Ende März teilte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius mit, dass Deutschland die Lieferung von 18 Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 A6 an die Ukraine abgeschlossen habe. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am 2. April berichtete, wird das deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall ein „militärisches Wartungs- und Logistikzentrum“ in Satu Mare, Rumänien, errichten. Was von manchen als große Abkehr von Deutschlands außen- und verteidigungspolitischer Haltung der Nachkriegszeit angesehen werden könnte, ist auch die Erfüllung eines Versprechens, das Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner paradigmatischen Zeitenwende-Rede vom 27. Februar 2022 gab.

Von James W. Carden

In seiner Rede im Plenarsaal des Bundestages verkündete Scholz: „Wir leben in einer Epoche der Wende. Und das bedeutet, dass die Welt danach nicht mehr dieselbe sein wird wie vorher… Die Kernfrage ist, ob wir es in der Hand haben, Kriegstreiber wie Putin in Schach zu halten… Das erfordert unsere eigene Stärke.“

Scholz versprach außerdem 100 Milliarden Euro für einen „Sonderfonds für die Bundeswehr“ und die Erfüllung des bisher unerreichten Solls von zwei Prozent des deutschen BIP für Verteidigungsausgaben.

Die Falken der Grünen im Anflug

In einem Interview mit einem führenden Mitglied der Washingtoner Lobby der gefangenen Nationen argumentierte die deutsche Botschafterin in den USA, Emily Haber, für die Wirksamkeit der Zeitenwende und stellte fest, dass Deutschland „… jetzt der größte militärische Unterstützer der EU [für] die Ukraine ist, und wohlgemerkt, vor dem Krieg haben wir uns sogar geweigert, militärische Ausrüstung in die Ukraine zu schicken.“

In einem Interview mit der ukrainischstämmigen Geschäftsführerin des Center for European Policy Analysis vertrat Haber auch die Ansicht, dass es im Krieg in der Ukraine „nicht nur um die Grenzen und die Sicherheit in Europa geht, sondern um die Zukunft, um die globale Einflusskarte. Und das ist auch für Amerika existenziell.“

Haber ist eine besonders scharfe Verfechterin der Scholz-Politik und twittert unermüdlich über den Umfang und das Ausmaß der militärischen und humanitären Hilfe, die Deutschland der Ukraine zukommen lässt, bis zu dem Punkt, an dem sie sich – in Anlehnung an den US-Botschafter Michael McFaul – in Twitter-Schlachten mit Vertretern ihres Gastlandes verstrickt hat.

Warum Haber meint, sie habe das Recht, einen amtierenden US-Senator (JD Vance) zu belehren, der gerade von 2,2 Millionen Wählern in Ohio nach Washington geschickt wurde, kann man nur vermuten. Aber es ist bezeichnend für die selbstgerechte Strenge, die das deutsche Außenministerium unter der Führung der grünen Außenministerin Annalena Baerbock kennzeichnet. Vielleicht, weil die Souveränität des Volkes bei den Grünen nicht viel zählt, wie Baerbocks Versprechen beweist, dass sie die Ukraine an die erste Stelle setzen wird, „egal, was meine deutschen Wähler denken“.

Die Verwandlung der Grünen in die militantesten und sklavisch atlantischsten Mitglieder des deutschen politischen Establishments ist eine der bemerkenswertesten Verwandlungen in der jüngeren europäischen Politikgeschichte und wurde in Gesprächen, die ich im März in Berlin mit Parlamentariern, Mitarbeitern und Aktivisten der Linken, der Rechten und der Mitte des politischen Spektrums führte, wiederholt erwähnt.

Die stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, Sevim Dagdelen, MdB, sagte mir: „Die Grünen waren einmal die Partei des Friedens und der Entmilitarisierung, aber jetzt sind sie die stärksten Kriegstreiber in Deutschland… sehr verbunden mit der transatlantischen Gemeinschaft.“

Die Macht, die die Grünen jetzt in Berlin haben, ist zum Teil dem Einfluss eines Netzwerks transatlantischer Denkfabriken zu verdanken, die nach Ansicht vieler Beobachter, mit denen ich gesprochen habe, als eine Art Landekopf für das nationale Sicherheitsestablishment der USA dienen. Dagdelen meint: „Die Medienlandschaft in Deutschland ist sehr stark von den transatlantischen Think Tanks beeinflusst. Die meisten Chefredakteure sind Mitglieder von Think Tanks der transatlantischen Partnerschaft, wie dem Atlantic Council, der Atlantik-Brücke oder dem German Marshall Fund.“ Und wie zum Beweis veröffentlichte der neokonservative Atlantic Council einen Artikel, in dem er sich darüber beklagte, dass Scholz „routinemäßig das Ziel verfehlt und seiner eigenen großen Idee im Weg steht.“

Zeitenwende oder Ostpolitik?

Ein SPD-Abgeordneter, der im Plenarsaal saß, als Scholz seine Zeitenwende-Rede hielt, erzählte mir, dass er und seine Kollegen schockiert waren – nicht so sehr über den Inhalt der Rede, sondern über die kämpferische, ja sogar freudige Reaktion der konservativen CDU/CSU-Abgeordneten auf Scholz‘ scheinbare Abkehr von der deutschen Außenpolitik seit 1945.

Angeblich ist die Zeitenwende eine 180-Grad-Wende (nicht, wie Frau Baerbock kürzlich meinte, eine 360-Grad-Wende) weg von der Ostpolitik, der „Ostpolitik“ der Normalisierung der Beziehungen zu den Ländern des kommunistischen Blocks, die von Bundeskanzler Willy Brandt und seinem Berater Egon Bahr in den späten 1960er Jahren ausgearbeitet worden war.

