Der Sänger, Schauspieler und Aktivist sah sein Calypso-Image als Erniedrigung. Er war zeitlebens ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeit.
In den 50ern galt Harry Belafonte als Calypso-Star, als fröhlicher Karibik-Farbiger, der Exotik ins Showbusiness brachte. Kaum jemand sah damals, dass der hochgewachsene Sohn einer jamaikanischen Hilfsarbeiterin und eines Matrosen aus Martinique vor allem eins war: wütend.
Wütend auf die Armut, die soziale Ungerechtigkeit, die alltägliche Gewalt in Familie und Nachbarschaft und den allgegenwärtigen Rassismus, mit dem er in Harlem aufgewachsen war. Als 16-jähriger Freiwilliger im Krieg wurde er Zeuge, wie Schwarze stets für Himmelfahrtskommandos eingesetzt wurden. Erst später, von Martin Luther King, lernte er die Wirksamkeit gewaltfreien Widerstandes kennen.
Im Theater fand er ein Ventil und wollte sozialkritischer Schauspieler werden. Als 23-jähriger hochtalentierter Schauspielschüler absolvierte er den legendären Jahrgang mit Walter Matthau, Tony Curtis und Marlon Brando an der kritischen New School for Social Research. Dort ging es um existenzialistische, sozialkritische Themen. Er hatte verheissungsvolle erste Erfolge in Musicals und Filmen. Doch ernsthafte Rollen gab es kaum für einen Schwarzen.
Wollte er von der Kunst leben, musste er sich auf eine Karriere als Sänger «beschränken». Denn so sah er das – fast als Herabwürdigung. Er hielt sich für einen großen Schauspieler, aber einen mässig begabten Sänger. Kein Wunder – mit Songs wie Day-O sollte er all die Lust auf Exotik und eine erotische Sehnsucht erfüllen. So beschreibt er in seiner Autobiographie bitter, wie ihm all die weissen Frauen zujubelten und ihm Sex anboten, die ihn ausserhalb der Bühne als Menschen zweiter Klasse behandelten.
Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger Jahre war er in der Popularität gleichauf mit Elvis Presley und Frank Sinatra. Doch sein Herz galt dem Kampf um soziale Gerechtigkeit. So wurde er ein zentraler Aktivist der Bürgerrechtsbewegung an der Seite von Martin Luther King. Später engagierte er sich gegen den Vietnamkrieg, die chilenische Diktatur und die Apartheid und für die Freilassung Nelson Mandelas. Er verstand es brillant, seine Bekanntheit als Musiker mit sozialem Engagement zu verbinden – und erweiterte Stück für Stück die Möglichkeiten Menschen verschiedener Hautfarben, zusammen aufzutreten, zusammen zur Schule zu gehen etc.
Er verhalf zahlreichen Talenten zu einer eigenen Karriere, u.a. Bob Dylan, Nana Mouskouri und Miriam Makeba.
Zusammen mit Michael Jackson motivierte er Dutzende von weltbekannten Musikern zum gemeinsamen Benefizsong «We are the World» gegen den Hunger in Afrika, der Millionen einspielte. Am 10. Oktober 1981 trat er bei der grossen Friedensdemonstration in Bonn auf, um gegen Aufrüstung zu protestieren.
2002 erfüllte er sich einen lang gehegten Traum: Er veröffentlichte «The Long Road to Freedom» – eine einzigartige Anthologie schwarzer Musik und Lieder, die er seit Jahrzehnten auf vielen Reisen und Begegnungen gesammelt hatte. Diese Lieder vollziehen «langen Weg in die Freiheit» von Menschen nach, «die einst als Gefangene aus Afrika gekommen waren». Dazu gehören Kriegsgesang der westafrikanischen Aschanti aus dem 17. Jahrhundert, nigerianische Kinderlieder, Spirituals, kreolische Chöre aus dem Mississippi-Delta, Arbeits-, Gefängnis- und Plantagenlieder, Blues und Gospel bis zu den Balladen der grossen Städte.
Auf seine Initiative entstand «Against the Wall», ein vierminütiger Kurzfilm gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner im Rahmen der Bewegung «Black Lives Matter». Er wurde 2016 von seiner Tochter Gina inszeniert.
Am 25. April starb Harry Belafonte im Alter von 96 Jahren an der Upper West Side von New York City an Herzversagen. Nach allen Massstäben, die ich kenne, war das ein würdiges Leben.
von Christa Leila Dregger