Marco Diener für die Onlinezeitung Infosperber

Österreich will Transparenz bei Lebensmittel-Margen. Frankreich ist schon weiter. Und die Schweiz? Ist nirgends.

14,5 Prozent betrug in Österreich im März die Jahresteuerung auf Lebensmitteln. Grund genug für die österreichische Regierung, Massnahmen zu ergreifen. Sie wird «künftig regelmässig in einem Lebensmittel-Transparenzbericht die Einkaufspreise des Lebensmittelhandels veröffentlichen».

Denn in Österreich steht der Detailhandel unter Verdacht. Trotz stark gesunkener Grosshandelspreise sind die Detailhandelspreise in den letzten Wochen stabil geblieben. Das heisst: Die Detailhändler dürften ihre Margen vergrössert haben. Das zuständige österreichische Ministerium will das transparent machen und damit Druck aufsetzen, damit die Detailhändler ihre Preise senken.

Frankreich ist weiter

Schon weiter als Österreich ist Frankreich. Dort erhebt eine staatliche Kontrollstelle die Preise und die Margen. Das Observatoire de la formation des prix et des marges des produits alimentaires ist dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen sowie dem Ministerium für Landwirtschaft und Lebensmittel unterstellt.

Jedes Jahr listet es in einem 500-seitigen Bericht auf, wer woran wie viel verdient. So zeigt beispielsweise der jüngste Bericht, dass die Bruttomarge über alle Lebensmittel-Kategorien bei 29,5 Prozent liegt. Am höchsten ist sie bei Bäckerei- und Konditorei-Produkten mit über 56 Prozent, am niedrigsten bei Milch-Produkten mit 24,3 Prozent.

In der Schweiz ist so etwas undenkbar. Preisüberwacher Stefan Meierhans führte ab Frühling 2021 eine «Vorabklärung betreffend die Preise der (Bio-)Lebensmittel im Detailhandel» durch. Migros-Anwälte übten aber so grossen Druck auf den Preisüberwacher aus, dass dieser den Bericht schliesslich abschwächte.

«Extra hohe Marge»

Inzwischen ist der Bericht publiziert. Doch sogar in der abgeschwächten Version sind gewisse Stellen geschwärzt. Dabei wären Meierhans’ Erkenntnisse durchaus interessant. Er schreibt nämlich, «dass die Schweizer Detailhändler die höchsten Margen in Europa haben». Und er vermutet, dass Migros & Co. auf die Bio-Produkte «eine extra hohe Marge» schlagen.

Die Margen in der Schweiz scheinen in der Tat ausserordentlich hoch zu sein. Die Westschweizer Konsumentenzeitschrift «Bon à savoir» berichtete kürzlich darüber, dass die Migros der Freiburger Molkerei Cremo für das Milchkaffee-Getränk «Lattesso» nur gerade 80 Rappen zahle, dieses aber für 2.35 Franken verkaufe. Bruttomarge: 66 Prozent.

Die Migros verlangte eine Gegendarstellung und schrieb, sie habe 1.30 Franken bezahlt. Die Redaktion hielt an ihrer Darstellung fest. Doch selbst wenn die Migros recht hätte – die Marge betrüge noch immer 45 Prozent. Zum Vergleich: Die französischen Detailhändler schlagen bei Molkerei-Produkten nur halb so viel drauf.

Ein Geheimnis

Mit 6,3 Prozent war im März die Jahresteuerung auf Lebensmitteln deutlich niedriger als in Österreich. Aber hierzulande weiss niemand, wer von den Preissteigerungen profitiert und wie viel, weil die Margen ein grosses Geheimnis sind. Sie dürften aber nicht nur bei Lattesso, sondern auch bei anderen Produkten hoch sein. Und möglicherweise sind sie in den letzten Jahren sogar gestiegen.

Zwei Beispiele: Migros und Coop erhöhten den Preis für ein Pfund Ruchbrot seit dem Herbst 2020 um 27 Prozent, den Preis für die M-Budget-Spaghetti sogar um 56 Prozent. Der Preis für die Hauptzutat, den Weizen, schoss zwar vorübergehend tatsächlich in die Höhe, ist nun aber schon fast wieder auf dem gleichen Niveau wie im Herbst 2020. Der Verdacht liegt also nahe, dass Coop und Migros ihre Margen erhöht haben.

Nicht nur im Lebensmittelhandel ist die Preisbildung intransparent. Kürzlich hat der Preisüberwacher die Margenentwicklung bei Raffinerien und Tankstellen untersucht. Anlass dazu war, dass der Benzinpreis vor einem Jahr auf Fr. 2.20 pro Liter gestiegen war, sich dieser Anstieg aber mit den Rohölpreisen nicht erklären liess. Doch nicht einmal der Preisüberwacher blickt durch. Er schreibt: «Die Margenentwicklung im Bereich der Raffinerien kann einen Teil der Entkopplung der Rohölpreise von den Endkundenpreisen erklären. Ob ein dem Wettbewerbsrecht widersprechendes Verhalten vorliegt, müsste vertieft untersucht werden.»


Gegen die Lebensmittelverschwendung

Transparenz verlangt die österreichische Regierung nicht nur in Bezug auf die Margen. So muss «der Lebensmittelhandel künftig ausweisen, welche Menge an Lebensmitteln er vernichtet und welche Menge an Lebensmitteln er an Sachspenden zur Verfügung stellt». Gemeinnützige Organisationen haben sich nämlich darüber beklagt, dass sie immer weniger Spenden aus dem Lebensmittelhandel bekämen. Deshalb besteht der Verdacht, dass wieder mehr im Abfall landet.

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