Baue ich zuerst die Außenwände eines Hauses oder installiere ich vorher schon mal die Leitungen? Kümmere ich mich zuerst um das Grundstück oder baue ich zuerst das Haus? Sind das moralische Fragestellungen oder nicht einfach Fragen, die mit der Logik eines Grundschülers zu beantworten sind? Als Leserin werden Sie sich vielleicht fragen: Was soll der Quatsch? Warum stelle ich so einfache Fragen an den Beginn eines Essays über die Mitwelt?
von Bobby Langer
Nun, der Grund ist so einfach wie bestürzend: Ein Großteil der Staaten- und Wirtschaftslenkerinnen haben das Grundschulniveau der Logik entweder noch nicht erreicht oder wieder vergessen. Einfach nachzuvollziehen an der Logik der FDP, der sich in weiten Teilen auch die anderen Parteien – die Grünen inklusive – angeschlossen haben.
Ist der Mensch Teil seiner Mitwelt?
Wie? FDP und Grüne auf einer Linie? Undenkbar. Ist aber so, zumindest auf diesem Feld. Also stelle weitere einfache Fragen: Kann ein Apfel ohne Zweig wachsen? Ein Zweig ohne Ast, ein Ast ohne Stamm und ein Stamm ohne Erde? Dieser logischen Reihe dürften die meisten noch problemlos folgen können. Schwieriger wird es schon bei der Antwort auf folgende Fragen: Kann ein Tier ohne Nahrung (andere Tiere oder Pflanzen) überleben? Kann die Tierwelt ohne die Pflanzenwelt überleben? Kann die Pflanzenwelt ohne die Erde überleben? Und nun die entscheidende und offenbar für viele zu komplexe Frage: Ist der Mensch in diese logische Ordnung eingebunden oder ist er frei davon? Falls er frei davon ist, kann es ihm gleichgültig sein, ob die Umwelt vor die Hunde geht. Falls er aber Teil dieser Ordnung ist, hängt dann sein Überleben nicht vom Gedeihen seiner Mitwelt ab?
Widerstand wird Pflicht?
Ich mache kein Hehl daraus, dass ich die Logik folgender Rahmenbedingungen für zwingend halte: Zunächst kommt das Sonnensystem, dann der Planet Erde, dann die Lebensbedingungen auf diesem Planeten – gemeinhin als Natur bezeichnet –, dann das Wachstum der Flora, von dem sich die Fauna indirekt oder direkt ernährt, und schließlich der Mensch als Teil der Fauna des Planeten. Der Erhalt der Mitwelt ist also keine Frage der Moral, sondern simpelster logischer Zusammenhänge. Der Protest der Fridays, in diesem Fall vor allem der Scientists for Future, ist also kein moralischer Aufschrei, sondern der Widerstand gegen eine Führungsschicht, deren Logik zu Recht häufig im geistig pathologischen Bereich siedelt. Offenkundig sind diese Führungspersönlichkeiten nun einmal nicht bei Sinnen. Folglich wird der Widerstand gegen Menschen, die toxische Wirtschaftsgüter und Waffen im Billionenbereich bewegen und damit täglich neuen, kaum wiedergutzumachenden Schaden für die menschliche und nicht menschliche Mitwelt anrichten, zur logischen Pflicht. Dies gilt selbstverständlich auch für die Unterstützung dieses Widerstands.
Das Ökonomie-Psychologie-Soziologie-Dickicht
Nun bleibt die tatsächlich schwierige Frage: Wie kann es sein, dass Frauen und Männer mit einer übers Grundschulniveau häufig weit hinausreichenden Ausbildung nicht zu solch einfachen und logischen Einsichten in der Lage sind? Und falls doch, warum sie sich nicht daran halten? Dahinter sind ökonomische, psychologische und soziologische Gründe zu vermuten. Die ökonomischen Ursachen verweisen auf die berühmte lateinische Frage: Cui bono? Auf Deutsch: Wer profitiert davon? Wenn acht Menschen bzw. Familien so viel besitzen wie die Hälfte der Menschheit, dann lässt sich vermuten, dass der Eigennutz dieser acht Menschen bei der Antwort auf Cui bono eine entscheidende Rolle spielt. Selbst dem größten Idealisten könnte in dieser Angelegenheit das Wort Kapitalismus in den Sinn kommen. Unmittelbar verknüpft mit der ökonomischen Interessenlage ist die psychologische.
