Am 30. April feierte Mexiko den Tag des Kindes. Ein Tag, an dem Tausende Mädchen und Jungen Freizeitaktivitäten nachgehen und Dinge tun, die für ihr Wohlergehen wichtig sind. Diese Freiheit haben jedoch nicht alle. Der 30. April ist auch ein Tag der Reflexion. Denn die Kinder, die ihn in Gefängnissen verbringen, erleben ihn ganz anders. Es ist wichtig, zu wissen, unter welchen Lebensumständen die Mädchen und Jungen bei ihren inhaftierten Müttern heranwachsen. Nur so ist es möglich, die Rechte, die diese Kinder haben und zu denen die Strafvollzugsbehörden eigentlich verpflichtet sind, auch einzufordern.
Im Jahr 2021 lebten 340 Mütter und 343 Kinder in mexikanischen Haftanstalten. Diese Zahlen gehen aus einem Bericht hervor (Diagnóstico Nacional de Supervisión Penitenciaria, DNSP), den die staatliche Menschenrechtskommission veröffentlicht hat. Eine offizielle Statistik registriert im Februar dieses Jahres 335 Frauen, die mit ihren Kindern in Strafvollzugsanstalten leben – die genaue Zahl der Kinder wird darin nicht genannt. Somit bleiben diese Mädchen und Jungen unsichtbar. Und ohne eindeutige Zahlen können etwaige Probleme im Strafsystem weder genau definiert noch gelöst werden.
Den Gesetzesrahmen für eine Kindheit hinter Gittern bietet Artikel 10 des mexikanischen Strafvollstreckungsgesetzes. Dort wird das Recht einer Frau auf eine Mutterschaft geregelt, auch unter Freiheitsentzug. Außerdem garantiert dieser Artikel angemessene Unterbringung für sie und ihre Kinder. Weiterhin bestimmt Artikel 36 desselben Gesetzes, dass Kinder während des Wochenbetts und der Stillzeit bei ihren Müttern bleiben dürfen und darüber hinaus bis zur Erreichung des dritten Lebensjahres. Während dieser Zeit muss die Strafvollzugsbehörde ihre Rechte gemäß dem Grundsatz des Kindeswohls sowie auf Grundlage fundamentaler Menschenrechte respektieren und gewährleisten. Trotz dieses klar definierten gesetzlichen Rahmens, gibt es gravierende Probleme in einigen Haftanstalten. Zu diesem Ergebnis kommen zivilgesellschaftliche Organisationen wie etwa Asistencia Legal por los Derechos Humanos (ASILEGAL) und selbst staatliche Institutionen, deren Aufgabe die Kontrolle der Haftbedingungen ist: Es fehlt an Lebensmitteln, Unterrichtsmöglichkeiten und Spielzeug – allesamt Dinge, für die der Staat laut Gesetz zu sorgen hat.
Der DNSP-Bericht von 2021 stellte fest, dass es in 85 der 114 untersuchten Frauenhaftanstalten Defizite in den Haftbedingungen gibt. Fehlende Gelder vom Staat führen zu einer mangelhaften Infrastruktur. So können die Inhaftierten ihre Rechte nicht in vollem Umfang genießen. Ein Beispiel führt das Investigativ-Medium Documenta auf: von allen Haftanstalten in Mexiko haben nur elf eine Entbindungsstation und nur 27 haben Räume für frühkindliche Erziehung (allein zwölf davon im Bundesstaat Michoacán).
Weitere Daten von Documenta und aus einer Befragung von Inhaftierten im Jahr 2021 zeigen, dass 58 Prozent der Insassinnen die Ernährung ihrer Kinder nicht für angemessen halten. Zudem meinen 79,2 Prozent der Frauen, dass ihre Kinder eine nur unzureichende Bildung erhalten. 96 Prozent der Kinder müssten ohne Schulmaterialien auskommen, 89 Prozent haben kein Spielzeug, was die persönliche und kognitive Entwicklung der Mädchen und Jungen direkt beeinflusst.
Die NGO Reinserta, die sich um Kinder im mexikanischen Stravollzugssystem kümmert, berichtet außerdem: Die Isolation wirkt sich negativ auf die emotionale wie körperliche Verfassung der Kinder sowie auf ihre soziale Entwicklung aus. Hinzu kommt, dass sie oft Opfer von körperlicher oder emotionaler Gewalt werden. Einerseits durch Schläge, andererseits durch die Enge in den überfüllten Haftanstalten.
All dies gibt ASILEGAL Grund zur Sorge um das Wohl der Kinder, die sich mit ihren Müttern hinter Gittern befinden. Sie rufen daher die Zivilgesellschaft auf, sich der Probleme bewusst zu werden. Weiterhin fordert ASILEGAL auch die zuständigen Behörden zu einem erhöhten Verantwortungsbewusstsein auf. Die Politik müsse Maßnahmen ergreifen, um die aufgezeigten Mängel zu beheben und sicherzustellen, dass die für den Strafvollzug bereitgestellten Mittel den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden. Denn die prekären Haftbedingungen seien ein Symptom für ein krankes Strafvollzugssytem, das Menschenrechte missachtet – trotz einer klaren Gesetzesgrundlage, trotz internationaler bindender Standards und trotz der Verfassungsreform 2011, die Menschenrechte aus internationalen Verträgen zu Verfassungsrechten machte.