10 bis 20 Kliniken pro Jahr. Mit der Reform werden 100 bis 200 pro Jahr schließen. „Die Lobby tobt“ lautete ein Twitter-Bonmot von Lauterbach mit Blick auf seine Reform. Ein Toben der wirkmächtigen Lobby aus privaten Klinikkonzernen und Versicherungen, Pharmaindustrie oder Medizintechnikriesen haben wir jedoch nicht bemerkt. Vielleicht meinte Lauterbach aber auch ein Toben vor Begeisterung, das wäre schon eher vorstellbar.

Einige der Zahlen zu den erwarteten Schließungen stammen von einem Kommissionsmitglied, Prof. Boris Augurzky, er hält eine drastische Verringerung der Zahl der Krankenhäuser seit Jahren für wünschenswert. Einzelne Bundesländer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft äußern sich hingegen warnend, bleiben im Tonfall allerdings überraschend milde: Es dürfe „keine Eins-zu-eins-Umsetzung geben“. Mit einer solchen Kritik wird Kompromissbereitschaft statt Kampfeswille signalisiert.

Es ist Zeit, Klartext zu reden. Auch bei einer abgemilderten Umsetzung der Reform wird die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland voraussichtlich sinken. Wenn von aktuell 810 Geburtsstationen nur noch 428 übrig bleiben, werden deswegen über kurz oder lang mehr Kinder und Mütter sterben. In allen medizinischen Bereichen werden sich die Wartezeiten auf Behandlungen ausdehnen, auch das kann PatientInnen das Leben kosten. Die Reform droht fast flächendeckend die medizinische Ausbildung zu zerstören. Es werden weit weniger Pflegekräfte ausgebildet werden, weil die Zahl der ausbildenden Kliniken sinkt. Die ärztliche Ausbildung wird unter weiterer Spezialisierung leiden, ganzheitliche Behandlungsansätze geraten aus dem Blick, weil sich die Kliniken auf Leistungsgruppen spezialisieren müssen.

Ziel einer Reform sollte es sein, den Menschen die nach aktuellem wissenschaftlichen Stand bestmögliche medizinische Versorgung zugänglich zu machen. Lauterbachs Reform zielt nicht darauf ab, deswegen wehren wir uns nach Kräften dagegen: mit Aktionen, eigenen Konzepten zur Krankenhausfinanzierung und bedarfsgerechten Krankenhausstruktur, mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Wir halten Sie weiter auf dem Laufenden.

Freundlich grüßen
Laura Valentukeviciute und Carl Waßmuth
für die Aktiven von GiB”

PS: Viele Menschen wissen noch nichts von der geplanten Reform. Deshalb haben wir in einer 4-seitigen Zeitung Lauterbachs Vorschläge und deren mögliche Folgen analysiert (https://www.gemeingut.org/die-zeit-ist-reif-wo-bleibt-die-revolution-die-neue-zeitung-vom-buendnis-klinikrettung/). Verteilen Sie diese Zeitung in Ihrem Umfeld. Sie können sie kostenlos – auch in größeren Mengen – bei uns bestellen. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an info@gemeingut.org. Selbstverständlich freuen wir uns auch über Spenden für den Nachdruck der Zeitung.


Quellen:

  1. https://www.gemeingut.org/die-zeit-ist-reif-wo-bleibt-die-revolution-die-neue-zeitung-vom-buendnis-klinikrettung/
  2. https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/03/brandenburg-berlin-krankenhausreform-kritik-patienten.html
  3. https://www.laekh.de/fileadmin/user_upload/Heftarchiv/Einzelartikel/2023/05_2023/Forum_Krankenhausreform_Goldschmidt_lang.pdf, FAZ vom 20. Februar 2023
  4. https://www.tagesspiegel.de/politik/kritik-an-lauterbachs-krankenhausreform-20-prozent-der-klinikplatze-existieren-nur-auf-dem-papier-9690227.html
  5. Krankenhausbetreiber befürchten Schließungen – Krankenhausreform in der Kritik | rbb (rbb-online.de)
  6. https://www.focus.de/politik/experten/gastbeitrag-von-gabor-steingart-im-pharma-streit-wird-es-fuer-scholz-und-lauterbach-jetzt-ungemuetlich_id_194737474.html?fbclid=IwAR3n-14L4SIkltk1vTQrCusAkKYFE-eP1TlhtQ0jCkRmJudGebEsWw-LZ8k

Der Originalartikel kann hier besucht werden