Ein bisschen Gift darf sein
Dazu muss ich ein wenig ausholen. Stellen Sie sich vor, jemand besitzt einen Garten. Der größte Teil des Gartens produziert Gemüse in Hülle und Fülle. Damit das geschehen kann, erhält dieser Garten jede Menge Kunstdünger, während Unkräuter und Schädlinge mit Bioziden in Schach gehalten werden. Nur am Gartenrand wachsen, ja wuchern Wildkräuter, die großenteils zwar auch essbar sind, aber weder so lecker sind wie Kürbis, Tomate, Kartoffel & Co., noch sich der Kontrolle und den Planungen des Obergärtners fügen mögen. Nun finden einige, von den Garteninhabern unabhängige, Wissenschaftler heraus, dass in all dem Gemüse, das auf den Tellern landet, winzige Portionen Gift enthalten sind. Verantwortungsvoll, wie sie sind, weisen sie die Garteninhaber darauf hin. Denn winzige, tägliche Portionen Gift x 365 Tage x 80 Lebensjahre ergeben dann doch eine ganze Menge Gift. Weit gesünder wäre es, sich von den Wildkräutern am Gartenrand zu ernähren. Wie würden die Gartenbesitzerinnen wohl reagieren, deren Lebensplanungen mit einer solchen dramatischen Umstellung über den Haufen geworfen würden?
Doppelblind hilft immer
Wir alle wissen, wie sie reagieren würden, denn auf einmal verbinden sich – nahezu unentwirrbar – Logik und wirtschaftliche Interessenlagen. Die Garteninhaber gäben Gegengutachten in Auftrag, die beweisen würden, dass die Warnungen der unabhängigen Wissenschaftler Unfug seien. Mit einer Umstellung auf Wildgemüse würde die Menschheit auch enorm an Lebensqualität verlieren, es ließen sich damit zudem keine lohnenswerten Profite erwirtschaften und selbst, wenn die Einschätzung der unabhängigen Wissenschaftler plausibel erschiene, so müsste doch in langjährigen Doppelblind-Studien die schädliche Wirkung der Gifte auf den menschlichen Körper erst einmal im Detail nachgewiesen werden. Wenn dem dann tatsächlich so wäre – was unwahrscheinlich sei, da es sich bei den unabhängigen Wissenschaftlern zweifellos um Fanatiker handle –, so könnte man im Laufe der kommenden Jahrzehnte ja die Wildkräuter allmählich zu Gartenkräutern umzüchten. Mit Gentechnik sei dies womöglich schon in zwei bis drei Dekaden machbar.
Kampf gegen den Terror
Womit wir bei den soziologischen Gründen der Ablehnung gelandet sind, die sich von den ökonomischen und psychologischen kaum mehr trennen lassen. Würde sich zum Beispiel ein Garteninhaber aus Sorge um seine Familie der Sicht der unabhängigen Wissenschaftler anschließen, so würde das zunächst seinen Ausschluss aus dem Gartenbesitzerverband bewirken. Sein Verhalten würde als unerträgliches Moralisieren diskreditiert werden, würde auch im Kreis der internationalen Gartenbesitzer schnell die Runde machen und sowohl nationale wie auch globale Medien würden ihn als Quergärtner verurteilen. Um einer solchen vorhersehbaren Rufschädigung vorzubeugen, würde man den Abtrünnigen im engeren Familienkreis beschwören, auf sein Coming-out zu verzichten, und ihn, falls er sich denn weigerte, schweren Herzens entmündigen.
Parallel dazu würde der Verfassungsschutz herausfinden, dass die unabhängigen Wissenschaftler gar nicht unabhängig sind, sondern sich aus dubiosen Quellen finanzierten und an den Grundlagen der freien Gartenwirtschaft zweifelten, infolgedessen also Elemente einer kriminellen, staatsgefährdenden, möglicherweise sogar terroristischen Vereinigung seien. Etliche Indizien würden in diese Richtung verweisen. Erste Verhaftungen würden allerdings die kurzfristig stagnierenden Aktienkurse der Garteninhaber wieder nach oben schnellen lassen und man könnte wieder aufatmen in Frankfurt, London, New York und Tokio. Denn Gärtnern, da sei man sich weltweit einig, könne man nicht moralisierenden Öko-Fundamentalisten überlassen, sondern gehöre als Frage der menschlichen Grundversorgung in die Hand kompetenter Wirtschaftsexperten.