Mit 23 Jastimmen, vier Neinstimmen und neun Enthaltungen hat der Kongress des südmexikanischen Bundesstaates Chiapas eine Reform gebilligt, die die 90-tägige Frist für eine Abtreibung im Fall einer Vergewaltigung beseitigt.
Nach Artikel 181 des Strafgesetzbuches darf Abtreibung nicht bestraft werden, „wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung ist, wenn diese innerhalb von neunzig Tagen nach der Empfängnis bestätigt wird oder wenn das Leben der schwangeren Mutter in Gefahr ist. Außerdem wenn festgestellt wird, dass der Fötus genetische oder angeborene Veränderungen aufweist, wodurch dieser nach Meinung des behandelnden Arztes mit schweren körperlichen oder psychischen Störungen geboren würde“.
Mit dieser am 2. Mai beschlossenen Reform wird diese Frist bei Vergewaltigungen aufgehoben, so dass das Opfer in diesem Fall eine Abtreibung auch nach über 90 Tagen beantragen kann. Doch mit dieser Zustimmung holt der Kongress lediglich das nach, was die Richtlinie NOM 046 vorschreibt: NOM 046 garantiert den Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen geworden sind, landesweit das Recht auf Abtreibung und eine hochwertige Gesundheitsversorgung in einer öffentlichen Einrichtung.
„Obwohl das Allgemeine Opfergesetz und die NOM 046 keine Frist für den Zugang zu Abtreibungen vorsehen, ist bekannt, dass die örtlichen Gesundheitsdienste sich weigerten, nach 90 Tagen Abtreibungen wegen Vergewaltigung durchzuführen“, erklärte die Rechtsanwältin und Feministin Ninde Molre.
Reform in Chiapas befolgt bundesweite Richtlinie
Die Reform wurde dank der Berufung auf Revision 438/2020 vor dem Obersten Gerichtshof der Nation (SCJN) ermöglicht. Diese Berufung wurde von Jessica initiiert, einer Teenagerin mit einer Gehirnlähmung, die vergewaltigt wurde und der das Recht auf Abtreibung gemäß NOM 046 im Krankenhaus von Tapachula, Chiapas, verweigert worden war. In diesem Fall urteilte der Oberste Gerichtshof im Jahr 2021, dass das Festlegen von Bedingungen für eine Abtreibung, wie etwa eine Frist, die Menschenrechte der Opfer sexueller Gewalt verletzt.
Daraufhin entstand die Reforminitiative mit dem Ziel, auf die Menschenwürde und die freie Entwicklung der Persönlichkeit von Frauen zu achten, „deren Schwangerschaft nicht das Ergebnis einer freien und einvernehmlichen Entscheidung ist, sondern das Ergebnis willkürlicher und gewalttätiger Handlungen, die ihren Charakter als eigenständiges Subjekt missachten. Deshalb werden diese Handlungen unter Strafe gestellt und vom Staat als verwerflich eingestuft.“
Forderung nach Entkriminalisierung von Abtreibung
Während der Parlamentsdebatte, in der die Reform angenommen wurde, erinnerte die Abgeordnete Floralma Gómez Santiz von der Grünen Partei daran, dass der Staat verpflichtet sei, Reformen durchzuführen, um die freiwillige Abtreibung zu entkriminalisieren. „Die Rechte der Frauen müssen garantiert werden, indem ihr erstes Recht garantiert wird, nämlich das Recht, über ihren eigenen Körper zu entscheiden“, sagte sie.
Tatsächlich aber wird die Unterbrechung der Schwangerschaft im Bundesstaat Chiapas sanktioniert. Das hat die Frauen von Chiapas dazu veranlasst, heimlich abzutreiben oder sogar nach Mexiko-Stadt zu reisen, wo dieses Verfahren legal ist.
Allein von April 2007 bis März 2023 sind 81 Frauen von Chiapas nach Mexiko-Stadt gereist, um abzutreiben. Deshalb arbeiten Feministinnen und Aktivist*innen weiterhin daran, die Abtreibung in ihrer Gesamtheit zu entkriminalisieren.