Ralf Stegner, MdB, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion: „Es gibt einen Druck auf die SPD, ihre Politik zu ändern und immer mehr Waffen zu schicken, verbunden mit einem Angriff auf die Ostpolitik von Willy Brandt.“

„In der Außenpolitik“, fuhr er fort, „haben einige in der CDU/CSU und viele in der Grünen Partei eine moralistische Auffassung, dass ‚wir die autoritären Regime bestrafen müssen‘, aber es ist keine kluge Außenpolitik, nicht mit ihnen zu sprechen.“

Einige sehen die Politik von Scholz nicht als so drastische Veränderung an. Joachim Schuster, SPD-Europaabgeordneter, sagte mir: „Scholz hat gesagt, wir wollen keine Kriegspartei werden. Er sagt auch nicht, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Er spricht davon, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren darf. Außerdem hat er betont, dass auch weitere diplomatische Bemühungen notwendig sind.“

Professor Hajo Funke, Professor für Politik und Kultur am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, sagte mir: „Zumindest formal ist die SPD mit Scholz geeint, aber es gibt Anzeichen für eine interne Spaltung, der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mutzenich, ist ein Anhänger der Ostpolitik. Scholz selbst schwankt, ist sehr vorsichtig, nicht nur wegen der öffentlichen Welle der Unterstützung für die Ukraine, sondern auch, weil seine Koalitionspartner, die Grünen und die Freien Demokraten, darauf drängen, es ist also ein Balanceakt, und in dieser Situation ist er irgendwo zwischen Biden und Macron.“

Andere am linken und rechten Ende des politischen Spektrums sehen das kritischer.

Dagdelen von der Partei Die Linke stimmt mit Funke überein, dass Scholz „von verschiedenen Seiten unter Druck steht, insbesondere von seinen Koalitionspartnern, den Grünen und den Liberalen“. Sie ist jedoch der Meinung, dass Scholz mit seiner Entscheidung, sich weiter in den Krieg einzubringen, „dem Erbe der Ostpolitik Willy Brandts völlig den Rücken gekehrt hat“.

Dagdelen: „Die Entscheidung der Bundesregierung, auf massiven Druck der USA hin Leopard-2-Kampfpanzer zu liefern, ebnet den Weg, Deutschland mehr und mehr zur Konfliktpartei zu machen und in die Schusslinie gegen Russland zu schicken. Die Bundesregierung macht sich zum willigen Vasallen der US-Regierung und beugt sich der Strategie der USA, einen Keil zwischen Deutschland und Russland zu treiben.“

Auch Vertreter der rechtsextremen Szene, mit denen ich gesprochen habe, äußerten sich kritisch. Ein AfD-Politiker aus Brandenburg sagte mir, dass seiner Meinung nach „im westlichen Teil Deutschlands immer noch eine Mentalität des Kalten Krieges herrscht“. „Aber Deutschland“, sagte er, „sollte neutral sein und hat kein Interesse an diesem Krieg.“

Es wäre jedoch ein Fehler, die Zeitenwende als das endgültige Ende der Ostpolitik zu betrachten. Tatsächlich gab es in den letzten Monaten eine Welle des Unmuts in der Bevölkerung über die zunehmende Verwicklung Deutschlands in den Krieg.

Im Februar wurde auf Betreiben der feministischen Aktivistin Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht, einer führenden Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke, ein „Manifest für den Frieden“ veröffentlicht, in dem Scholz aufgefordert wurde, „die Eskalation der Waffenlieferungen sofort zu stoppen“. Außerdem forderte das Manifest Scholz auf, „ein starkes Bündnis für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen auf deutscher und europäischer Ebene anzuführen.“ Das Manifest führte in den darauffolgenden Wochen zu einer Demonstration, die 50.000 Menschen in die Berliner Innenstadt lockte.

Professor Funke, einer der Erstunterzeichner des Manifests, erzählte mir, dass die Unterzeichner bei der Veröffentlichung des Manifests mit einer Reihe von „McCarthy’schen Verleumdungen“ durch die Medien konfrontiert waren. Doch das Blatt wendete sich, als die Popularität des Manifests in die Hunderttausende ging (zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts hat es über 775.000 Unterschriften gesammelt). Ein positives Zeichen, auf das Funke hinwies, ist die Unterstützung der Verhandlungen durch Wolfgang Ischinger, einen ehemaligen Botschafter in den USA, der von 2008 bis 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz war. Funke sagt, dass „die öffentliche Meinung sich möglicherweise ändert, und Ischinger ist als wichtiger deutscher öffentlicher Intellektueller ein gutes Zeichen dafür“. Ein weiterer Friedensappell, der von dem Historiker Peter Brandt, dem Sohn des verstorbenen Bundeskanzlers, initiiert wurde, wurde Anfang April in Deutschland veröffentlicht.

Während es also klar ist, dass das deutsche politische Establishment bis auf weiteres fest unter der Fuchtel des nationalen Sicherheitsestablishments der USA steht, ist die öffentliche Meinung in Deutschland eine ganz andere Sache – und könnte sich an einem eigenen „Wendepunkt“ befinden.

Dieser Artikel wird von Globetrotter in Zusammenarbeit mit dem American Committee for U.S.-Russia Accord (ACURA) verbreitet. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


James W. Carden ist ein ehemaliger Russland-Berater des Sonderbeauftragten für globale zwischenstaatliche Angelegenheiten im Außenministerium. Er ist Mitglied des Vorstands von ACURA.