Im Vorfeld des Deutschland-Besuchs von Präsident Selenskij sagte die Bundesregierung die bisher größte Waffenlieferung an die Ukraine zu. An der sogenannten Kampfjet-Koalition scheint sich Berlin allerdings nicht beteiligen zu wollen.
von Alex Männer
Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij hat am Sonntag Deutschland besucht, nachdem seine Reise wegen „Geheimnisverrats“ zuvor auf der Kippe gestanden hatte. In Berlin wurde er zuerst vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier empfangen und traf sich danach mit Kanzler Olaf Scholz. Am Abend dieses Tages wurde Selenskij in Aachen stellvertretend für das ukrainische Volk zudem der „Internationale Karlspreis“ verliehen.
Das Hauptanliegen des Besuchs war jedoch – wie erwartet – die militärtechnische Unterstützung Deutschlands für die Ukraine im Krieg gegen Russland. Wie die Süddeutsche Zeitung dazu berichtet, hat Selenskij bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz im Kanzleramt unter anderem um die sogenannte „Kampfjet-Koalition geworben und bat den deutschen Regierungschef dabei um die Unterstützung bei der Lieferung moderner Kampfflugzeuge. Denn Russland habe derzeit eine Überlegenheit in der Luft, so der Staatschef, und dies wolle man ändern.
Scholz ging auf diese Initiative allerdings mit keinem Wort ein und machte klar, dass sich Deutschland auf die bisher gelieferten Waffensysteme konzentrieren werde. Denn man habe der Ukraine sehr viel geliefert, gerade was die Luftverteidigung betreffe, sagte er.
Anonsten sicherte der Kanzler der Ukraine die weitere finanzielle Unterstützung zu, die ihm zufolge auf 17 Milliarden Euro geschätzt wird. „Wir unterstützen die Ukraine nicht nur humanitär, sondern auch politisch, finanziell und natürlich mit Waffenlieferungen. Ich habe oft gesagt und werde es heute noch einmal wiederholen: Wir werden Sie weiterhin so lange unterstützen, wie es nötig ist.“
Die mögliche Lieferung von Kampfflugzeugen in die Ukraine wird in diversen EU- und NATO-Ländern bereits seit Wochen diskutiert, allerdings ist dieses Thema zumindest in Deutschland noch nicht in den Fokus gerückt. Insofern ist die endgültige Entscheidung diesbezüglich wohl noch nicht gefallen. Außerdem könnte sich die gleiche Geschichte wiederholen, wie zuvor schon bei den Lieferungen von schwerem Kriegsgerät. In der Frage wollte Berlin ursprünglich nämlich keine Kampf- und Spähpanzer in die Ukraine liefern, weswegen es über Wochen und Monate dem Druck aus den Vereinigten Staaten ausgesetzt war, nicht entschlossen genug zu handeln. Erst als US-Präsident Biden Scholz Anfang März zugesichert hatte, ebenfalls Panzer in das Kriesenland zu liefern, gab dieser nach. Inzwischen gehört die Bundesrepublik in diesem Bereich zu den Hauptunterstützern Kiews.
„Solidarität mit der Ukraine“
In Hinblick darauf hatte die Bundesregierung am Tag vor Selenskijs Anreise eine Lieferung schweren Kriegsgeräts mit zugehöriger Munition im Wert von rund 2,7 Milliarden Euro angekündigt und damit das Ausmaß der deutschen Waffenlieferungen seit Februar 2022 nahezu verdoppelt hat. Laut dem SPIEGEL ist diese Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt ein „Symbol der deutschen Solidarität mit der Ukraine“ und wurde offenbar mit Blick auf die bevorstehende Preisverleihung an Selenskij publik gemacht.
Für die ukrainische Seite ist diese Solidarität jedoch noch deutlich ausbaufähig, da die Waffenlieferungen ihrer Ansicht nach nicht ausreichen würden. Außerdem hieß es wiederholt aus dem Kiewer Außenamt, dass die Forderungen der Ukraine – etwa nach modernen Kampfflugzeugen – bewusst totgeschwiegen werden und dass die Bundesregierung der Diskussion aus dem Weg gehe.
Dies bestärkt übrigens die These diverser Experten, wonach Deutschland die Ukraine nur widerwillig und nicht ausreichend unterstützen würde, auch wenn man öffentlich stets Solidarität mit Kiew demonstriere. Zudem gibt es etwa in Bezug auf das eingangs erwähnte Bekanntwerden von Selenskijs Besuch Spekulationen darüber, dass die deutsche Regierung nicht wollte, dass das Treffen stattfindet. Denn falls das sogenannte „Informationsleck“ eine bewusst gestreute Information war und nicht lediglich ein Fehler in der Verwaltung, wie es offiziell heißt, dann würde es bedeuten, dass der Besuch von deutscher Seite torpediert wurde.
Nichtsdestotrotz bleibt der Ukraine-Kurs von Scholz und Co. vorerst bestehen, womit die Eskalation wahrscheinlich noch zunehmen wird. Stattdessen bedarf es einer Politik, mit der sich der gesamte Konflikt unter Berücksichtigung der sicherheitspolitischen Interessen Moskaus, Kiews und ganz Europas beilegen lässt. Wobei Friedensverhandlungen auch den fundamentalen Interessen Deutschlands entsprechen würden, das nicht zuletzt wegen des Sanktionskrieges mit Russland mit schwerwiegenden Wirtschaftsproblemen konfrontiert ist. Nach jüngsten Umfragen sollen mehr als die Hälfte der Bundesbürger Verhandlungen im Ukraine-Krieg befürworten, weniger als ein Drittel seien dagegen. Ob dieser Aspekt für die deutsche Spitzenpolitik, die zurzeit von Kriegsbefürwortern dominiert wird, eine Rolle spielt, ist allerdings zu bezweifeln.